Laufen, schauen, staunen – parlamentarischer Alltag

Ein Praktikumsbericht von Carla Wenzel

Was macht frau, wenn sie drei Wochen in das gläserne Herz der bundesdeutschen Gesetzgebung blinzeln darf? Genau, in erster Linie ganz viel laufen, schauen, staunen und mit ihrem blauen Hausausweis auf Zeit die Eingangstüren des Paul-Löbe-Hauses öffnen.

Von Mitte September bis Anfang Oktober durfte ich im Bundestagsbüro von Kerstin Griese im Rahmen des Evangelisch-Parlamentarischen Assistenzprogramms des Evangelischen Studienwerkes Villigst hospitieren. Währenddessen erhielt ich nicht nur vielfältige Einblicke in das spannungsgeladene Feld der Gesetzgebung, sondern fand mich zugleich, bedingt durch die Verabschiedung des Entlastungspaketes III sowie der Beschlüsse zu Strom- und Gaspreisbremse, in besonders ereignisreichen Wochen im Bundestag wieder.

Dass nicht nur ich mir die Füße zwischen Arbeitsgruppen- und Ausschusssitzungen, Plenarbesuchen und über das Praktikant:innenprogramm der SPD-Fraktion organisierte Veranstaltungen platt lief, fällt in diesen Wochen sicherlich auch auf das Arbeitstempo zurück, welches ich in diesem Hause wahrgenommen habe. Politiken in verschiedenen Modi der Krisen für verschiedene Krisenmodi zu gestalten, dies über die verschiedenen Fraktionsgrenzen hinweg zu tun und letztlich die Inhalte aus dem Parlament heraus an Bürger:innen bestenfalls nachvollziehbar und verständlich zu kommunizieren – ich verabschiedete mich in kürzester Zeit davon, von der Länge der Arbeitstage in Sitzungswochen überrascht zu sein.

Geblieben sind dennoch Fragen danach, wo in diesem Spannungsfeld zwischen alltäglicher Gesetzgebung und Gesetzgebungen im Eilverfahren die Zeit bleibt, Gespräche des Zwischenmenschlichen zu führen, Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit zu formulieren oder in einem stillen Moment die eigenen Sinne zur Ruhe kommen zu lassen und neue Kraft zu tanken.

Auf Grund der anfänglich aufeinander folgenden zwei Sitzungswochen gestaltete sich mein Praktikum von Beginn an bewegt und thematisch spannend. Abseits der ausgiebigen Beantwortung von Bürger:innenbriefen zu russlandspezifischen Anfragen und Klärungsbedarfen im Hinblick auf die Entlastungsmaßnahmen, nahm ich wiederkehrend an den Sitzungen der Arbeitsgruppe und den Ausschusssitzungen für Arbeit und Soziales teil. Hier wie auch in den zwei Plenardebatten, welche ich besuchte, stimmte mich, abseits allen inhaltlichen Ringens um Feinfragen der sachlichen Ausgestaltungen, vor allem das kommunikative Verhalten der AfD sehr nachdenklich.

Es ist eines, gegen nationalistische, antisemitische, rassistische wie jegliche anderen Arten menschenfeindlicher Gesinnungen auf der StraĂźe sichtbar in BĂĽndnissen Widerstand zu leisten und Position dagegen zu beziehen. Es ist ein anderes, etwaige Kommentare, BemĂĽhen um Diskursverschiebungen und ablauflahmlegendes Verhalten zu spĂĽren.

Dennoch – besonders interessant waren für mich weiterhin die Teilnahme an einer Veranstaltung der Begleitgruppe Klimaschutz und Transformation, in deren Rahmen sowohl über mögliche Ansätze zur Sicherung der Gas- und Energieversorgung diskutiert als auch Expertenstimmen zum Vorschlag einer Gasumlage gehört wurden und der Besuch der 20. Deutschen Hörfilmpreisverleihung.

Mit laufen, schauen, staunen im Gepäck gebe ich ihn später ab, meinen blauen Hausausweis. Ich werde weiterdenken über neu entstandene Fragen nach Notwendigkeiten und Möglichkeiten gesellschaftlicher Gestaltung, über Beobachtungen von 736 Abgeordneten, die vielleicht gar nicht immer zusammenarbeiten wollen, aber sollen (und müssen im Angesicht von Dauerkrise(n)?) und den leisen wie scharfen Tönen, die ich in diesem Haus vernehmen durfte.