50 Jahre Juso-Hochschulgruppen – Politik lernen

Den Juso-Hochschulgruppen habe ich viel zu verdanken. Es war eine wunderbare Zeit, in der mein politisches Engagement an der Uni, in der Fachschaft und im AStA sowie bei den Juso-Hochschulgruppen auf Landes- und Bundesebene zum Lebensmittelpunkt wurde.

Insta-StoryEs war eine Mischung aus Aktionen, vielen inhaltlichen Diskussionen, sich Ausprobieren. Das Engagement bei den Juso-Hochschulgruppen hat eine ganze Generation von Aktiven in der SPD geprägt. Frühe Verantwortungsübernahme in Gremien der Hochschulen, parlamentarische Erfahrung in Studierendenparlamenten, leidenschaftliche inhaltsreiche Debatten über den richtigen (linken) Weg und Organisations- und Leitungskompetenz waren überaus nützlich für spätere politische Tätigkeiten. Von kritischer Wissenschaft bis zu Veranstaltungsorganisation, von Wahlkampf bis Gremienarbeit, von Feminismus bis ökologischer Verantwortung, von Sitzungsleitung bis zu Haushaltsaufstellung war alles dabei. Sogar die Geschäftsordnung des Bundestages spielte eine Rolle, wenn es in nächtlichen Studierendenparlamentssitzungen nicht mehr weiter ging und ich als Parlamentspräsidentin die Bundestagregularien zitierte, nach denen es im Zweifel immer weiter geht.

Es war für mich ein Engagement, das leidenschaftlich an Inhalten orientiert war. Es ging immer um Theorie UND Praxis, pragmatische Politik mit inhaltlicher Tiefe: so habe ich die Arbeit der Juso-HSGn erlebt. Die im Zuge der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung entstandene Wissenschaftskritik, aus der heraus an einigen Unis Wissenschaftsläden entstanden, war ein wichtiges Thema, genauso wie der Feminismus. Das Frauenprojekt der Juso-Hochschulgruppen war sicherlich wegweisend für die feministische Diskussion des Juso-Gesamtverbandes. Feministische Wissenschaft und Veranstaltungsreihen mit an deutschen Hochschulen seltenen Professorinnen spielten eine wichtige Rolle.

Auch wenn die „großen“ Linien oft von allgemeinpolitischen Themen bestimmt wurden, lag der Schwerpunkt der täglichen Arbeit in der konkreten Hochschulpolitik. In vielen ASten waren die Jusos für die Sozialreferate zuständig, verwalteten die umfangreichen Haushalte der Studierendenschaften, und kümmerten sich um die Gremien der akademischen Selbstverwaltung sowie Studentenwerksangelegenheiten. Die Landeskoordinierungen der HSGn waren wichtige Ansprechpartner für Landtagsfraktionen und Wissenschaftsministerien, beispielsweise im sozialdemokratisch regierten NRW. Die Juso-Hochschulgruppen schafften in ihrer Arbeit den Spagat zwischen einer zeigemäßen linken Rhetorik, reformistischen Überzeugungen und einem sozialdemokratischen Pragmatismus.

In Düsseldorf, wo ich von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre studiert habe, verband die Juso-Hochschulgruppe mit vielen anderen studentisch Aktiven der Einsatz für die Benennung der Universität nach Heinrich Heine. Diese zuerst studentisch-inoffizielle Namensgebung – erst Ende 1988 gab es eine Mehrheit im Senat (und damit war das Widerständige auch irgendwie verflogen) – bedeutete immer wieder Auseinandersetzung darüber, ob man die Hochschule nach einem progressiven, liberalen, jüdischen Dichter wie Heinrich Heine benennt. Dass das bis Ende der 80er Jahre strittig war, mag heute erstaunen. Die Diskussion zeigte einen Bruch zwischen Weltanschauungen, aber auch zwischen den Generationen. Während die Professorenseite mehrheitlich Heinrich Heine entweder als zu revolutionär oder zu unbedeutend ablehnte, sahen die Studierenden und allen voran der AStA mit einer starken Juso-Hochschulgruppe in der Namensgebung ein wichtiges Symbol. Das war auch ein Ausdruck für Reformen, für Mitbestimmung, für Offenheit und Wandel. Durch studentisches Engagement ist die Namensgebung der Heinrich-Heine-Universität erst möglich geworden.

Was die zweite Hälfte der 80er Jahre auch prägte: Die studentische „Linke“ war gespalten. Der – wie sich später heraus stellte tatsächlich aus der DDR finanzierte – dogmatische Block mit dem kommunistischen MSB Spartakus und dem mit ihm verbundenen SHB stand auf der einen Seite, die Juso-Hochschulgruppen und grün-alternativen Basisgruppen auf der anderen, der undogmatischen Seite. Diese Auseinandersetzung war nicht nur theoretisch. Sie hat etwas bedeutet und es ist bezeichnend, wie gut ich mich noch an die Tage nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 erinnere. Am nächsten Morgen war der AStA voll mit Studierenden, die Solidarität mit den Protestierenden in China organisieren wollten. Da ich im AStA-Vorstand war, war es für mich selbstverständlich, dieses Engagement aufzugreifen: Der AStA verwandelte sich in die Solidaritätszentrale derjenigen, die sich für die Menschenrechte in China engagierten. Der Dachverband der ASten, die Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS), zerbrach im Zuge dieser Diskussionen, nachdem Juso-HSGn und Basisgruppen die Mitgliederversammlung verließen, weil MSB und SHB sich weigerten, das Pekinger Massaker glaubwürdig zu verurteilen und teilweise sogar rechtfertigten.

Überhaupt, das Jahr 1989 war politisch sehr bewegend. Der Fall der Mauer war ein prägendes Ereignis. Der Bonner AStA, auch dort stellten die Jusos den Vorsitz, hatte unmittelbar darauf schon die ersten studentischen Gäste von der Uni Leipzig in den Westen geholt, die dann auch zu uns an die Heinrich-Heine-Universität kamen. Noch am selben Tag haben wir zur Uni-Vollversammlung eingeladen. Internet gab’s ja noch nicht, das lief alles über gedruckte Flugblätter. Die Versammlung war rappelvoll, die Leute hatten jede Menge Fragen und waren total gespannt, was die Leipziger Studierenden zu erzählen hatten. Gemeinsam mit dem Bonner AStA haben wir dann Kopierer und Druckmaschinen in den Osten gebracht, um die Studierendenvertretungen in der DDR überhaupt arbeitsfähig zu machen. Ende Januar 1990 veranstalteten wir in Düsseldorf den „1. DDR-BRD Student(inn)enkongress, der Mitte Februar in Leipzig fortgesetzt wurde. Da war alles in Bewegung, denn es gab eine wahnsinnige Euphorie nach dem Mauerfall. Wir dachten: Wir bauen eine bessere Gesellschaft. Es ging uns nicht um die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, sondern „Unser Haus ist Europa“ lautete das Motto.

Schon im Dezember 1989 entstand in Ostdeutschland im Zuge der friedlichen Revolution der Bund sozialdemokratischer Studierender (BSDS). Vertreterinnen und Vertreter der Juso-HSGn reisten sofort in die DDR, um Kontakte aufzubauen und zu helfen, wo es gewünscht war. Während ein erheblicher Teil der Linken an den westdeutschen Hochschulen die Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und dem so genannten „Sozialismus auf deutschem Boden“ als positiv empfand, hatten sich die Juso-HSGen mit ihrer antikommunistischen Haltung immer gegen die staatsbürokratische DDR-Diktatur gewandt. Dadurch waren sie bei den ostdeutschen Studierenden ein glaubwürdiger Ansprechpartner. 1991 schlossen sich die Juso-HSGn mit dem BSDS zusammen.

Wenn ich heute in meiner Arbeit als Bundestagsabgeordnete und als Parlamentarische Staatssekretärin an die Zeit an der Uni und auf den vielen Treffen der Juso-Hochschulgruppen zurückdenke, dann weiß ich, dass ich durch dieses Engagement viel gelernt habe. Der Schritt von notwendiger theoretischer Diskussion zu guter pragmatischer Politik ist meines Erachtens notwendig, damit Politik kein Selbstzweck ist. Das Engagement für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit, für gute Bildungschancen für alle, Emanzipation durch Bildung, das ist für mich sozialdemokratische DNA. Aber auch die harte Schule der Auseinandersetzung in Gremien, die damals an den Unis sehr homogen männlich und älter geprägt waren, hat Mut gemacht. Und nicht zuletzt: ich habe Freund:innen fürs Leben gewonnen, auf die ich mich verlassen kann. Viele der Ehemaligen sind heute in bundes- und landespolitischen Zusammenhängen aktiv und machen einfach gute Politik mit festen Grundsätzen. Auch mit denjenigen, die in die Wissenschaft oder in die Wirtschaft gegangen sind, verbindet mich, dass dieser Teamgeist des Engagements bei den Juso-Hochschulgruppen fürs Leben prägt und trägt.

aus: perspektiven ds 1/23, Seiten 23–25