Den Juso-Hochschulgruppen habe ich viel zu verdanken. Es war eine wunderbare Zeit, in der mein politisches Engagement an der Uni, in der Fachschaft und im AStA sowie bei den Juso-Hochschulgruppen auf Landes- und Bundesebene zum Lebensmittelpunkt wurde.
Es war eine Mischung aus Aktionen, vielen inhaltlichen Diskussionen, sich Ausprobieren. Das Engagement bei den Juso-Hochschulgruppen hat eine ganze Generation von Aktiven in der SPD geprĂ€gt. FrĂŒhe VerantwortungsĂŒbernahme in Gremien der Hochschulen, parlamentarische Erfahrung in Studierendenparlamenten, leidenschaftliche inhaltsreiche Debatten ĂŒber den richtigen (linken) Weg und Organisations- und Leitungskompetenz waren ĂŒberaus nĂŒtzlich fĂŒr spĂ€tere politische TĂ€tigkeiten. Von kritischer Wissenschaft bis zu Veranstaltungsorganisation, von Wahlkampf bis Gremienarbeit, von Feminismus bis ökologischer Verantwortung, von Sitzungsleitung bis zu Haushaltsaufstellung war alles dabei. Sogar die GeschĂ€ftsordnung des Bundestages spielte eine Rolle, wenn es in nĂ€chtlichen Studierendenparlamentssitzungen nicht mehr weiter ging und ich als ParlamentsprĂ€sidentin die Bundestagregularien zitierte, nach denen es im Zweifel immer weiter geht.
Es war fĂŒr mich ein Engagement, das leidenschaftlich an Inhalten orientiert war. Es ging immer um Theorie UND Praxis, pragmatische Politik mit inhaltlicher Tiefe: so habe ich die Arbeit der Juso-HSGn erlebt. Die im Zuge der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung entstandene Wissenschaftskritik, aus der heraus an einigen Unis WissenschaftslĂ€den entstanden, war ein wichtiges Thema, genauso wie der Feminismus. Das Frauenprojekt der Juso-Hochschulgruppen war sicherlich wegweisend fĂŒr die feministische Diskussion des Juso-Gesamtverbandes. Feministische Wissenschaft und Veranstaltungsreihen mit an deutschen Hochschulen seltenen Professorinnen spielten eine wichtige Rolle.
Auch wenn die âgroĂenâ Linien oft von allgemeinpolitischen Themen bestimmt wurden, lag der Schwerpunkt der tĂ€glichen Arbeit in der konkreten Hochschulpolitik. In vielen ASten waren die Jusos fĂŒr die Sozialreferate zustĂ€ndig, verwalteten die umfangreichen Haushalte der Studierendenschaften, und kĂŒmmerten sich um die Gremien der akademischen Selbstverwaltung sowie Studentenwerksangelegenheiten. Die Landeskoordinierungen der HSGn waren wichtige Ansprechpartner fĂŒr Landtagsfraktionen und Wissenschaftsministerien, beispielsweise im sozialdemokratisch regierten NRW. Die Juso-Hochschulgruppen schafften in ihrer Arbeit den Spagat zwischen einer zeigemĂ€Ăen linken Rhetorik, reformistischen Ăberzeugungen und einem sozialdemokratischen Pragmatismus.
In DĂŒsseldorf, wo ich von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre studiert habe, verband die Juso-Hochschulgruppe mit vielen anderen studentisch Aktiven der Einsatz fĂŒr die Benennung der UniversitĂ€t nach Heinrich Heine. Diese zuerst studentisch-inoffizielle Namensgebung â erst Ende 1988 gab es eine Mehrheit im Senat (und damit war das WiderstĂ€ndige auch irgendwie verflogen) â bedeutete immer wieder Auseinandersetzung darĂŒber, ob man die Hochschule nach einem progressiven, liberalen, jĂŒdischen Dichter wie Heinrich Heine benennt. Dass das bis Ende der 80er Jahre strittig war, mag heute erstaunen. Die Diskussion zeigte einen Bruch zwischen Weltanschauungen, aber auch zwischen den Generationen. WĂ€hrend die Professorenseite mehrheitlich Heinrich Heine entweder als zu revolutionĂ€r oder zu unbedeutend ablehnte, sahen die Studierenden und allen voran der AStA mit einer starken Juso-Hochschulgruppe in der Namensgebung ein wichtiges Symbol. Das war auch ein Ausdruck fĂŒr Reformen, fĂŒr Mitbestimmung, fĂŒr Offenheit und Wandel. Durch studentisches Engagement ist die Namensgebung der Heinrich-Heine-UniversitĂ€t erst möglich geworden.
Was die zweite HĂ€lfte der 80er Jahre auch prĂ€gte: Die studentische âLinkeâ war gespalten. Der â wie sich spĂ€ter heraus stellte tatsĂ€chlich aus der DDR finanzierte â dogmatische Block mit dem kommunistischen MSB Spartakus und dem mit ihm verbundenen SHB stand auf der einen Seite, die Juso-Hochschulgruppen und grĂŒn-alternativen Basisgruppen auf der anderen, der undogmatischen Seite. Diese Auseinandersetzung war nicht nur theoretisch. Sie hat etwas bedeutet und es ist bezeichnend, wie gut ich mich noch an die Tage nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 erinnere. Am nĂ€chsten Morgen war der AStA voll mit Studierenden, die SolidaritĂ€t mit den Protestierenden in China organisieren wollten. Da ich im AStA-Vorstand war, war es fĂŒr mich selbstverstĂ€ndlich, dieses Engagement aufzugreifen: Der AStA verwandelte sich in die SolidaritĂ€tszentrale derjenigen, die sich fĂŒr die Menschenrechte in China engagierten. Der Dachverband der ASten, die Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS), zerbrach im Zuge dieser Diskussionen, nachdem Juso-HSGn und Basisgruppen die Mitgliederversammlung verlieĂen, weil MSB und SHB sich weigerten, das Pekinger Massaker glaubwĂŒrdig zu verurteilen und teilweise sogar rechtfertigten.
Ăberhaupt, das Jahr 1989 war politisch sehr bewegend. Der Fall der Mauer war ein prĂ€gendes Ereignis. Der Bonner AStA, auch dort stellten die Jusos den Vorsitz, hatte unmittelbar darauf schon die ersten studentischen GĂ€ste von der Uni Leipzig in den Westen geholt, die dann auch zu uns an die Heinrich-Heine-UniversitĂ€t kamen. Noch am selben Tag haben wir zur Uni-Vollversammlung eingeladen. Internet gabâs ja noch nicht, das lief alles ĂŒber gedruckte FlugblĂ€tter. Die Versammlung war rappelvoll, die Leute hatten jede Menge Fragen und waren total gespannt, was die Leipziger Studierenden zu erzĂ€hlen hatten. Gemeinsam mit dem Bonner AStA haben wir dann Kopierer und Druckmaschinen in den Osten gebracht, um die Studierendenvertretungen in der DDR ĂŒberhaupt arbeitsfĂ€hig zu machen. Ende Januar 1990 veranstalteten wir in DĂŒsseldorf den â1. DDR-BRD Student(inn)enkongress, der Mitte Februar in Leipzig fortgesetzt wurde. Da war alles in Bewegung, denn es gab eine wahnsinnige Euphorie nach dem Mauerfall. Wir dachten: Wir bauen eine bessere Gesellschaft. Es ging uns nicht um die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, sondern âUnser Haus ist Europaâ lautete das Motto.
Schon im Dezember 1989 entstand in Ostdeutschland im Zuge der friedlichen Revolution der Bund sozialdemokratischer Studierender (BSDS). Vertreterinnen und Vertreter der Juso-HSGn reisten sofort in die DDR, um Kontakte aufzubauen und zu helfen, wo es gewĂŒnscht war. WĂ€hrend ein erheblicher Teil der Linken an den westdeutschen Hochschulen die Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und dem so genannten âSozialismus auf deutschem Bodenâ als positiv empfand, hatten sich die Juso-HSGen mit ihrer antikommunistischen Haltung immer gegen die staatsbĂŒrokratische DDR-Diktatur gewandt. Dadurch waren sie bei den ostdeutschen Studierenden ein glaubwĂŒrdiger Ansprechpartner. 1991 schlossen sich die Juso-HSGn mit dem BSDS zusammen.
Wenn ich heute in meiner Arbeit als Bundestagsabgeordnete und als Parlamentarische StaatssekretĂ€rin an die Zeit an der Uni und auf den vielen Treffen der Juso-Hochschulgruppen zurĂŒckdenke, dann weiĂ ich, dass ich durch dieses Engagement viel gelernt habe. Der Schritt von notwendiger theoretischer Diskussion zu guter pragmatischer Politik ist meines Erachtens notwendig, damit Politik kein Selbstzweck ist. Das Engagement fĂŒr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit, fĂŒr gute Bildungschancen fĂŒr alle, Emanzipation durch Bildung, das ist fĂŒr mich sozialdemokratische DNA. Aber auch die harte Schule der Auseinandersetzung in Gremien, die damals an den Unis sehr homogen mĂ€nnlich und Ă€lter geprĂ€gt waren, hat Mut gemacht. Und nicht zuletzt: ich habe Freund:innen fĂŒrs Leben gewonnen, auf die ich mich verlassen kann. Viele der Ehemaligen sind heute in bundes- und landespolitischen ZusammenhĂ€ngen aktiv und machen einfach gute Politik mit festen GrundsĂ€tzen. Auch mit denjenigen, die in die Wissenschaft oder in die Wirtschaft gegangen sind, verbindet mich, dass dieser Teamgeist des Engagements bei den Juso-Hochschulgruppen fĂŒrs Leben prĂ€gt und trĂ€gt.
aus: perspektiven ds 1/23, Seiten 23â25