Berlin | Positionen

Wer beim Fest dabei ist

von Kerstin Griese

Lukas 14, 16-24: Die begehrten Gäste / Das große Abendmahl

16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.
21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

Wie habe ich diese Gleichnisse als Kind und Jugendliche geliebt. Jeden Sonntag im Kindergottesdienst wurde eine biblische Geschichte erzählt, gespielt, gemalt, gebastelt und diskutiert. Diese Gleichnisse, die in so großer Zahl und Vielfalt in der Bibel zu finden sind, haben etwas Faszinierendes und zugleich Fremdartiges an sich. Die Person Jesus von Nazareth erzählt sie oder er ist Mittelpunkt der biblischen Erzählungen. Dieser faszinierende Mensch, der einfach so vorlebte, was es heißt, auf der Seite der Armen und Schwachen zu stehen, der uns heute immer wieder erstaunen lässt, der hat mich schon als Kind fasziniert.

Die Gleichnisse kommen offensichtlich aus einer anderen Kultur des Erzählens und Erklärens als unsere. Wir wollen es gern abstrakt, klar und nüchtern hören, was uns jemand sagen will. Jesus aber dringt über die Hintertür ein. Er erzählt wie orientalische Geschichtenerzähler erst breit, anschaulich und bilderreich, bis ganz kurz und knapp die Essenz des Ganzen genannt wird. Beinahe kann man sich so in die Erzählung vertiefen, dass man das Ziel aus den Augen verliert.

Hier geht es um eine Einladung zu einem schönen Essen, einem großen Abendmahl. Essen und ganz besonders Kochen, das ist im 21. Jahrhundert zum Kult geworden. Kochshows auf jedem Sender, Kochbücher aus allen Ländern, Kochutensilien der Luxusklasse, auch in der Bibel geht es häufig ums Essen. Gemeinsames Essen als wunderbare Auszeit, als geselliges Miteinander, damals wie heute. Wir aber leben in einer Zeit, in der es Kinderarmut im reichen Deutschland gibt. Eine Zeit, in der Kinder keine Gemüse- und Obstsorten mehr erkennen oder gar damit schmackhaft kochen können. Ich erinnere mich an die Situation im Kindergarten im sozialen Brennpunkt, als die Erzieherinnen die Zutaten für einen Obstsalat auf den Tisch stellten und ein Kind rief: „Gib mir mal die Fanta!“ Dabei zeigte es: auf die Orange. Ich erinnere mich an die Begegnungen bei der Tafel für Bedürftige, für die Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes zum Überleben da sind. Und ich denke an den Pfarrer im ärmsten Stadtteil meiner durchaus reichen Heimatstadt, der seinen Kindergottesdienst am Samstagmorgen mit einem ausgiebigen Frühstück beginnt, weil die Kinder hungrig gar nicht zuhören würden, wenn er die biblischen Geschichten erzählt.

Dass es in der Politik viel komplizierter mit der sozialen Gerechtigkeit ist, als in den biblischen Gleichnissen, das wird uns täglich klar. Wie soll man mit Alg II-Sätzen ein Kind nicht nur ernähren, sondern gut fördern? Wie kann Teilhabe für die möglich werden, die keine Chancen in die Wiege gelegt bekommen? Wie finden wir die Balance zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge? Was tun, wenn Kinder vom Mittagessen in der Schule abgemeldet werden, weil in der Mitte des Monats das Haushaltsgeld aufgebraucht ist? Wie können Gesundheitsvorsorge und gute Ernährung allen Kindern zugute kommen? Wie ist ein würdiges Leben im Alter möglich?

Es ist eine Kraft, die mich als Politikerin antreibt, die sich aus den grundlegenden Werten und Überzeugungen speist, die im Kindergottesdienst in diesen Gleichnissen ihren Anfang nahm. Es ist der Geist der Liebe, der Kraft und der Besonnenheit. Es der Geist Gottes, der Grenzen überwindet und sich nicht um von Menschen gemachte Grenzen kümmert, den man als Quelle braucht, um im Politikalltag die Erdung zu finden und das Grundsätzliche nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn wir immer wieder Fehler machen: Das ist doch der rote Faden allen Engagements: Gerechtigkeit. Chancen für alle. Gleichberechtigung. Teilhabe.

Das Lesen von Lukas 14 bringt mich zu verstörenden Fragen: Wie ginge es mir mit so einer Einladung? Würde ich vor lauter Termindruck nicht auch erst zusagen und dann absagen? Einladungen zusagen und kurz vorher absagen, geht das eigentlich bei Gott? So frage ich mich: bin ich eingeladen gewesen und nicht gekommen? Hätte ich am großen Fest teilnehmen können und habe es doch verpasst, weil dieses und jenes wichtiger schien, z.B. dieses Telefonat, jener Antrag, E-Mails, ein Interview, die vielen Sitzungen… Gehöre ich zu denen, die zuerst geladen werden, oder zu den anderen, die zuletzt eingeladen werden? Gibt es ein zu spät? „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, damit hatte Michail Gorbatschow Erich Honecker gewarnt und kurz danach siegte die friedliche Revolution in der DDR.

Aus dieser Geschichte spricht eine große Arroganz der Eingeladenen. Die hier Angesprochenen halten ihre Ausreden für absolut entschuldbar. Sie nehmen sich die Freiheit, nein zu sagen. Der Clou bei der Geschichte ist anscheinend, dass die Eingeladenen gar nicht ahnen, was sich hinter dieser nahezu alltäglichen Einladung verbirgt. Es ist nicht weniger als das „Reich Gottes“, um das es geht. Aber keiner kommt auf den Gedanken, etwas dafür zu tun, einfach nur hinzugehen. Dabei verlieren sie das Reich Gottes aus den Augen.

Zum großen Abendmahl eingeladen sind die bei Jesus die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen, sogar die Heiden. Ohne Verdienst und Rangordnung. Heute würde man sagen: die sozial Schwachen – so missverständlich diese Bezeichnung auch ist. Sie gehören an diesen Tisch der Ehrlichkeit, in das Reich Gottes. „Es ist noch Raum da“ - das ist der Impuls für den Hausherrn, noch mehr Menschen einzuladen. Die Knechte ziehen auf die Straßen und übersteigen die Zäune. Sie treffen auf Menschen, die noch weniger damit gerechnet haben, eine solche Einladung zu bekommen, als die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen. Sie müssen geradezu „genötigt“ werden zu kommen.

Die eigentliche Frage dieser Geschichte lautet für mich: Sind die Armen nur die zweite Wahl? Oder werden die letzten die ersten sein? Wer sich an die weltlichen Güter klammert, wie all diejenigen, die die Einladung ablehnen, der kommt nicht ins Himmelreich.

„Kommt, denn es ist alles bereit.“ Diese wunderbare Einladung an alle Menschen steht am Anfang und am Ende der Geschichte. Die Einladung steht für alle offen, für die, die zuerst geladen werden, wie für die, die zuletzt geladen werden. Und vielleicht gibt es ja auch eine zweite Einladung? Davon steht in dieser Geschichte zwar nichts, aber doch in anderen? Menschen brauchen eine zweite Chance, immer wieder im Leben, in der Schule, auf dem Ausbildungsmarkt, im Berufsleben und immer wieder in privaten Beziehungen. Oft genug brauchen wir eine dritte und vierte Chance.

aus:
Claudia Schulz/Gerhard Wegener (Hg.), Wer hat
, dem wird gegeben: Biblische Zumutungen über Armut und Reichtum, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2009

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1.5.09

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