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Reformpolitik

Mit Inhalten punkten, statt mit Farben spielen

von Kerstin Andreae und Kerstin Griese

Die Diskussion über neue Farbenspiele ist ein beliebtes Thema für Journalisten wie für Politikerinnen und Politiker. Allein: es fehlt die Substanz. Reformpolitik muss sich an ihren Projekten und Ergebnissen messen lassen. Die Debatte über möglichst bunte Mischungsverhältnisse bringt in der Sache wenig.

Die rot-grünen Reformen waren nicht nur nötig, sondern auch erfolgreich und wir sind stolz darauf. Die Neuwahlen 2005 waren dagegen das Ergebnis der schwarz-gelben Bundesratsblockade gegen den erfolgreichen rot-grünen Reformkurs. Nach der Bundestagswahl von 2005 gab es zwar weiterhin eine Mehrheit jenseits von Schwarz-Gelb, die jedoch in der jetzigen Konstellation keine Koalitionsperspektive eröffnet. Die Union musste in der großen Koalition erst lernen, das Rad nicht einfach zurückzudrehen.

Zu Zeiten von Rot-Grün war die CDU/CSU nach den bleiernen Jahren der Ära Kohl reformpolitisch schlecht aufgestellt. Nicht nur bei den Arbeitsmarktreformen verhedderte sie sich in einer Dialektik von Widerstand einerseits und Daumenschrauben gegen Hilfebedürftige andererseits. Hätte Rot-Grün nicht mit der Reform der Sozialversicherungen den Zuwachs bei den Lohnnebenkosten gebremst und die arbeitsmarktpolitischen Instrumente erneuert, gäbe es heute trotz Wachstum keine neuen Arbeitsplätze.

Rot-Grün hat ein neues Verständnis vom Bürgerrecht durchgesetzt. Junge hier geborene Erwachsene können jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft wählen. Das Zuwanderungsrecht wurde mühsam gegen die Mehrheit im Bundesrat modernisiert. Und mit der Green Card hat die rot-grüne Bundesregierung erstmals um ausländische Spitzenkräfte geworben.

In der Umwelt- und Verbraucherpolitik hat Rot-Grün die Fenster geöffnet. Der Bioboom wäre ohne die neuen Förderinstrumente kaum denkbar. Mit der Ökosteuer haben wir den Energieverbrauch gesenkt und die Rente stabilisiert. Die Union hat diese Politik erst nach der Neuwahl akzeptiert. Rot-Grün hat das Steuer für die erneuerbaren Energien herumgerissen und hat den Atomausstieg unumkehrbar festgeschrieben. Währenddessen hält die Union noch immer an der Atomenergie fest. Wir haben allein mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz 235.000 neue Arbeitsplätze geschaffen – und im gesamten Bereich Umwelt und Klimaschutz arbeiten heute über 1,5 Millionen Menschen.

Mehr als zwei Drittel der Arbeitsplätze wurden im Mittelstand geschaffen. Rot-Grün hat die Handwerksordnung reformiert und Gründungen erleichtert. Dagegen hat die Bundesratsmehrheit den Meisterzwang für Gewerbe wie Friseure, Glasbläser und Tischler gesichert.

Fast 50 Jahre lang hing die Politik der adenauerschen Illusion an: „Kinder kriegen die Menschen sowieso“. Erst Rot-Grün hat Ganztagsschulprogramme und den Ausbau der Kindertagesstätten auf die Tagesordnung gesetzt. Nicht mehr der Trauschein, sondern Kinder rückten in den Vordergrund. Und auch homosexuelle Paare haben endlich Rechte.

Generationengerechtigkeit wurde mit Rot-Grün zum Kern deutscher Haushalts- und Finanzpolitik. Die schwarz-gelben Landesregierungen verweigerten ihren Beitrag zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien.

Und: Deutschland hat unter Rot-Grün international Verantwortung übernommen – mit einer humanitären Außenpolitik und Militäreinsätzen als ultima ratio.

Warum schweigen wir also zu oft, statt die erfolgten Reformen hervorzuheben und weiter auf notwendige zu drängen?

Rot-Grün hat das Beharrungsvermögen der Menschen wie der Politik unterschätzt. Nach 16 Jahren „Weiter so Deutschland“ und „Die Rente ist sicher“ kam nicht über Nacht Reformeuphorie auf. Rot-Grün konnte der Verunsicherung der Menschen nicht richtig begegnen. Mit den Montagsdemonstrationen hätten die Erklärungen zunehmen müssen – nicht die Debattenbeiträge über den richtigen Auszahlungszeitpunkt für ALG II. Rot-Grün hätte seine Visionen stärker betonen müssen, statt ängstlich den Fokus auf Zumutbarkeits- und Anrechnungskriterien zu legen. Wir haben im Prozess der Reformen zu wenig über die Ziele, die Versprechen, die Chancen gesprochen, zu viel über die Zumutungen. Wir haben zu wenige Begründungen geliefert, um den weit verbreiteten Unsicherheitsgefühlen der Menschen entgegenzustehen.

Daraus lernen wir. Wir müssen unsere Reform-Ziele und Reform-Gründe betonen und besser vermitteln. Denn die Zeiten für eine sozial-ökologische Reformpolitik liegen nicht in der Vergangenheit, sondern die Herausforderungen liegen in der Zukunft.

Fünf Elemente sind Kernbestandteile einer sozial-ökologischen Zukunftspolitik, die sich von einer populistischen Linkspartei abgrenzt und stattdessen – im besten reformistischen Sinne – auf Aufklärung und Internationalismus setzt.

• Die Verantwortung für die nachkommenden Generationen ist nicht nur eine Frage der Umweltpolitik, sondern auch anderer Politikfelder. Entscheidend ist eine nachhaltige Finanzpolitik, die die Kosten von heute nicht als Hypotheken aufs übermorgen verschiebt.

• Wir brauchen eine verantwortungsvolle, die demographische Entwicklung berücksichtigende Sozialpolitik, die sich nicht an Besitzständen, sondern an der Sicherung der sozialen Grundprinzipien unserer Gesellschaft und der Absicherung neuer Risiken und unsteter Erwerbsverläufe orientiert.

• Eine moderne Familien- und Gleichstellungspolitik stellt die Vereinbarkeit von Kind und Beruf in den Mittelpunkt und wirft die „Herdprämien“-Konzepte von CSU bis Linkspartei auf den Müllhaufen der Geschichte.

• Der Klimaschutz darf kein Modethema sein, sondern muss eine strategische Marschroute der gesamten Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik sein.

• Wir vertreten keinen außenpolitischen Isolationismus und Populismus, sondern werden in der globalisierten Welt weiterhin Verantwortung übernehmen.

Zukunftspolitik geht nicht ohne spürbaren Kurswechsel. Reformpolitik kann erfolgreich sein, wenn sie nicht auf Zumutungen fixiert ist, sondern Chancen und Zukunftsinvestitionen klärt und erklärt. Die rot-grünen Reformen waren und sind richtig. Neue politische Farbenspiele sind kein Wert an sich. Jede Reformpolitik muss sich weiter daran messen lassen, inwieweit sie diese Impulse aufnimmt und fortführt.

Kerstin Andreae, geb. 1969; grüne Bundestagsabgeordnete seit 2002; Wirtschaftspolitische Sprecherin und stellvertretende Koordinatorin des AK 1 Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Finanzen, Haushalt; U 40.

Kerstin Griese, geb. 1966; sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete seit 2000; Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Mitglied im SPD-Partei- und Fraktionsvorstand, Netzwerkerin.

24.10.07

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