Bundestag | Reden

„Eines der kinderfreundlichsten Länder Europas werden“

Kerstin Grieses Rede am 21.4.2005 anlässlich der Debatte über den „Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen den „Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ ganz deutlich; denn er zeigt, dass wir die Verantwortung für die nachfolgende Generation übernehmen. Gleichzeitig machen wir klar: Kinder brauchen für ihr Aufwachsen die bestmöglichen Bedingungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir begrüßen auch die Erklärung der Bundesregierung, dass sie ihre Anstrengungen zur Erreichung dieses Ziels in den nächsten Jahren verstärken wird. Sie, Frau Ministerin, haben das hehre Ziel ausgegeben, dass Deutschland eines der kinderfreundlichsten Länder Europas werden soll. Wir als SPD-Fraktion teilen dieses Ziel und werden aktiv daran mitarbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?

Kerstin Griese (SPD): Ja, besonders weil sie heute Geburtstag hat.

(Klaus Haupt [FDP]: Wie meinen Sie das mit dem Glückwunsch? – Heiterkeit)

– Das meine ich persönlich.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Kollegin, nachdem ich während der Rede der Kollegin Mantel keine Frage stellen durfte, möchte ich jetzt gerne die Gelegenheit dazu ergreifen. Frau Mantel hat in ihrer Rede behauptet, die Bundesregierung habe die Position der Regierung Kohl aus dem Jahre 1998 übernommen und nichts in Bezug auf die Vorbehalte geändert. Wie ist Ihre Position dazu? Stimmen Sie mir zu, dass der Bund nach dem so genannten Lindauer Abkommen zwischen dem Bund und den Ländern die Vorbehaltserklärung – es ist eine Vorbehaltserklärung und keine Interpretation – nicht im Alleingang zurücknehmen kann und dass dieses Verfahren in dieser Form noch nicht stattgefunden hat? Unser Wunsch und Wille ist – darauf werden wir auch im Sinne der weiteren Kooperation beharren –, dass die Länder hier mit uns an einem Strang ziehen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)

Kerstin Griese (SPD):

Vielen Dank. Wir haben in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag drei- oder viermal gemeinsam beschlossen, dass wir die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen wollen. Das ist also der Wille des Parlaments. Ich bin Bundesministerin Renate Schmidt sehr dankbar, dass sie noch einmal die Initiative ergriffen und alle Bundesländer angeschrieben hat, weil in dem Lindauer Abkommen, das Sie schon erwähnt haben, festgelegt ist, dass für solche Entscheidungen die Zustimmung der Länder nötig ist.

Interessant waren die Reaktionen auf dieses Schreiben. Beispielsweise haben sich die Länder Berlin, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sehr positiv dahin gehend geäußert, die Vorbehalte zurückzunehmen, die unionsregierten Länder aber nicht. Es geht hier um fünf Punkte. Vier von diesen fünf Punkten haben wir durch bundesgesetzliche Regelungen bereits zurückgenommen – diejenigen, die sich damit beschäftigen, werden das wissen –: Das bezieht sich auf Änderungen im Kindschaftsrecht, eine kinder- und jugendgerechte Auslegung des Jugendstrafrechts, das Fakultativprotokoll, in dem es um die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten geht. Sie sehen, das, was wir von Bundesseite aus tun können, haben wir getan, um diese Vorbehalte zurückzunehmen. Meine Aufforderung richtet sich an die Länder, unserem Vorschlag zuzustimmen, diese Vorbehalte insgesamt zurückzunehmen. Das wäre auch kinderfreundlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])

Im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan möchte ich mich auch bei den Nichtregierungsorganisationen sehr herzlich bedanken, besonders bei der National Coalition, bei den Kindern und Jugendlichen, die mitgearbeitet haben, und auch bei der Kinderkommission des Deutschen Bundestages. Ich bedanke mich auch beim Deutschen Bundesjugendring, der heute diesen Nationalen Aktionsplan ausdrücklich begrüßt hat und weiter intensiv an der Umsetzung mitarbeiten will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unser gemeinsames Ziel ist es, dass Deutschland kinderfreundlicher wird. Wir haben eine neue Qualität der Debatte: Immer mehr Kommunen, Wirtschaftsunternehmen und auch die Kirchen lassen sich in die Verantwortung nehmen. Ich will ein positives Beispiel aus dem schönen Bundesland Nordrhein-Westfalen, aus dem ich komme, anführen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat unter dem Motto „Kinder fördern – Zukunft sichern“ sehr viel getan, um die Zukunftschancen für Kinder und Jugendliche zu verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

99,6 Prozent der Kinder haben einen Kindergartenplatz. 100 000 Kinder mit Migrationshintergrund besuchen derzeit einen Kindergarten. Das sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Laufende Sprachfördermaßnahmen setzen schon vor der Einschulung ein, um Kinder mit sprachlichen Defiziten zu fördern. Es geht darum, Chancengerechtigkeit zu verwirklichen. Dieser Nationale Aktionsplan zielt darauf ab, dass Länder und Kommunen mitarbeiten. NRW hat bereits eine Bildungsvereinbarung abgeschlossen, in der die wichtigsten Bildungsziele für die Kindertageseinrichtungen beschrieben sind.

NRW geht auch mit einem anderen Beispiel positiv voran, nämlich bei den Ganztagsgrundschulen. 785 offene Ganztagsgrundschulen gibt es bereits in NRW, 600 neue sind für 2005 und 2006 geplant. Damit liegt NRW an der Spitze. Der internationale Vergleich zeigt uns, dass Kinder, die ganztags miteinander lernen und gefördert werden, ganz vorne mit dabei sind.

Interessant ist, wie dieses Programm entstanden ist. In NRW hat sich die CDU geradezu fanatisch gegen das Ganztagsschulprogramm gestellt, bis sie von ihren eigenen kommunalen Vertreterinnen und Vertretern, Bürgermeistern und Stadträten überholt wurde, die wie auch die Bürgerinnen und Bürger diese offenen Ganztagsgrundschulen natürlich wollen. Sie sind die zeitgemäße Antwort auf die Frage, was wir tun können, um Kindern mehr Chancen zu bieten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch im Bereich der Betreuung der unter Dreijährigen geht Nordrhein-Westfalen voran. Bis zum Jahr 2010 sollen mindestens 90 000 Plätze für unter Dreijährige geschaffen werden. Schon in diesem Jahr beteiligt sich das Land an der Finanzierung von 12 000 Plätzen.

(Klaus Haupt [FDP]: Was gibt es noch Neues in Nordrhein-Westfalen?)

Mit dem Programm „Zweijährige in den Kindergarten“ werden die jetzt frei werdenden Plätze umgewandelt, damit auch Kinder unter drei Jahren in Kindergärten kommen können.

Nordrhein-Westfalen hat ein sehr interessantes Programm gestartet, das wir uns anschauen sollten. Es wird ja manchmal vergessen, dass wir Hartz IV gemeinsam beschlossen haben. Im Rahmen der Umsetzung von Hartz IV und im Sinne einer kinderfreundlichen Politik hat Nordrhein-Westfalen beschlossen, erstmals aus Mitteln der Arbeitsmarktpolitik Betreuungsplätze für die Kinder von Langzeitarbeitslosen zu fördern. Das trifft genau das, was Sie, liebe Frau Kollegin Fischbach, angesprochen haben, nämlich dass wir alle gemeinsam etwas dafür tun müssen, um Kinderarmut zu bekämpfen und Kindern mehr Chancen zu geben. Das können wir nur, wenn die Eltern – häufig sind es auch Alleinerziehende – aus der Arbeitslosigkeit und der Armut herausgebracht werden. Deshalb halte ich das, was Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen hat, für so wichtig.

Es geht – das zeigt auch der Armuts- und Reichtumsbericht – bei Armut nicht nur um materielle Not, sondern besonders um Bildung, Chancen und Infrastruktur. Daran fehlt es gerade für die Kleinsten in unserer Gesellschaft.

(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen!)

Da wollen wir ansetzen, um das Armutsrisiko von Familien zu senken. Das tun wir mit vielen Transferleistungen, die diese Bundesregierung verbessert hat; wir tun es aber auch mit Maßnahmen für Alleinerziehende sowie für Eltern, damit diese endlich wieder in Arbeit kommen; denn das ist die beste Armutsprävention.

Ich will noch auf das wichtige Themenfeld der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen eingehen. Kinder haben Rechte. Diese Rechte zu stärken und Kinder und Jugendliche stärker an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen ist unser Ziel. Das hat der NAP, der Nationale Aktionsplan, schon in der Phase seiner Erarbeitung gezeigt. Das wird jetzt auch das Monitoring über die Umsetzung zeigen.

Im Rahmen der Initiative „Projekt P – misch dich ein“ hat die Bundesebene zusammen mit dem Deutschen Bundesjugendring viele Projekte gestartet. Dazu gibt es ein gutes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Dort wurde schon im letzten Jahr der Pakt für Kinder geschlossen, ein Pakt, der die Rechte der Kinder und Jugendlichen stärkt und ihre Beteiligung unterstützt. Er ist gemeinsam mit Kirchen, den kommunalen Spitzenverbänden, dem Landesjugendring, dem Deutschen Kinderschutzbund und vielen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe geschlossen worden. Ich wünsche mir von vielen Bundesländern, dass dort ebenfalls ein solcher Pakt für Kinder geschlossen wird, dass wir den Nationalen Aktionsplan, den wir auf Bundesebene haben, in den Bundesländern und den Kommunen umsetzen und dass wir alle daran mitarbeiten, dass Deutschland eines der kinderfreundlichsten Länder Europas wird. Zu dieser Mitarbeit rufe ich Sie alle auf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

21.4.05

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