Berlin | Reden

Koalition lehnt weitere Verbote im Jugendschutz ab

Kerstin Grieses Rede am 4.4.2003 in der zweiten Lesung des Bundesratsentwurfes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes

Kerstin Griese (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute abschließend einen Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, der vom Bundesrat eingebracht worden ist. Wir haben über das Thema Jugendschutz schon häufiger debattiert. Dieses Thema ist in dieser Woche ganz besonders aktuell; denn am 1. April ist das neue Jugendschutzgesetz in Kraft getreten. Es ist kein Aprilscherz. Es ist ein sehr gutes Gesetz, das am Dienstag in Kraft getreten ist: unser neues Jugendschutzgesetz, das viele Fortschritte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen bietet und das auf die neuen Herausforderungen durch das Internet und durch die Medienvielfalt adäquat reagiert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sprechen über das Thema Jugendschutz in einer Zeit, in der sich viele Kinder und Jugendliche gegen den Krieg im Irak engagieren. Es ist auch eine Zeit, in der wir uns intensiver mit der Frage beschäftigen müssen, wie gerade Kinder mit dem umgehen, was sie in den Medien an Gewalt, an Krieg und an Terror sehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen wahrscheinlich so wie mir: Ich bin von der Intensität, mit der sich Kinder und Jugendliche mit der aktuellen Entwicklung beschäftigen, tief beeindruckt. Ich bin auch von dem großen Engagement beeindruckt, mit dem sie sich für friedliche Lösungen und gegen Gewalt einsetzen. Das ist übrigens – das sei nur nebenbei bemerkt – ein gutes Argument gegen das Geschwätz von der unpolitischen Jugend.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Nach vielen Gesprächen, die ich dazu geführt habe, bin ich sehr nachdenklich geworden in der Frage, was wir Kindern in den täglichen Nachrichten eigentlich zumuten, zumal sie häufig auch allein vor dem Fernseher sitzen.
Besonders beeindruckt hat mich der Besuch in einer vierten Grundschulklasse in meinem Wahlkreis in Heiligenhaus. Dort haben Kinder – Viertklässler! – aus eigener Initiative fast 700 Unterschriften gegen den Krieg gesammelt und mir überreicht. Sie wollten sehr viel darüber sprechen. Sie hatten ein ganz großes Bedürfnis, über das, was sie an Gewalt im Krieg sehen, zu sprechen. Sie alle gucken fast täglich Nachrichten, viele leider ohne Eltern oder ältere Geschwister, die ihnen helfen könnten, das Geschehene zu verarbeiten. Kinder und Jugendliche sind außerordentlich gut informiert und sehr bewegt von dem, was sie über den Krieg und über die Opfer von Gewalt erfahren. Es geht in diesem Fall leider nicht um fiktive Gewalt, über die wir im Jugendmedienschutz so häufig sprechen, sondern um reale Gewalt, die für Kinder und Jugendliche häufig noch viel schwerer zu verarbeiten ist.
Angesichts eines Teils der Berichterstattung in den Medien frage ich mich – das sollte man bei diesem Thema auch einmal ansprechen –, ob es wirklich notwendig ist, in so reißerischer Form und mit so auf Sensation bedachten Live-Reportagen den Krieg quasi direkt ins Wohnzimmer zu senden. Deshalb appelliere ich an die Verantwortlichen der Medien, nicht nur in dieser aktuellen Situation, sondern auch grundsätzlich darüber nachzudenken, wann was im Fernsehen gesendet wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Diese aktuellen Entwicklungen, die ich als Ausgangspunkt gewählt habe, zeigen mir noch einmal, wie wichtig es ist, dass Kinder sowie Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer Medienkompetenz entwickeln können. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, Fiktion und Realität zu unterscheiden, kritisch mit Medieninhalten umzugehen, dass Sie lernen, dass Medien manipuliert werden können und dass das, was im Fernsehen gezeigt wird, nicht immer die Wahrheit ist. Es ist sehr nötig, qualitativ gute, pädagogisch sinnvolle und kindgerechte Angebote bereitzuhalten. Es gibt ein hohes Maß an Mitempfinden und an Einfühlungsvermögen bei jungen Menschen und wir sollten darauf setzen, Kinder und Jugendliche zu schützen und zu stärken.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
„Gute Seiten, schlechte Seiten“, so könnte man in Anlehnung an eine beliebte Fernsehserie zusammenfassend über das Internet sagen. Im Internet gibt es gute Seiten und schlechte Seiten. Wir brauchen mehr gute Seiten für Kinder und Jugendliche. Ich will hier einmal ein sehr gutes Beispiel nennen, ausdrücklich auch deshalb, weil es ehrenamtlich betrieben wird und meines Erachtens einer Förderung bedarf. Die Kindersuchmaschine mit der Internetadresse www.blinde-kuh.de bietet kindgerechte Informationen und hat sehr schnell auch auf den Irakkrieg reagiert. Kinder können dort nach Themen suchen, die sie interessieren. Wenn sie ein Thema eingeben, zu dem es keine Informationen gibt, geschieht direkt interaktiv eine Bearbeitung durch die Menschen, die diese Suchmaschine betreiben; sie stellen neue Informationen dazu ein. Man findet dort auch einen Zusammenschluss unter der Internetadresse www.seitenstark.de. Das ist eine Kooperation von Kinderseiten im Internet.
Dieses Engagement will ich ausdrücklich würdigen; denn ich halte das für einen sinnvollen Beitrag zum Kinder- und Jugendmedienschutz. Das hilft den Kindern, den Umgang mit dem Internet zu lernen. Auf diese Weise haben Eltern und Erziehende die Gewissheit, dass ihre Kinder dort gute Seiten finden und nicht mit Gewalt oder Pornographie konfrontiert werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Noch etwas ist in dieser Woche in Kraft getreten, nämlich das neue Waffenrecht. Da wir hier auch insgesamt über das Thema „Gewalt und Jugendliche“ diskutieren, muss man es erwähnen. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – damit komme ich auch auf Ihren Bundesratsentwurf zu sprechen –, dass ich mich in der Debatte sehr gewundert habe. Sie von der Opposition setzen im Bereich Jugendschutz ausschließlich auf Verbote, haben aber in der Debatte um das Waffenrecht unser Anliegen, Kinder und Jugendliche stärker von Waffen fernzuhalten, abgelehnt, weil Sie das für eine Einschränkung der Freiheit und für den halben Weltuntergang halten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es gut und richtig, dass seit dieser Woche auch der Besitz von Pumpguns, Wurfsternen und gefährlichen Messern verboten ist; denn auch das ist für den Jugendschutz sicherlich wichtig. Ich finde es ebenfalls richtig, dass die Altersgrenzen für den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen angehoben wurden; allerdings kann ich mich noch sehr genau an den Protest aus Ihren Reihen, aber auch von zahlreichen Vereinen erinnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU, die die Änderungsvorschläge des Bundesrates, die uns heute vorliegen, unterstützt – die FDP tut das meines Wissens ja nicht –, geht mit diesem Bundesratsentwurf meines Erachtens in die falsche Richtung und nimmt nicht zur Kenntnis, welche Fortschritte mit dem neuen Jugendschutzgesetz schon erreicht worden sind. Seit Dienstag dieser Woche ist es in Kraft; wir sollten erst einmal sehen, was sich bewährt und wo dann eventuell noch Änderungen notwendig sind. Wir haben sehr viele positive Reaktionen auf das neue Jugendschutzgesetz bekommen.
Ich will hier einige wichtige Bestandteile nennen. Zeitgleich mit dem neuen Jugendschutzgesetz ist ja auch der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft getreten. Damit ist der Jugendschutz in Deutschland auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, die die richtigen Antworten auf die technischen Entwicklungen und die gesellschaftlichen Veränderungen gibt – soweit sie ein Gesetz überhaupt geben kann. Ich sage das bewusst, denn ein Gesetz allein reicht nicht aus. Vielmehr brauchen wir weitere Bemühungen, um Medienkompetenz zu fördern, aber auch zur Verbesserung von Bildung und Betreuung, damit Deutschland ein kinderfreundlicheres Land wird. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben hier einen Schwerpunkt gesetzt und werden in dieser Wahlperiode vieles auf den Weg bringen, um Kinder und Jugendliche zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass auch die Opposition einige der neuen Regelungen des Jugendschutzes begrüßt. Wir sind uns ja einig, dass das Verbot, an Jugendliche unter 16 Jahren Tabak und Zigaretten abzugeben, positiv ist. Mit diesem Abgabeverbot nehmen wir auch die Händler und die Automaten- und Zigarettenindustrie in die Verantwortung. Zigarettenautomaten sind – nach einer überaus langen Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2007 – nur noch zulässig, wenn eine Bedienung durch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ausgeschlossen ist. Neu ist jetzt auch das Verbot, in Kinos vor 18 Uhr Werbefilme für Tabak und Alkohol zu zeigen.
Für einen besonders wichtigen Schritt im Zuge unseres neuen Jugendschutzgesetzes halten wir die Einführung von Alterskennzeichnungen auf allen Medien, also auch auf Computerspielen, die auf CD-ROMs, DVDs oder Videos sind. Nur der Altersstufe entsprechend freigegebene Angebote dürfen Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Mit dem 1. April diesen Jahres sind diese Alterskennzeichnungen der USK verbindlich: Der Verkäufer muss kontrollieren, ob das Alter des Käufers und der Aufkleber auf dem Spiel zusammenpassen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bekommt das Recht, Spiele schneller und aus eigener Initiative zu prüfen. Auch das halte ich für einen guten und richtigen Schritt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Interessant ist auch – der Jugendschutz ist ja ein Bereich, bei dem wir alle gefordert sind, darauf zu achten, dass er umgesetzt wird, und auch einmal Händler, Wirte oder Kellner darauf anzusprechen, ob sie es denn tatsächlich richtig handhaben –, dass DVDs oder CD-ROMs, die Fachzeitschriften beiliegen, entweder kein jugendgefährdendes Material enthalten dürfen oder altersgekennzeichnet sein müssen.
Sehr wichtig ist, obwohl das immer wieder anders behauptet wird, dass jetzt die Regelungen für schwer jugendgefährdende Medien verschärft worden sind: Trägermedien, also Videos, DVDs und Spiele, die den Krieg verherrlichen oder Menschen in einer Weise darstellen, die die Menschenwürde verletzt, oder die Jugendliche in einer unnatürlichen, geschlechtsbetonten Körperhaltung zeigen, sind mit Indizierungsfolgen belegt. Das heißt praktisch: Durch Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverbote werden sie aus dem Verkehr gezogen. Das haben wir durch das neue Jugendschutzgesetz bereits geregelt. Wichtig ist, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien alle neuen Medien indizieren und auch dann tätig werden kann, wenn kein Antrag gestellt wird. Wir haben es ja in den letzten Wochen schon erlebt, dass sie bei der Indizierung von Spielen sehr viel schneller tätig werden konnte.
Der 1. April dieses Jahres, der Tag des In-Kraft-Tretens des neuen Jugendschutzgesetzes, war ein guter Tag für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland. Lassen Sie uns gemeinsam die Umsetzung des neuen Gesetzes beobachten! Lassen Sie uns Kinder und Jugendliche schützen und stärken, statt sie immer nur mit Verboten zu belegen! Wir nehmen nämlich Kinder und Jugendliche ernst und haben einen modernen und zeitgerechten Jugendschutz geschaffen, um die Situation zu verbessern. Der Bundesratsentwurf führt allein dazu, dass noch mehr Verbote ausgesprochen werden, und ist in einigen Punkten übrigens auch nicht sachgerecht, zum Beispiel in Bezug auf die Indizierung und das Verbot von schwer jugendgefährdenden Medien. Deshalb bitte ich Sie, unser neues Jugendschutzgesetz zu begrüßen und den Bundesratsentwurf abzulehnen.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

8.4.03

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