Berlin | Reden

„Überbleibsel aus Herrn Stoibers Wahlkampf“

Kerstin Grieses Rede am 17.1.2003 in der ersten Lesung des Bundesratsentwurfs zur Änderung des Jugendschutzgesetzes

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatsministerin, wir haben hier im letzten Sommer, im Juni 2002, ein neues Jugendschutzgesetz beschlossen. Darin sind viele gute Dinge enthalten. Ich freue mich sehr, dass dieses Gesetz am 1. April in Kraft treten kann. Dann können wir darüber diskutieren, was sich dadurch in der Praxis verbessert. Es kann am 1. April Geltung erlangen, wenn auch der Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk- und Telemedien in Kraft tritt; denn vieles darin ist Länderangelegenheit. Deshalb beraten wir hier den Bundesratsentwurf.
Ich will deutlich machen, was unser Konzept von Jugendschutz und Jugendpolitik ist. Unsere oberste Priorität, unsere Leitlinie ist, Jugendliche zu stärken und zu schützen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen Jugendliche stark machen gegen Gewalt und wollen sie schützen vor Gewalt und Gewaltdarstellungen. Dazu gehört – das vergessen Sie gerne –, die Medienkompetenz zu stärken, damit Jugendliche mit den neuen Medien umgehen können, damit sie lernen, die neuen Medien kritisch einzuschätzen, damit sie aber auch deren Chancen sinnvoll nutzen können. Darüber hinaus müssen aber auch die Eltern und die Erziehenden in ihrer Medienkompetenz gestärkt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendschutz gewährleistet das Recht junger Menschen auf Schutz und Integrität ihrer Persönlichkeit, er gewährleistet die Integration in die Gesellschaft und die Teilhabe an der Gesellschaft. Deshalb dürfen wir Jugendliche nicht einfach wegsperren, sondern müssen sie stark machen und müssen ihre Kreativität und Kompetenz fördern. Dieses Verständnis eines optimalen Jugendschutzes finden Sie in dem Gesetz, das wir im letzten Sommer beschlossen haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Gesetz wurde übrigens nach sehr intensiven Beratungen beschlossen. Das sage ich ausdrücklich, da Sie nämlich immer wieder behaupten, dass es nicht so gewesen sei. Im Vorfeld haben über zwei Jahre hinweg intensive Beratungen mit Fachleuten stattgefunden. Der bayerische Entwurf, den wir heute hier als Bundesratsentwurf beraten, ist längst überholt und hilft nicht bei der Verbesserung des Jugendschutzes.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich entdecke schon beim Zuhören Fehler!)
In Ihrer Regierungszeit haben Sie es jahrelang nicht geschafft, den Jugendschutz den aktuellen Erfordernissen und den sehr deutlichen technischen Veränderungen anzupassen. Wir haben das gemacht. Wir haben zum ersten Mal durchgängige Alterskennzeichnungen für alle Spiele auf allen Medien eingeführt. Die Fachleute und Praktiker haben immer gefordert, nicht zu trennen, sodass auf Kinofilmen Alterskennzeichnungen zu finden sind, auf Videos, DVDs und Computerspielen aber nicht. Das haben wir geändert. Eltern, Erzieher und Schulen finden jetzt Angaben, welche Medien für Kinder und Jugendliche geeignet sind.
Wir haben erstmals – das halte ich für ganz wichtig – den Jugendschutz im Internet angepackt. Das haben Sie nicht gemacht, obwohl es das Internet seit 1985 gibt. Inzwischen hat mindestens die Hälfte aller Sechsjährigen bis 14-Jährigen Zugang zu einem Computer, etwa ein Fünftel dieser Altersgruppe surft mindestens einmal im Monat im Internet. Deshalb geht es darum, qualitativ hochwertige Angebote im Internet zu unterstützen, Angebote, bei denen sich Eltern und Erziehende sicher sein können, dass sie gut für ihre Kinder sind. Wir haben in der Debatte damals deutlich gesagt – das will ich auch heute betonen –, dass auch die positiven Ansätze wie Kinderportale oder Zugänge mit sinnvollen Angeboten wichtig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für uns steht die Förderung der Medienkompetenz im Mittelpunkt. Dazu haben wir schon viel getan. Im Rahmen des Programms „Schule ans Netz“ sind alle Schulen ans Netz gekommen.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Rüttgers!)
Jetzt soll die Jugendarbeit ans Netz kommen, damit die digitale Spaltung der Gesellschaft überwunden werden kann. Ich will nur ein Beispiel für ein gutes Angebot nennen, das sich gestern einige von uns beim Kinderhilfswerk ansehen konnten, nämlich www.kindersache.de. Das ist ein Portal, zu dem man Kindern guten Gewissens Zugang geben kann und in dem sie gute Angebote finden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie behaupten immer wieder, es wäre weiterhin möglich, schwer jugendgefährdende Trägermedien Kindern zugänglich zu machen. Das stimmt nicht. Mit dem neuen Jugendschutzgesetz haben wir den Katalog der schwer jugendgefährdenden Trägermedien, also Medien, auf denen schwer jugendgefährdende Inhalte zu sehen sind, um Gewaltdarstellungen und Darstellungen, die die Menschenwürde verletzen und die den Krieg verherrlichen, erweitert. Diese Medien unterliegen weit reichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten, die mit dem neuen Jugendschutzgesetz im April in Kraft treten werden.
Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist, dass wir auf internationaler Ebene den Jugendschutz verstärken wollen. Das Internet ist nun einmal ein World Wide Web; deshalb brauchen wir europäische und internationale Standards. Ich hoffe, dass wir uns in diesem Punkt alle einig sind, denn es bedarf der Unterstützung des gesamten Hauses, um auch auf internationaler Ebene solche Standards zu setzen.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist immer schon unsere Forderung gewesen!)
– Es ist schön, wenn wir das gemeinsam fordern.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das finde ich doch auch!)
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir das im April in Kraft tretende Jugendschutzgesetz ausführlich beraten haben. Es gab sehr viel Zustimmung aus Fachkreisen. Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daran erinnern, dass Sie sich bei der Abstimmung über dieses Gesetz – ich war nämlich dabei – enthalten haben. Interessanterweise haben die Länder im Bundesrat – dort haben Sie auch ein paar Stimmen – diesem Gesetz zugestimmt. Das heißt, es war ein gutes Gesetz und es war sinnvoll, dass dieses Gesetz im letzten Sommer verabschiedet wurde.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin froh, dass Sie dieses Gesetz im Bundesrat mit so breiter Mehrheit angenommen haben und die zuständigen Fachleute, auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende, wie sie jetzt heißt, Medien das Bemühen unterstützt haben. Wir werden dieses Gesetz nach fünf Jahren evaluieren – das ist festgelegt – und dann sehen, wie sich die Regelungen bewähren.
Ich will eine interessante Tatsache nicht verschweigen: Der zuständige Fachausschuss des Bundesrates, in dem die Fachminister sitzen, hat mehrheitlich beschlossen, den Antrag des Bundeslandes Bayern nicht einzubringen, hat ihn also mehrheitlich abgelehnt. Die Fachminister der Länder haben festgestellt – ich zitiere aus der Begründung – : „Mit dem Inkrafttreten dieses – also unseres im letzten Jahr beschlossenen – Jugendschutzgesetzes wird den gewandelten Anforderungen an einen effektiven Kinder- und Jugendschutz, insbesondere hinsichtlich der neuen Medien, Rechnung getragen und gleichzeitig eine wichtige Säule des Kinder- und Jugendschutzes, die Förderung der Medienkompetenz der Jugendlichen und Eltern berücksichtigt.“
Der bayerische Antrag hat im Fachausschuss des Bundesrates keine Mehrheit gefunden. Deshalb rate ich Ihnen, sich erst einmal bei den zuständigen Fachleuten aus der Praxis Rat zu holen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme auf einige Ihrer Vorschläge im Einzelnen zu sprechen:
Sie wollen die Telemedien neu definieren. Ich rate Ihnen, sich auch diesbezüglich mit den zuständigen Medienpolitikerinnen und -politikern – Frau Krogmann sehe ich jetzt nicht – zusammenzusetzen, denn es handelt sich um eine komplizierte Materie. Die von uns vorgesehene Definition von Telemedien wurde im Konsens mit den Ländern abgestimmt und ist deshalb umsetzbar.
Das Gleiche gilt für Ihren Vorschlag, die nutzerautonomen Filtersysteme zu streichen. Ich weiß, dass es innerhalb der CDU/CSU-Fraktion zwischen den Medien-, den Wirtschafts- und den Jugendpolitikern darüber schwere Auseinandersetzungen gibt. In der Fachwelt hat sich inzwischen längst die Überzeugung durchgesetzt, dass im Gegensatz zu pauschalen Filtern nur solche Filter, deren Kriterien klar sind und die von Eltern, Erziehenden und Lehrern eingesetzt werden können, weil sie selbst entscheiden können, was gefiltert werden soll, sinnvoll sind. Außerdem machen gute Angebote für Kinderportale Sinn. Auch in diesem Punkt ist Ihr Vorschlag hinter der Zeit zurückgeblieben.
Ich komme auf Ihren Vorschlag zu sprechen, zu der alten Regelung zurückzukehren, welche vorsah, dass Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren verboten wird, an elektronischen Bildschirmspielgeräten zu spielen, deren Nutzung Geld kostet. Das ist ein interessantes Thema. Wir haben das Kriterium verändert. Uns geht es darum, welche Inhalte auf diesen Geräten sind. Uns geht es um eine Alterskennzeichnung. Das Kriterium soll also nicht sein, ob das Spielen mit diesem Gerät 1 Euro kostet, sondern welche Inhalte und welches Programm dort vorhanden sind. Es gibt mit Sicherheit kostenfreie Zugänge zu jugendgefährdenden Medien; es gibt aber auch Zugänge zu sehr sinnvollen Lernprogrammen, die etwas kosten. Deshalb ist in der heutigen Zeit das Kriterium nicht das Taschengeld, sondern die inhaltliche Frage: Was schützt Kinder und Jugendliche?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Stewens, Sie suggerieren mit Ihrem Vorschlag in § 13 Abs. 3 des Jugendschutzgesetzes – Sie haben das wiederholt – fälschlicherweise, dass die Darstellung von gewalttätigen Handlungen, von Kriegsverherrlichung und sexuelle Darstellungen von Kindern Kindern zugänglich gemacht würden. Das ist falsch. Ich will es ganz deutlich sagen: Es ist strafbar, sexuelle Handlungen an Kindern überhaupt darzustellen. Wir reden also über das Strafgesetz. Es ist aber auch nicht zulässig, derartige Inhalte Kindern zugänglich zu machen. Natürlich ist das schon längst geregelt, und zwar in § 15 Abs. 2 des Jugendschutzgesetzes.
Sie haben ferner vorgeschlagen, das Indizierungsverfahren bei der Bundesprüfstelle, das sich sehr bewährt hat, zu verändern. Sie wollen von einer Zweidrittelmehrheit auf eine einfache Mehrheit gehen. Ich kann Ihnen nur raten, dabei sehr vorsichtig zu sein. Die Indizierung, die Zensur, ist ein sehr sensibles Thema. Deshalb halten wir an der Zweidrittelmehrheit fest, die sich in der Praxis positiv bewährt hat.
Alles in allem: Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist ein Überbleibsel aus Herrn Stoibers Wahlkampf. Den hat er verloren. Packen Sie diesen Entwurf lieber wieder ein und lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung eines modernen und effektiven Kinder- und Jugendschutzes arbeiten! Lassen Sie uns das neue Gesetz begleiten und auswerten! Wir sind natürlich bereit, gute Veränderungsvorschläge aufzunehmen. Lassen Sie uns nach den besten Lösungen im Sinne der Kinder und Jugendlichen suchen!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

17.1.03

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