Bundestag | Reden

„Gemeinsam die Zukunft gestalten“

Kerstin Grieses Rede am 11.3.2005 anlässlich der Großen Anfrage der CDU/CSU „Jugend in Deutschland“

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Klöckner, diese Schwarzmalerei passt eigentlich gar nicht zu Ihrem Gemüt.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Woher kennen Sie mein Gemüt?)

Wir sollten nicht alles schwarz malen, sondern wir sollten uns die Fakten einmal genau ansehen. Es gibt durchaus ernsthafte Probleme. Daher muss man ernsthaft nach Lösungen suchen und darf nicht billige Taktiererei betreiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Rekordhalter im Schuldenmachen ist immer noch Theo Waigel.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Man muss sich einmal die Entwicklungen ansehen, um erkennen zu können, was wir für die Zukunft unseres Landes und für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen tun können.

Wenn man einmal die verschiedenen Lösungen vergleicht, die die Opposition

(Anton Schaaf [SPD]: Da haben wir gar nichts gehört!)

und die SPD und die Grünen anbieten, dann kann man sehr deutliche Unterschiede feststellen. Herr Scheuer, ich möchte zunächst ein Beispiel aus Bayern anführen. Der Freistaat Bayern hat – unterstützt von der CDU/ CSU – in den Bundesrat das kommunale Entlastungsgesetz eingebracht. Schauen wir uns dieses Gesetz doch einmal genauer an. Es beinhaltet, dass soziale Leistungen in den Kommunen reine Sparmasse sein sollen und dass ein Finanzvorbehalt eingeführt werden soll. Das widerspricht aber dem, was im Sozialgesetzbuch steht, nämlich dass die Menschen ein Recht auf ein menschenwürdiges Dasein haben. Die von Ihnen geplante Einführung einer Finanzklausel würde dazu führen, dass die Ausgaben für Kinder und Jugendliche nur noch Manövriermasse wären.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie senden ein falsches Signal aus. Denn Ihre Vorschläge beinhalten, dass Menschen, die wirklich Hilfe brauchen, sie nicht in Anspruch nehmen können und dass sie nur zu einer finanziellen Belastung der Kommunen degradiert werden. Wir brauchen eine sozial gerechte Lösung. Wir müssen zwar die Finanzierbarkeit beachten. Aber die Hilfe für Menschen, die sie brauchen, muss im Vordergrund stehen. Die Konzepte der Union beinhalten dagegen nur Abbau von Rechten. Die Jugendlichen in Bayern sollten sich daher genau überlegen, wo sie ihr Kreuz machen.

Unsere Reform der Kinder- und Jugendhilfe sieht anders aus. Wir werden sie sinnvoll und nachhaltig weiterentwickeln. Wir werden dabei übrigens die Kommunen entlasten. Wir werden keine Ausgaben streichen, sondern wir werden dafür sorgen, dass jedes Kind und jeder Jugendliche, das bzw. der Hilfe braucht, diese Hilfe auch bekommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden die Jugendämter stärken und wir werden das Kinder- und Jugendhilfegesetz weiterentwickeln, um Missbrauch zu verhindern. Wir werden die Eingliederungshilfen zielgenauer formulieren und die Qualität sichern. Wir werden außerdem – auch das gehört zur sozialen Gerechtigkeit – finanzstarke Eltern stärker an den Kosten beteiligen. Es handelt sich also um eine gute und sinnvolle Weiterentwicklung von bestehenden Regelungen und um eine sinnvolle Investition in die Zukunft von Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel, das zeigt, wie wir die Chancen und Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen verbessern können. Es geht um den Bereich Ausbildung, der schon häufig angesprochen worden ist. Sie sollten nicht immer mit einem Finger auf andere zeigen; denn vier Finger zeigen auf Sie zurück. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, die Ausbildungssituation zu verbessern. Wir haben den Ausbildungspakt auf den Weg gebracht. Es zeigen sich bereits deutliche Erfolge. Es gibt mehr Ausbildungsplätze, weil sich Politik und Unternehmen verstärkt darum gekümmert haben, dass Jugendliche eine Chance bekommen.

Die Lösung, die Sie in Ihrem „Pakt für Deutschland“ vorschlagen, beinhaltet als einzigen Ansatz, die Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes zu verschärfen. Es wird dabei aber vergessen, dass darin weder die Vergütung noch Einstellungsvoraussetzungen geregelt werden. Mit den Änderungen im Jugendarbeitsschutzgesetz wollen Sie nur die Regelungen hinsichtlich der Arbeits- und Ruhezeiten für Jugendliche verschlechtern. Ich glaube, das ist nicht der richtige Ansatz, um Jugendlichen mehr Chancen auf Bildung zu geben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Ausbildungspakt ist ein Erfolg. Seit 2004 konnte die Zahl der Ausbildungsverträge zum ersten Mal wieder erhöht werden. Bundesweit wurden 573 000 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Das ist ein Plus von fast 3 Prozent. Ich sage aber sowohl an die Adresse der Unternehmen als auch an die Adresse der Politik sehr deutlich, dass das noch nicht genug ist. Aber diese Trendwende, die wir eingeleitet haben, ist ein erster richtiger Schritt.

Ein drittes Beispiel dafür, was wir Sinnvolles tun, ist der europäische Pakt für die Jugend. Wir haben heute schon über Identität und Werte gesprochen. Dies ist eine Diskussion, die ich für durchaus wichtig halte. Ich finde es deshalb gut, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen mit drei anderen Staats- und Regierungschefs die Errichtung eines europäischen Pakts für die Jugend vorgeschlagen hat, um die Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe in der Europäischen Union zu verankern und die junge Generation in Europa zukunftsweisend auszubilden, ihr Beschäftigungschancen zu geben und ihr natürlich auch, Frau Klöckner, Chancen auf Jugendaustausch zu geben. Ein solcher Austausch ist doch dazu da, dass man etwas lernt, mit diesem Wissen wiederkommt und es hier im Lande anwenden kann. Wir alle kennen Jugendliche, die an dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm des Bundestages teilgenommen haben, und wissen, wie sinnvoll es ist. Wir wollen aber, dass mehr Jugendliche diese Chance erhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns geht es darum, das, was im Weißbuch Jugend vorgesehen ist, nämlich Partizipation, Information und mehr Freiwilligendienste, tatsächlich in Deutschland zu verankern. Dafür haben wir wichtige Projekte gestartet; meine Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen.

Ich will zu einem weiteren Punkt etwas sagen; denn Sie behaupten immer wieder, wir hätten die Mittel für die Jugendverbände gekürzt. Das stimmt nicht. Wir haben im derzeitigen Haushalt – im Gegenteil – die Mittel im Kinder- und Jugendplan noch einmal um 2 Millionen Euro erhöht. Wenn man sich all die Streichungsvorschläge, die auf dem Tisch lagen, ansieht, kommt man zu dem Ergebnis, dass es viel schlimmer hätte aussehen können. Wir haben also die Mittel erhöht und zusätzlich EU-Mittel, die diese Summe um ein Vielfaches übersteigen, ganz gezielt im Bereich der Jugendlichen eingesetzt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Besonders wichtig ist dabei das Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. Die Mittel für dieses Programm haben wir – das wissen Sie; wir haben darüber diskutiert – nicht gekürzt. Wir halten diese Aufgabe vielmehr weiterhin für äußerst wichtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Deutsch-Polnische und das Deutsch-Französische Jugendwerk sind zwei wichtige Säulen des Jugendaustausches. Wir haben mit Tandem im Rahmen des deutsch-tschechischen Jugendaustausches und mit Con-Act im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches und jetzt neu mit dem deutsch-russischen Jugendaustausch einen wichtigen Schritt gemacht und finanzielle Mittel dafür eingesetzt, dass Jugendliche die Erfahrung des Jugendaustausches machen können.

Ich will in diesem Zusammenhang die gute und wichtige Arbeit der Jugendverbände ausdrücklich hervorheben, die einen wertvollen Beitrag dafür leisten, dass Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft lernen, solidarisch und demokratisch miteinander aufzuwachsen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Diese Arbeit unterstützen wir im Kinder- und Jugendplan.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dass wir hoffentlich gemeinsam erkannt haben – dies müssen wir aber auch umsetzen –, dass die Integration von Jugendlichen besonders aus dem Kreis der Spätaussiedler und ausländischer Jugendlicher bzw. Jugendlicher mit Migrationshintergrund äußerst wichtig ist. Sie kennen vielleicht das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“. Dies ist ein wichtiges Programm, in das viele EU-Mittel fließen. Fast 1,8 Millionen Euro werden im Haushalt des Jugendministeriums zur Verfügung gestellt. Damit wird vor Ort, in den Stadtteilen, soziale Ausgrenzung bekämpft, werden Kompetenzen und Qualifikationen für die Zukunft erworben und Eigenverantwortung und soziales Engagement gestärkt. Es werden soziale Räume geschaffen, die eine Aus- und Weiterbildung ermöglichen. Das ist ein sinnvoller Schritt, um dies tatsächlich nachhaltig – da hat das Wort seine richtige Bedeutung – zu sichern.

Wir haben im Bereich des Internets große Fortschritte gemacht; darüber haben wir schon häufig diskutiert. Wir haben, nachdem die Schulen in Deutschland am Netz sind – obwohl wir dort gern noch mehr Computer und eine bessere Ausstattung hätten –, einen nächsten wichtigen Schritt mit der Bundesinitiative „Jugend ans Netz“ gemacht. Damit wird Jugendlichen in Jugendeinrichtungen die Möglichkeit eines Zugangs zu Computern und damit zum Internet gegeben. Das ist ein kostengünstiges Angebot. Das führt dazu, dass mehr Jugendliche auf das Internet zugreifen können.

Sie sehen, wir haben alles in allem viel getan, damit Jugendliche eine größere Perspektive und Chancen haben. Es geht darum, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen für Kinder und Jugendliche die Zukunft zu gestalten. Wir haben die Investitionen in Bildung und Ausbildung erhöht.

Dazu muss man ganz deutlich sagen: Ich glaube, es ist weitaus sinnvoller, in Bildungschancen, in Kinderbetreuung und in Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche zu investieren als weiterhin in die Eigenheimzulage. Das wäre ein Schritt, bei dem Sie beweisen könnten, dass Sie in die Zukunft investieren wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Wir haben die Angebote für Kinder und Jugendliche verbessert. Wir alle wissen, dass es heute für junge Frauen und Männer wichtig ist, dass die Kinderbetreuung ausgebaut wird, damit sie die Chance haben, ihre Kinderwünsche zu verwirklichen und damit Männer und Frauen sich tatsächlich gleichberechtigt berufliches Engagement und Erziehungsarbeit teilen können.

Dieses Thema gehört ebenso zur Jugendpolitik, auch wenn das in den 225 Fragen Ihrer Großen Anfrage nicht vorkommt. Die Masse macht ja bei den Anfragen oft nicht die Klasse. Auch wir haben in der letzten Wahlperiode eine Große Anfrage zur Jugendpolitik gestellt. Vielleicht schauen Sie noch einmal nach; wir haben 81 Fragen gestellt. Aber diese haben alle Themenfelder umfasst, die Kinder und Jugendliche angehen. Deshalb muss auch das, was wir im Bereich der Frühförderung von Kindern tun, eine wichtige Rolle spielen.

Alles in allem muss unser Motto lauten: „Auf ins Leben“, und zwar mit vielen guten Ansätzen, die die jungen Menschen unterstützen. Die „Rheinische Post“ schreibt auf der Titelseite ihrer heutigen Ausgabe: Die Jungen kommen. Ich glaube, wir brauchen keinen billigen Schlagabtausch. Wenn es darum geht, die Chancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, ist vielmehr eine ernsthafte Zusammenarbeit notwendig.

Wir haben als rot-grüne Koalition gute Ansätze gewählt und wirkliche Verbesserungen erzielt. Ich kann das für mein Bundesland Nordrhein-Westfalen bestätigen, wo mit einer nachhaltigen Jugendpolitik die Jugendarbeit deutlich gestärkt wird. Das werden die Jugendlichen auch merken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

14.3.05

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