Bundestag | Reden

„Zukunftschancen und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen“

Kerstin Grieses Rede am 23.11.2004 in der Haushaltsdebatte über die Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Pawelski, Sie haben es durch Ihre Antwort nicht besser gemacht. Im Gegenteil: Ich bin wirklich entsetzt, in welcher Art und Weise Sie hier Unterstellungen verbreiten.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das sind Fakten!)

Wenn es um das Thema Gewalt geht, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen: Diese rot-grüne Bundesregierung hat ein Gewaltschutzgesetz initiiert, damit endlich das Prinzip gilt: Das Opfer bleibt, der Täter geht.

(Beifall bei der SPD)

Diese rot-grüne Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass frauenspezifische Fluchtursachen Asylgrund sind. Dafür haben wir hart gekämpft, und zwar hauptsächlich gegen die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Die haben nichts gemacht!)

Um auf unser Thema, den Einzelplan 17, zu kommen: Ich bin froh, dass wir in unserem Haushalt 6,9 Millionen Euro für die gemeinwesenorientierten Projekte zur Integration haben. Ich bin froh, dass die Jugendmigrationsdienste fachlich zum Familienministerium gehören, in denen viel für die Integration getan wird, und ich bin froh, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung an der Demonstration in Köln teilgenommen hat. Ich danke ihr dafür und ich halte das für die richtige Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ja in dieser Debatte um den Haushalt des Familienministeriums viel über Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit gehört. Wenn wir noch das hinzunehmen, was wir zurzeit in den Zeitungen über die neue PISA-Studie lesen können, dann sehen wir sehr deutlich: Die mangelhafte Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland liegt auch an einer verfehlten Familienpolitik der 80er- und 90er-Jahre. Sie von der CDU/CSU und auch von der FDP haben es versäumt, mehr für Familien zu tun; Sie haben es versäumt, den dringend nötigen Wandel hinzubekommen, den Wandel nämlich, der erstens darin liegt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht wird, damit auch wieder mehr Kinder in bildungsnahen Schichten geboren werden. Zweitens haben Sie es versäumt, eine Politik zu machen, die Kindern und Jugendlichen Chancen ermöglicht, Chancen auf ein gutes Aufwachsen, Chancen auf gute Bildung, Betreuung und Erziehung von Anfang an, Chancen auf Integration und gesellschaftliche Teilhabe. Genau das betrifft ganz besonders Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, denen wir mit unseren Programmen für bessere Bildung, Betreuung und Erziehung diese Chancen geben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin froh, dass wir im Haushalt viele gute Ansätze für eine nachhaltige Kinder- und Jugendpolitik haben. Das ist meines Erachtens auch der beste Garant für den Zusammenhalt der Generationen, für mehr Generationengerechtigkeit und für ein soziales Miteinander von Jüngeren und Älteren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es hauptsächlich um eines: Die Zukunft von Kindern und Jugendlichen darf nicht von ihrer Herkunft abhängen. Chancengleichheit zu schaffen, das ist die zentrale Aufgabe einer guten Kinder- und Jugendpolitik. Mit unserem Ganztagsschulprogramm,

(Ina Lenke [FDP]: Kindergeld!)

mit der Verbesserung der Betreuung der unter Dreijährigen, mit der Einführung des Kinderzuschlages tun wir genau das: Zukunftschancen für Kinder ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Zukunftschancen – das heißt auch, dass wir wieder Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Angesichts eines Gesamthaushaltes, in dem – viele haben es ja schon beklagt – fast 78 Milliarden Euro Rentenzuschuss sind und fast 40 Milliarden Euro allein für die Schuldzinsen aufgewendet werden müssen – also nicht für den Schuldenabbau, vielmehr sind das erst einmal die Zinsen –, muss ich sagen, dass Sie von der Opposition in den Jahren Ihrer Regierung etwas gründlich falsch gemacht haben. Zumindest ist das kein zukunftsfähiges und nachhaltiges Erbe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ändern wir jetzt und machen eine Haushaltspolitik, mit der wir endlich wieder an die jungen und die nachfolgenden Generationen denken. Unser Vorschlag zum Beispiel, die Eigenheimzulage abzuschaffen und die frei werdenden Gelder in die Bildung und damit in die Zukunft unserer Kinder zu investieren, wird von Ihnen blockiert und das ist wahrlich kein Zeichen von Zukunftstauglichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Kerstin Griese (SPD):

Aber gern.

Ina Lenke (FDP):

Frau Griese, eine Kollegin von Ihnen hat uns, CDU/ CSU und FDP, vorgeworfen, dass wir zwischen 1988 und 1998 zu viele Schulden gemacht hätten.

(Zuruf von der SPD: Ist das nicht so?)

Ich frage Sie, ob Sie gegen die zusätzlichen Schulden aufgrund der deutschen Einheit waren – Sie waren ja damals noch nicht im Bundestag, genau wie ich – oder ob Sie jetzt nicht sagen, dass es gut war, dass Investitionen in den neuen Bundesländern getätigt wurden.

Kerstin Griese (SPD):

Frau Kollegin Lenke, ich war der Ansicht, dass es eine Fehlannahme war, zu glauben, man könne die deutsche Einheit mal eben aus der Portokasse mit Schattenhaushalten und immer mehr Schulden finanzieren.

(Ina Lenke [FDP]: Das hat damit gar nichts zu tun!)

Es ist die Frage, wo intelligente Investitionen getätigt werden können. Wir alle waren für die deutsche Einheit, aber es geht darum, sie auch solide zu finanzieren. Meine Kollegin Hagedorn hat Ihnen sehr deutlich vorgerechnet, welcher große Anteil der Schulden aus Ihrer Regierungszeit stammt. Wir sind diejenigen, die es endlich anpacken, daran etwas zu ändern. Darum geht es doch: dass wir jetzt endlich Schuldenabbau betreiben, damit Vertreter der zukünftigen Generationen in diesem Parlament noch etwas zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU – Zurufe von der SPD: Subventionsabbau, Frau Lenke!)

Ich will Ihnen konkret sagen, was wir im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend getan haben. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für die notwendige und richtige Erhöhung im Kinder- und Jugendplan, die im parlamentarischen Verfahren erzielt worden ist. Es ist mit vereinten Kräften erreicht worden, das um 2 Millionen Euro aufzustocken – trotz der schwierigen Haushaltssituation. Ich will mich ausdrücklich auch bei meiner Kollegin Hagedorn bedanken; denn hier muss auch einmal die Wahrheit gesagt werden. Mit ihrem Vorschlag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Erhöhung der Mittel für die Kinder- und Jugendverbände um 1 Million Euro mit einer Streichung beim Projekt „P“ gegenzufinanzieren, hätten Sie nur umgeschichtet; denn das Projekt „P“ betreiben die Jugendverbände und der Deutsche Bundesjugendring. Insofern war das keine solide Gegenfinanzierung. Die jetzige Situation ist mir eindeutig lieber.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erhöhung kommt den Freiwilligendiensten und der Jugendverbandsarbeit zugute und das zeigt, wie wichtig Rot-Grün die Kinder- und Jugendarbeit ist.

Ich will ausdrücklich die wichtige und gute Arbeit der Jugendverbände hervorheben; denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft. Dort können Jugendliche kreativ und solidarisch Eigenverantwortung lernen. Wir sind froh, dass die Zuschüsse im Kinder- und Jugendplan konstant gehalten werden können.

Das Projekt „P“ habe ich schon angesprochen. Ich will dem Deutschen Bundesjugendring ausdrücklich danken, dass es von ihm mitgetragen wird. Den Nichtjugendpolitikerinnen und -politikern möchte ich sagen, dass „P“ für Politik und Partizipation steht und nicht für Party, wie manchmal behauptet wird. Aber Politik darf auch mal Spaß machen. Mit dem Projekt „P“ wird jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, selber initiativ zu werden und sich einzumischen. „Come in Contract“ heißt das beim Bundesjugendring. Dort wird Demokratie eingeübt und praktiziert und den Politikerinnen und Politikern auf die Füße getreten, damit sich etwas bewegt. Dafür möchte ich mich bedanken; denn es zeigt, dass auch junge Menschen mündige, interessierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger sind.

Ich will einige weitere Punkte aufzählen, um zu verdeutlichen, dass es uns darum geht, Chancen für Kinder und Jugendliche zu sichern. Dazu gehören das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ und das Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“. Für Letzteres stehen 40 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds für die Jahre 2003 bis 2006 für sinnvolle Projekte in Stadtteilen und für soziale Integrationsprojekte zur Verfügung. Ich denke, die Beteiligung von 206 Kommunen an diesem Programm ist ein Erfolg. Auch das Freiwillige Soziale Trainingsjahr ist ein Erfolgsmodell.

Mit der Bundesinitiative „Jugend ans Netz“ wird Jugendlichen unabhängig von sozialer Herkunft und Bildungshintergrund der Zugang zu Computern und Internet ermöglicht. Auch das ist eine wichtige Aufgabe. In 55 000 Jugendeinrichtungen in Deutschland wird die Möglichkeit geboten, vor Ort online zu gehen und die Medienkompetenz von Jugendlichen zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte ein Thema ansprechen, das zurzeit im jugendpolitischen Raum heftig diskutiert wird. Die Kinder- und Jugendhilfe muss weiterhin Bundeskompetenz bleiben. Sie, Frau Tillmann, haben sich heute deutlich gegen diese Bundeskompetenz ausgesprochen.

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wo sind Sie gewesen?)

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss Bundeskompetenz bleiben. Eine rechtliche Zersplitterung kann nicht im Interesse der Menschen sein,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

kann nicht im Interesse von Kindern und Jugendlichen sein. Die unionsregierten Bundesländer stellen gerade die Bundeskompetenz beim Kinder- und Jugendhilferecht zur Disposition. Dagegen haben alle Fachleute und Verbände und auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages einstimmig protestiert.

Ich möchte jetzt auf die Frauen- und Familienpolitik eingehen, auch wenn das durchaus zwei getrennte Politikbereiche sind. Ich habe neulich im Radio den klugen Satz gehört: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine erschöpfte Frau.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das darf nicht so bleiben, meine ich als Sozialdemokratin. Wir wollen, dass es mehr erfolgreiche Frauen gibt – natürlich auch erfolgreiche Männer. Aber hinter ihnen soll nicht eine erschöpfte Frau stehen, sondern Männer und Frauen sollen gemeinsam Kinder erziehen und berufstätig sein können.

Genau das ist unsere Vorstellung von einer zukunftsfähigen Gesellschaft: dass Frauen und Männer gleichermaßen ihre gute Bildung anwenden können, dass sie erwerbstätig und im Berufsleben erfolgreich sein können und dass sie selbstverständlich Kinder haben und beides, Beruf und Kinder, gut und mit gutem Gewissen miteinander vereinbaren können. Deshalb sollte es eigentlich in Zukunft heißen: Hinter jeder erfolgreichen Frau steckt eine gute Kinderbetreuung. Dafür tun wir sehr viel!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hatte den Eindruck, dass Frau Kollegin Flachsbarth gerade die gleiche Rede wie bei der ersten Lesung des Haushalts gehalten hat. Daher kann ich nur noch einmal sagen: In der Anhörung im Deutschen Bundestag waren alle Experten einhellig der Meinung, dass das Tagesbetreuungsausbaugesetz gut und richtig ist und eigentlich noch verstärkt werden müsste. Die Fachleute waren der Ansicht, dass man eigentlich einen Rechtsanspruch schaffen müsste, sodass noch mehr Kindern unter drei Jahren die Möglichkeit von Bildung, Betreuung und Erziehung gegeben werden kann. Es gab eine deutliche Unterstützung des Kurses der Bundesregierung.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei Frau Bundesministerin Renate Schmidt dafür, dass sie so erfolgreich lokale Bündnisse für Familien angestoßen hat. Ich glaube, sie hat gestern das hundertste eröffnet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An vielen Orten in der Bundesrepublik engagieren sich ganze Kommunen für mehr Familienfreundlichkeit. Sie, Frau Ministerin, haben – das ist eine sehr wichtige Tat – mit der Allianz für die Familie auch die Wirtschaft mit ins Boot geholt, die jetzt – endlich, muss ich sagen – langsam erkennt, dass sie Verantwortung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat.

In diesem Sinne sage ich: Der Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzt die richtigen Schwerpunkte, setzt auf Chancen und Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, setzt auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ist vor allen Dingen zukunftstauglich. Dafür vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

3.11.04

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