Berlin | Reden

Kerstin Griese: „Ein Zeichen für Zukunftsfähigkeit“

Bundestagsrede zum Koalitions-Antrag „Ausbau von Förderangeboten für Kinder in vielfältigen Formen als zentraler Beitrag öffentlicher Mitverantwortung für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern“

Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute morgen habe ich im Radio den Satz gehört „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine erschöpfte Frau“. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten meinen: Das soll nicht mehr so sein. Denn es soll auch viel mehr erfolgreiche Frauen geben und natürlich auch erfolgreiche Männer. Aber hinter ihnen soll nicht eine erschöpfte Frau stehen, sondern sie sollen gemeinsam Kinder erziehen und berufstätig sein können.

Das ist unsere Vorstellung einer zukunftsfähigen Gesellschaft: dass Frauen und Männer gleichermaßen ihre gute Bildung anwenden können, dass sie erwerbstätig sein können, dass sie im Berufsleben erfolgreich sein können und dass sie selbstverständlich Kinder haben können und dass sie beides gut und mit einem guten Gewissen miteinander vereinbaren können. Deshalb sollte es eigentlich in Zukunft heißen „Hinter jeder erfolgreichen Frau steckt eine gute Kinderbetreuung“.

Eine Umfrage hat ergeben, dass 70 bis 80 Prozent der Frauen, die ein Kind oder mehrere Kinder haben, und die deswegen zuhause bleiben, gerne arbeiten gehen würden. Das zeigt uns ganz deutlich: Wir müssen mehr tun, um Frauen zu ermöglichen, mit Kindern berufstätig zu sein. Und wir müssen mehr tun, um Männern zu ermöglichen, mehr Zeit für ihre Kinder zu haben.

Bei unserer Politik für mehr und bessere Kinderbetreuung geht es um viele Beteiligte. Es um die gesamte Familie, um Chancen für die Kinder, aber auch um die Zufriedenheit der Eltern, die nur dann bessere Eltern sind, wenn sie auch ein zufriedenes Leben haben können und sich entscheiden können für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ich bin sehr froh, dass es inzwischen einigermaßen Übereinstimmung darin gibt, dass wir mehr investieren müssen in Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern. Diese Übereinstimmung gibt es zumindest in den hier vorliegenden Anträgen. Heute morgen war allerdings von der Opposition nichts davon zu hören, wie wichtig mehr Investitionen für Kinder für die Zukunft unseres Landes sind. Zu häufig wird das Thema ideologisch verbrämt, immer wieder gibt es gerade bei den Konservativen Vorurteile gegen Kinderbetreuung. Ich bin sehr dankbar, dass der Bundeskanzler heute Morgen in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht hat, welchen zentralen Stellenwert dieses Thema für die Zukunft unseres Landes hat. Ich bin sehr froh, dass er deutlich gemacht hat, dass Kinder eigentlich ein Synonym sind für Zukunft und Zuversicht, und dass das, was wir in der rotgrünen Bundesregierung und in der Regierungskoalition tun, die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen verbessern soll und verbessern wird.

Dabei steht, da sind wir uns sicherlich alle einig, das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Längst sind die Zeiten vorbei, wo man einen Blumentopf damit gewinnen konnte, indem man Kinderbetreuungseinrichtungen verteufelt hat oder gar von „Rabenmüttern“ sprechen konnte, die ihre Kinder „abgeben“. Das können zum Beispiel unsere französischen Nachbarinnen sowieso nicht verstehen, das Wort „Rabenmutter“ gibt es in anderen Sprachen noch nicht einmal. Wir alle wissen, spätestens seit den Studien der OECD, dass Kinderbetreuung vor allem gut ist für die Kinder, dass soziale Integration ermöglicht wird, dass Bildungschancen ermöglicht werden und dass es auch gut ist für die Eltern. Denn gerade für die Eltern bedeutet es, dass sie erwerbstätig sein können, dass sie Familie und Berufstätigkeit verbinden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie von der CDU/CSU fordern in ihrem Antrag zum Wiedereinstieg in den Beruf Dinge, die wir eigentlich größtenteils schon längst machen und das zeigt wieder einmal, wie sehr Sie eigentlich der Realität hinterherhinken. Es ist gut und schön, dass Sie feststellen, dass der Anteil der gut ausgebildeten weiblichen Arbeitskräfte steigt und dass der Bedarf an gut ausgebildeten und motivierten Frauen und Männern steigt. Das ist die Grundlage für den Beschluss der Bundesregierung gemeinsam mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, um die Chancengleichheit gerade in der Wirtschaft zu steigern. Diese Erkenntnis ist also nicht neu, allein Ihnen fehlt die Glaubwürdigkeit, auch tatsächlich etwas zu tun, um Veränderungen herbeizuführen, denn sie haben da in den 80er und 90er Jahren keine nennenswerten Initiativen oder Erfolge gezeigt.

Wir haben zum Beispiel mit dem neuen Bundeserziehungsgeldgesetz Neuregelungen geschaffen, die die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz deutlich verbessern. Wir wollen dabei auch die Beteiligung der Männer in der Familien- und Erziehungsarbeit stärken. Ich weiß, dass das immer noch ein Manko ist und dass nur etwa zwei Prozent der Männer auch tatsächlich Elternzeit nehmen. Da müssen die Männer besser werden. Aber da müssen auch Wirtschaft, Unternehmen und Arbeitgeber besser werden, indem sie Familienarbeit als einen wichtigen Teil des Menschen und seiner Arbeit hervorheben und indem sie auch in den Betrieben und den Unternehmen ein Klima schaffen, in dem mehr Männer Elternzeit nehmen können und nehmen werden.

Wir haben den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit während der Elternzeit verbessert, die zulässige Wochenstundenzahl bei Teilzeitarbeit wurde auf 30 Stunden angehoben. Das unterstützt auch die ebenfalls neu eingeführte gemeinsame Elternzeit von Müttern und Vätern. Gemeinsame Zeiten heißt auch, gemeinsam mehr Zeit für die Familie zu haben und das war uns wichtig.

Sie fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, maßgeschneiderte Konzepte in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu entwickeln, damit die Frauen nach einer Familienphase wieder besser in den Beruf einsteigen können. Auch hier gilt: Schön gedacht, aber wir machen es schon. Unter dem Dach der „Allianz für Familie“ sind Initiativen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine bessere Balance von Familie und Arbeitswelt gebündelt. Starke Partner aus Wirtschaft, Verbänden und Politik setzen sich öffentlich und beispielhaft für eine Unternehmenskultur und Arbeitswelt ein, die für alle Beteiligten Gewinn bringt. Die lokalen Bündnisse für Familie sind Zusammenschlüsse beispielsweise von Stadträten, Verwaltung, Unternehmen, Kammern, Gewerkschaften, Kirchengemeinden, Vereinen, Wohlfahrtsverbänden und Initiativen auf lokaler Ebene, die sich für mehr Familienfreundlichkeit einsetzen. Ich bin froh, dass es inzwischen etwas 30 Bündnisse von Nord- bis Süddeutschland, von West- bis Ostdeutschland gibt, die sich dieser Initiative angeschlossen haben.

Ein wichtiger Fortschritt, um gerade Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen, sind unsere Reformen am Arbeitsmarkt. Damit werden die Jobcenter dazu verpflichtet, Familien mit Kindern bei der Suche nach geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten und Betreuungsmöglichkeiten zu helfen. Es wird eine passgenauere Vermittlung ermöglicht und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhält bei der Beratung und Vermittlung in den Jobcentern besondere Bedeutung. Das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel, denn bislang galten gerade die Alleinerziehenden, die in den meisten Fällen alleinerziehende Frauen waren, als nicht erwerbsfähig, weil sie sich um die Kinderbetreuung kümmern mussten. Mit den Reformen am Arbeitsmarkt erhalten auch diese Frauen eine Chance, in der Arbeitsvermittlung, in der Beratung und in der Weiterqualifizierung, damit sie Familie und Beruf vereinbaren können.

Ich finde es immer sehr interessant, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie von Wahlfreiheit von Frauen und Männern sprechen. Denn gerade das, was die SPD und Grüne in der Bundesregierung machen, bedeutet, die Wahlfreiheit zu verbessern. Nur mit einer qualitativ guten Kinderbetreuung mit Wahlmöglichkeiten zwischen Tagesmüttern und Einrichtungen, mit dem guten Gewissen, dass die Kinder auch gut betreut und gefördert werden, ist diese Wahlfreiheit erst möglich. Wahlfreiheit heißt heutzutage eben nicht, den Frauen ein Haushaltsgeld zu zahlen, damit sie zuhause bleiben. Abgesehen davon sind Sie bis heute die Antwort schuldig geblieben, wie Sie dieses Haushaltsgeld eigentlich bezahlen wollen, mit dem Sie die Frauen davon abhalten wollen, erwerbstätig zu sein.

Im Mittelpunkt unseres Konzeptes steht eine Investition in die Infrastruktur der Kinderbetreuung, steht die Bereitstellung eines flexiblen Angebots für Kinder unter drei Jahren. Das wollen wir genau deshalb, um den Kindern etwas Gutes zu tun und um die Wahlfreiheit von Frauen und Männern zu fördern, sich entscheiden zu können entweder zwischen Familie und Beruf oder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das werden immer mehr junge Frauen und Männer wollen. Dazu brauchen wir eine bedarfsgerechte Angebotsstruktur, wir brauchen gute Qualität, zeitliche Flexibilität, wir brauchen bezahlbare und vielfältige Angebote für Kinder, halbtags und ganztags, in kommunalen Einrichtungen, in denen der Wohlfahrtspflege, durch Tagesmütter, in bürgerschaftlicher Initiative oder auch über kommerzielle Dienstleister. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch da die Wirtschaft und die Unternehmen noch stärker in die Verantwortung nehmen müssen. Denn auch Kinderbetreuung und Dienstleistungen, die mehr Frauen Erwerbstätigkeit ermöglichen, werden in Zukunft einen größeren Markt haben und werden nachgefragt.

Ich finde es gut, dass wir Gemeinsamkeiten haben, dass wir uns gemeinsam für den Ausbau der Kinderbetreuung einsetzen. Es gibt aber auch Unterschiede. Die FDP meint, dass der Bund am Ende der Föderalismusdebatte, in der wir uns gerade befinden, die Zuständigkeit für die Kinderbetreuung haben wird. Ich denke, es ist auch eine gute Chance, ob wir nicht an einer dezentralen Lösung und an den speziellen Möglichkeiten und Chancen der Gemeinden vor Ort fest zu halten. Sehr wohl ist es aber die Verantwortung des Bundes, die Kommunen zu stärken, damit sie ihren Aufgaben auch wirklich gerecht werden können. Und da kann ich nur sagen, dass von Seiten der Opposition gerade im Vermittlungsausschuss viele Steine in den Weg gelegt wurden. Wenn wir nicht die Verwässerung der Gemeindefinanzreform durch die Opposition gehabt hätten, wenn wir nicht die Veränderungen von Hartz IV durch den Vermittlungsausschuss hätten, dann wären wir jetzt auch in dieser Frage schon weiter. Sie wissen, die Zusage der Ministerin Renate Schmidt und die Zusage des Bundeskanzlers steht: Wir werden die Kommunen entlasten, damit sie 1,5 Milliarden Euro in bessere Betreuung für Kinder unter drei Jahren investieren können. Das ist eine gute Nachricht und das ist ein ganz wichtiger Bereich, wenn wir in Deutschland zukunftsfähiger und zuversichtlicher werden wollen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den internationalen Vergleich eingehen, denn wir wissen ja inzwischen alle, dass in den Ländern, die eine höhere Geburtenrate als Deutschland haben, auch die Frauenerwerbsquote höher ist und dass in diesen Ländern die Kinderbetreuung besser ist. Wir sind zwar in Deutschland Spitzenklasse, was die finanziellen Transfers an Kinder und Familien angeht, aber wir sind am Ende der Tabelle, wenn es um die Infrastruktur für Kinder geht. Dabei wissen wir inzwischen alle: Gute Betreuung ist die Voraussetzung für mehr Kinder. Beispielsweise liegt die Geburtenrate in Dänemark bei 1,74 (also 100 Frauen bekommen im Durchschnitt 174 Kinder), in Deutschland aber bei 1,29. Gleichzeitig sind in Dänemark 72 Prozent der Frauen berufstätig, in Deutschland aber nur 58 Prozent. Norwegen, Dänemark und Schweden, das sind die Länder, in denen fast drei Viertel der Frauen arbeiten und mehr Kinder bekommen als in Deutschland. Gerade in den südeuropäischen Ländern wie Spanien und Griechenland dagegen bleiben die Frauen öfter zuhause als in Deutschland, bekommen aber auch weniger Kinder. Das zeigt sehr deutlich, wo wir stehen und was wir verändern müssen.

In diesem Sinne appelliere ich an alle Fraktionen, nach einem guten und vor allem auch nach einem schnellen Weg zu suchen, damit wir die Kinderbetreuung gerade für die Kleinsten ausbauen können. Auf den Anfang kommt es an, dieses wichtige und richtige Motto, unserer Politik, will ich ausdrücklich unterstützen. Auf den Anfang kommt es an! Gerade in die Kleinsten müssen wir mehr investieren, mehr Ideen und Kreativität, aber auch finanzielle Mittel, damit die Kinderbetreuung besser wird. Ich bitte Sie deshalb darum, lassen Sie uns parteipolitische und föderale Diskussionen einmal überwinden und gemeinsam an einer Kraftanstrengung arbeiten, damit wir die Kinderbetreuung ausbauen können. Wir haben damit einen Anfang gemacht, unser Programm von 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen und 4 ½ Millarden Euro in den nächsten Jahren für die Betreuung der unter Dreijährigen ist eine wichtige Weichenstellung in der Politik. Es ist ein Zeichen für Zukunftsfähigkeit und für Zuversicht.

25.03.04

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