Berlin | Reden

Jugendschutzgesetz

Kerstin Grieses Rede zur Einbringung des neuen Jugendschutzgesetzes am 16. Mai 2002

Die Kontroverse mit der Opposition

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kerstin Griese.

Kerstin Griese (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Böhmer, ich finde es schon ziemlich dreist, was Sie hier geboten haben. Wenn man sich einmal die Fakten vor Augen hält – im Dezember 2001 waren sich der Bund und 15 Bundesländer über die Eckpunkte und über einen Medienstaatsvertrag zum Jugendmedienschutz einig und es war allein das Bundesland Bayern, das blockiert hat –, dann ist es schon dreist, dass Sie hier von Verzögerung sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben diese Blockadehaltung erst im März aufgegeben.

Ich muss auch sagen: So blumig von weiteren Schritten zu sprechen, die gemacht werden müssen, und nichts Konkretes vorzuschlagen, das zeugt nicht davon, dass bei Ihnen schon Vorbereitungen stattgefunden haben, um den Jugendschutz zu verbessern. Wir arbeiten schon eine ganze Weile daran und können deshalb als Regierungsfraktionen diesen Gesetzentwurf heute vorlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt: Das Internet ist nicht erst 1998 erfunden worden und wie Phönix aus der Asche gestiegen. Das Internet gibt es schon sehr viel länger. 1985 ist die erste Domäne im Internet registriert worden. Sie hatten viele Jahre Zeit, den Jugendmedienschutz auch im Internet zu regeln. Wir tun das jetzt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich warne angesichts der aktuellen Debatte davor, die Zusammenhänge so einfach darzustellen. Wer gewalttätige Computerspiele spielt, wird automatisch gewalttätig – so einfach ist das nicht. Meine Kollegin Bettin hat uns dazu schon einiges gesagt. Ich glaube, wir müssen uns noch sehr viel tiefer gehend mit den Ursachen von Gewalt beschäftigen.

Wir werden jetzt als Erstes den Jugendschutz reformieren. Den Gesetzentwurf dazu bringen wir heute ein. Das Gesetz muss deshalb dringend reformiert werden, weil es aus dem Jahr 1985 und in seinen Vorstellungen völlig veraltet ist.

1985 wurde die erste Domäne im Internet registriert. Damals konnten Jugendliche das Internet noch gar nicht zu Recherchezwecken oder für Spiele benutzen. Ich habe in dem Jahr noch ohne Computer Abitur gemacht; das kann sich heute kaum noch jemand vorstellen. Ich habe sogar die ersten Semester ohne Computer überstanden, der eine oder andere hatte vielleicht einen Atari oder einen kleinen C64. Seitdem hat sich sehr viel verändert. Meine Generation hat sehr schnell gelernt, mit Computern und dem Internet umzugehen.

Unsere Gesellschaft hat sich zur Informationsgesellschaft entwickelt. Das Medienangebot steigt ständig. Es gibt unzählige Computerspiele und weltweit schätzungsweise 600 Millionen E-Mail-Accounts. Diese Entwicklung wird weitergehen und – das sage ich ganz deutlich – wir wollen sie auch nicht aufhalten; denn die Chancen der Informationsgesellschaft sind vielfältig, die technischen Entwicklungen sind rasant, nur der gesetzliche Jugendschutz hinkte hinterher. Und das ändern wir heute.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Konvertierbarkeit der Medien, die Übertragbarkeit von Tönen, Bildern und Texten von einem Medium ins andere stellt uns vor neue Herausforderungen. Man kann nicht mehr einfach mit Alters- oder Zeitbeschränkungen und Verboten agieren, wie das im Jugendschutz früher üblich war. Die SPD-Fraktion arbeitet schon seit einiger Zeit an der Reform des Jugendschutzes und handelt insbesondere im Bereich des Jugendmedienschutzes.

Die schreckliche Tat von Erfurt hat dazu geführt, dass das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt werden soll – bislang übrigens auch auf Wunsch und mit Zustimmung der Länder. Ich hoffe, dass wir uns fraktionsübergreifend auf viele Punkte einigen werden.

Der Jugendschutz ist ein Beitrag, um Kinder und Jugendliche vor Gewalt und Brutalität zu schützen. Ich denke aber, dass wir gerade nach dem Ereignis von Erfurt über die Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft diskutieren müssen. Wir müssen über Gewalt in den Medien, über Aggression und Frustration junger Menschen, über den Schulalltag und den Umgang miteinander in den Familien sprechen.

Reden allein reicht allerdings nicht. Es muss gehandelt werden. Ich will ein gutes Beispiel nennen. Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihrem Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ sinnvolle Projekte gefördert: Streitschlichterprogramme in Schulen, interkulturelles Zusammenleben und die verstärkte Beteiligung von Jugendlichen. Das sind sinnvolle Schritte; hier müssen wir weitermachen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zusammenhalt fördern und Gewalt ächten – das muss der Konsens sein. Die SPD-Fraktion hat vorgeschlagen, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zur umfassenden Untersuchung der Ursachen und zur Prävention von Gewalt einsetzt. Das ist sinnvoll.

Brutalität und Gewalt in allen denkbaren Medien dürfen nicht auf Kinder einwirken, als sei das eine Möglichkeit der Konfliktlösung. Darin sind wir uns alle einig. Gerade in der modernen Mediengesellschaft brauchen Kinder und Jugendliche einen festen Wertekanon und Normen, die ihnen Orientierung geben. Deshalb regeln wir das im Jugendschutz neu.

Wir beenden die Zersplitterung der Zuständigkeiten im Medienbereich. Vieles hörte sich heute so an, als könnte man einfach schnell ein Bundesgesetz beschließen. Wenn Sie den Föderalismus kennen, wissen Sie, dass die Länder hier ihre Kompetenzen haben. Deshalb werden wir gemeinsam mit einem Staatsvertrag der Länder das Jugendschutzgesetz neu regeln müssen. Wir ändern die völlig veraltete Zersplitterung in Teledienste und Mediendienste, die für Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen sind, nicht mehr nachvollziehbar ist.

Wir unterscheiden zwischen Offline- und Onlinemedien. Das ist ganz einfach: Wenn ich ein Buch, ein Video oder eine CD-ROM in den Händen halte, bin ich offline, denn es handelt sich um ein so genanntes Trägermedium. Bei den neuen Onlinemedien, wenn zum Beispiel ein Text oder ein Spiel ins Internet gestellt wird, handelt es sich um ein Telemedium.

Ich will deutlich sagen, dass der Vorwurf in Ihrem ziemlich inhaltsleeren und polemischen Antrag, wir würden schwer jugendgefährdende Trägermedien nicht verbieten, falsch ist. Ich bitte Sie, sich Paragraf 15 unseres Entwurfs genau anzusehen; denn wir stellen sogar das Zugänglichmachen von schwer jugendgefährdenden Trägermedien unter Strafe. Sie werfen uns vor, wir würden die Verbreitung nicht verbieten. Ich bitte Sie daher, das noch einmal nachzulesen.

Eine ganz wichtige Neuerung in unserem Gesetzentwurf ist die Alterskennzeichnung. Wir kennen sie von Filmen und Videos. Genauso müssen jetzt auch Computerspiele mit einer Alterskennzeichnung versehen werden. Gerade hier zeigt sich, dass der Jugendschutz Normen setzen muss.

Wenn Sie im Internet agieren, wissen Sie, dass es technisch möglich ist, sich jederzeit alles, auch jugendgefährdende Dinge, aus dem Internet zu laden. Das ist besonders deshalb ein Problem, weil vieles, was sogar strafrechtlich relevant oder jugendgefährdend ist, aus dem Ausland ins Internet eingespeist wird. Deshalb sind hier internationale Lösungen notwendig. Dafür setzen wir uns ein. Ich plädiere dafür, dass wir den UNESCO-Gipfel zur Informationsgesellschaft dazu nutzen, um auch auf internationaler Ebene nach Lösungen zu suchen, damit Rassismus und Gewaltverherrlichungen im Internet verhindert werden.

(Beifall bei der SPD)

Die neue Alterskennzeichnung, die wir einführen werden, gibt Eltern, Lehrern und Erziehern einen Anhaltspunkt dafür, welche Spiele und Seiten geeignet sind.

Danach können sie sich richten. Das stärkt die Erziehungskompetenz der Eltern, Erzieher und Lehrer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem wird den Händlern damit verboten, Spiele an Jugendliche abzugeben, die jünger als das entsprechend kenntlich gemachte Alter sind. Das heißt, die Händler werden bestraft, wenn sie dieses Verbot nicht beachten. Damit haben wir diese Regelung eindeutig verschärft.

Alterskennzeichnungen, positive Ratings und Indizierungen sind für die Entwicklung nutzerautonomer Filtersysteme hilfreich. Das bedeutet, dass ein Nutzer, zum Beispiel eine Schule, eine Jugendeinrichtung oder ein Elternhaus, in sinnvoller Weise Filter einsetzen kann. Diese sollen die Kinder und Jugendlichen schützen und tragen dazu bei, dass ihnen das Internet nicht verboten werden muss. Wir unterstützen auch den Aufbau von Internetportalen für Kinder, die dem Kinderkanal im Fernsehen ähnlich sind. Es wäre sinnvoll, ein solches Angebot auch im Internet zu haben.

Wer mit dem Internet arbeitet oder spielt, muss differenzieren, also zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. Ansonsten können Computerspiele Auslöser sein. Ich glaube nicht unbedingt, dass sie die einzige Ursache sind, aber sie können ein Auslöser für Gewaltbereitschaft sein. Deshalb ist Medienkompetenz so wichtig.

Mit dem Programm „Schulen ans Netz“ haben wir es geschafft, dass Schülerinnen und Schüler ins Internet gehen können. Wir werden das in den nächsten vier Jahren mit dem Programm „Jugendarbeit ans Netz“ fortsetzen. Mit diesem sollen die 50.000 Jugendfreizeiteinrichtungen in Deutschland ans Netz gebracht werden. Das ist besonders aus sozialen Gründen wichtig, damit allen Jugendlichen die Chance gegeben wird, den verantwortlichen Umgang mit den neuen Medien zu erlernen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nur kurz eine weitere Neuerung in unserem Jugendschutzgesetz erwähnen – meine Kollegin Uta Titze-Stecher wird darauf noch ausführlicher eingehen: Wir werden die Abgabe von Tabak und Zigaretten an Jugendliche unter 16 Jahren verbieten. Das ist eine folgerichtige Konsequenz; denn schon jetzt ist das Rauchen in der Öffentlichkeit für Jugendliche unter 16 Jahren verboten. Wir nehmen jetzt auch die Händler sowie die Automaten- und Zigarettenindustrie in die Verantwortung. Wir wissen, dass die technische Umgestaltung möglich ist.

Auch bei der Kinowerbung für Alkohol und Zigaretten schlagen wir Verbesserungen vor. Über die Details werden wir uns im Ausschuss und in der Beratung noch unterhalten. Unser Ziel ist es, den Gesundheitsschutz von Kindern und Jugendlichen noch effektiver gestalten zu können. In welcher Form das geschieht, ob mit Alters- oder Uhrzeitbeschränkung, darüber werden wir sicherlich noch diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns um eine qualitative Verbesserung des Jugendschutzes. Wir wollen Kinder und Jugendliche vor den Problemen und Gefahren unserer Gesellschaft nicht verstecken und ihnen nicht alles verbieten. Wir wollen sie in die Gesellschaft integrieren. Wir wollen sie vor den Gefahren, mit denen sie nicht umgehen können, schützen. Wir bieten Jugendlichen Chancen für ihre Zukunft. Dazu gehören zum Beispiel die Chance auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und die Chance auf ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft. Auch die Reform des Kinder- und Jugendschutzes, mit der wir, wie gesagt, gern schon früher begonnen hätten, gehört dazu. Diese wurde vom Bundesland Bayern aber blockiert.

Sie sehen, dass wir jetzt etwas tun. Wir stellen uns der Verantwortung und verbessern den Kinder- und Jugendschutz. Ich würde mich freuen, wenn wir hier eine breite Zustimmung erhalten würden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

16.05.02

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