Berlin | Positionen

Kerstin Griese: „Ich habe der Regierung mein Vertrauen ausgesprochen“

Meine Argumente

Ich bin der Ansicht, dass die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus im Vordergrund stehen muss, um langfristig die Gefahr des Terrorismus zu bannen. Deshalb stehen für mich humanitäre und politische Maßnahmen an erster Stelle. Ebenso vorrangig ist für mich die Verbesserung der Situation der afghanischen Bevölkerung. Der 11. September hat aber auch für uns alle gezeigt, dass die Bekämpfung des Terrorismus nur durch internationale Zusammenarbeit möglich sein kann.

Mir ist die Entscheidung zur Bereitstellung deutscher Soldaten für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht leicht gefallen. Aber bei der Entscheidung ging es um die elementaren Grundwerte unserer Gesellschaft.

Ich selbst habe mich – zunächst in der evangelischen Jugendarbeit, dann bei den Jusos und in der SPD – viele Jahre lang in der Friedensbewegung engagiert. Für mich ist die gewaltfreie Lösung von Konflikten immer die optimalste. Angesichts der Brutalität der Anschläge vom 11. September bin ich mir allerdings auch bewusst, dass die Grundwerte unserer Demokratie verteidigt werden müssen. Deshalb möchte ich meine Gründe der Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung mit einigen Hintergrundinformationen erläutern.

In Afghanistan herrscht seit 1979 Krieg. Dieser Zustand hat die ökonomischen und sozialen Grundlagen des Landes in massivster Weise in ihrer Entwicklung behindert. Das Taliban-Regime hat alle noch vorhandenen Lebensgrundlagen der afghanischen Bevölkerung durch massive Aufrüstung, Korruption und Misswirtschaft zerstört. Frauen in Afghanistan hatten unter den Taliban keinerlei Rechte, keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen. Jede fünfte Frau in Afghanistan stirbt bei der Geburt eines Kindes. Jedes vierte Kind in Afghanistan stirbt im Alter unter vier Jahren. Zum Zweck der Errichtung und Erhaltung ihres fundamentalistischen Staates haben die Taliban Bildungseinrichtungen geschlossen und jegliche Form von kultureller und politischer Vielfalt verboten. Das afghanische Volk lebt in schlimmster Armut.

Schon vor dem 11. September 2001 waren acht Millionen Menschen in der Region auf der Flucht vor dem Taliban-Regime. Die Bundesrepublik Deutschland hat etwa 100 Millionen Mark in die humanitäre Hilfe investiert, um die Situation der Menschen zu verbessern. Angesichts der Strukturen der Taliban war es sehr schwer, diese Hilfe den Menschen direkt zukommen zu lassen.

Osama bin Laden und sein Terrornetzwerk El Quaida werden von den Taliban versteckt und unterstützt. Dem Terrorismus können wir nur den Boden entziehen, indem wir die ökonomischen, politischen und sozialen Grundlagen dafür schaffen. In dieser Konsequenz muss die Herrschaft der Taliban in Afghanistan beendet und eine nachhaltige politische Stabilisierung des Landes eingeleitet werden. Für militärische Aktionen gibt es eindeutige völkerrechtliche Regelungen. Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen gibt das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen die terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 auch mit militärischen Mitteln. Auf dieses Recht hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1368 vom 12. September 2001 hingewiesen. Die Resolution 1373 vom 28. September ruft die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darüber hinaus zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgeberischen Mitteln auf.

Mir ist besonders wichtig, dass militärische Maßnahmen nicht als alleinige Lösung verstanden werden. Die rot-grüne Regierung ist der festen Überzeugung, dass die Militäraktionen nur ein Teilaspekt innerhalb eines ganzheitlichen Konzeptes zur Stabilisierung und nachhaltigen Entwicklung der gesamten Region sein dürfen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung daher nachdrücklich in ihren Bemühungen, jetzt wichtige politische, diplomatische und soziale Aufgaben zu übernehmen.

Im Bereich der internationalen Politik sind dies unter anderem folgende:

1. Die Organisation der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung in Afghanistan

2. Vorbereitungen für eine bessere Zukunft Afghanistans

3. Die Rettung des Nahost-Friedensprozesses

Jeder Mensch, jede Bürgerin und jeder Bürger, hier in Deutschland und in der ganzen Welt, hat einen berechtigten Anspruch seiner Regierung gegenüber, nicht Opfer von Terrorismus zu werden und in Sicherheit zu leben. Die Taliban sind den wiederholten Aufforderungen, Bin Laden auszuliefern, nicht nachgekommen. Solange es solche Staaten und Regierungen gibt, die Terroristen Unterstützung und Schutz gewähren und es ihnen dadurch ermöglichen, in wenigen Minuten das Leben von 5000 Menschen zu vernichten – so lange müssen wir in einer Allianz gegen diesen Terror tragischerweise auch mit militärischen Mitteln die Sicherheit herstellen. Mit militärischen Mitteln übrigens, die durch die Resolution der Vereinten Nationen weltrechtlich legitimiert sind. Die Entscheidung, hier nichts zu tun, würde zwangsläufig zu einer dramatischen Veränderung der innenpolitischen Situation führen und die Bürgerrechte immer mehr einschränken.

Es ist verständlich, dass viele Bürgerinnen und Bürger über die aktuellen Entwicklungen besorgt sind. Auch wir Politikerinnen und Politiker sind besorgt. Die entscheidende Frage aber ist: Gibt es vernünftige Alternativen? Es gibt nicht die Entscheidungsmöglichkeit zwischen militärischen und humanitären Maßnahmen, sondern beides muss gemeinsam erfolgen. Und was wäre die Alternative für Deutschland, wenn es sich nicht beteiligen würde? Der Kampf gegen den Terrorismus ginge weiter, doch die deutsche Stimme hätte international kein Gehör mehr, keine Chance, mitzuentscheiden und Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Es ist auch nicht so, dass durch den Bundestagsbeschluss die Bundeswehr in einen Bodenkrieg in Afghanistan verwickelt würde. Vielmehr zeigen die bereitgestellten Einheiten – Sanitäter, ABC-Schutzkräfte und Lufttransporteinheiten –, dass der Schwerpunkt der Bundeswehreinheiten bei Schutz und Hilfsleistungen für Soldaten und Zivilisten liegen wird. Gleiches gilt für die angeforderten Marineeinheiten, die den Schutz internationaler Wasserstraßen sicherstellen werden. Und auch die hundert Mann Spezialkräfte werden nicht dafür eingesetzt, einen Bodenkrieg zu führen, sondern sind mit polizeiähnlichen Rechten ausgestattet, um im konkreten Fall schnell auf Personen zugreifen zu können. Auch das Einsatzgebiet ist eindeutig festgelegt, so dass eine Ausweitung auf andere Staaten nur möglich ist, wenn deren Regierungen einem Einsatz der Soldaten zustimmen.

Die Alternative, einfach abzuwarten und in diesem Konflikt neutral zu bleiben, hat Deutschland nicht. Denn der Terrorismus macht vor Staatsgrenzen keinen Halt, und wenn wir jetzt nicht in internationaler Solidarität entschieden vorgehen, werden die langfristigen Folgen schlimmer sein, als wir uns dies heute ausmalen können. Dem inneren wie äußeren Frieden in Deutschland und der Welt wäre damit in keinem Falle gedient.

Um dem Terrorismus langfristig weltweit den Boden zu entziehen, brauchen wir eine gerechtere Weltordnung, die den Menschen auf der ganzen Welt ein Leben in Sicherheit, Frieden und Gesundheit ermöglicht. Dieses Ziel unterstütze ich voll und ganz. Meine Hoffnung ist, dass die Bürgerinnen und Bürger auch in unserem Land bereits sind, die Voraussetzungen mit zu schaffen und den für einen fairen Welthandel notwendigen Preis – der sich bei jedem Pfund Kaffee und jeder Tafel Schokolade niederschlägt – zu zahlen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Abstimmung über den Einsatz der deutschen Streitkräfte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit der Vertrauensfrage verbunden. Ich habe der SPD-geführten Bundesregierung und Bundeskanzler Gerhard Schröder mein Vertrauen ausgesprochen.

wdr.de: Kerstin Griese – Gewissensfrage für die SPD geklärt?

unicef-Aktion „Bringt die Kinder durch den Winter“

17.11.01

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