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Glossar Biomedizin

Was kann der Mensch?
Was darf der Mensch?

Ein Kommentar von Kerstin Griese

Die Möglichkeiten der Gentechnik stellen uns vor völlig neue Herausforderungen und Fragen. Dabei geht es um ethische Fragen, um Grenzen menschlichen Handelns, aber auch um potenzielle Heilungschancen. Über die Hintergründe muss sachlich informiert werden, wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte, bevor Fakten gesetzt werden.

Im Mittelpunkt der Kontroversen steht aktuell neben der embryonalen Stammzellenforschung die Präimplantationsdiagnosik (PID). Bei der PID geht es um die Frage, ob gentechnische Untersuchungen an zur künstlichen Befruchtung vorgesehenen Embryos erlaubt sein sollen. Schon heute können dabei einige wenige sehr schwere Krankheiten erkannt werden. In England haben etwa 50 Paare im letzten Jahr diese Möglichkeit genutzt. Auch wenn es in dieser Diskussion nicht um hohe Zahlen von Betroffenen geht, müssen grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden.

Dabei muß sicher gestellt werden: Erstens: Niemand hat das Recht, über den „Lebenswert“ eines Menschen zu entscheiden und zu selektieren. Zweitens: Die Gefahr in der Debatte um PID besteht darin, dass Menschen mit Behinderungen immer weniger akzeptiert werden. Deshalb geht es zuerst darum, die Gesellschaft behindertenfreundlicher zu gestalten und die Gleichberechtigung Behinderter zu ermöglichen

Jedoch stellt sich mir auch die Frage, ob werdenden Eltern, die bereits die Belastung einer künstlichen Befruchtung auf sich genommen haben, das Recht verweigert werden kann, über eventuelle schwerste Erkrankungen ihres zukünftigen Kindes aufgeklärt zu werden. Angesichts der Tatsache, dass im Rahmen der pränatalen (vorgeburtlichen) Diagnostik Abtreibungen stattfinden, kann die Diagnostik vor der Einpflanzung eines Embryos schwerlich verboten werden, sonst würde man zynisch mit der Frau umgehen. Der Staat muss auch das werdende Leben schützen, es darf nicht völlig rechtlos und der Willkür unterworfen sein. Das zukünftige Leben der Frau muss aber genauso wichtig sein wie das entstehende Leben. Ich meine, wenn wir Abtreibungen hinnehmen, wie es der Paragraf 218 regelt, müssen wir uns fragen, ob wir PID, selbstverständlich unter sehr engen rechtlichen Einschränkungen, in Ausnahmefällen erlauben.

Wichtig scheint mir auch – was in der Debatte zu wenig vorkommt –, dass wir uns Gedanken darüber machen, warum gentechnische Untersuchungen an Ungeborenen zunehmen. Dabei sind gerade mal vier Prozent aller Behinderungen genetisch bedingt. Die Gefahr von Behinderungen durch Unfälle im Laufe des Lebens ist weitaus größer.

Wenn ich das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Mittelpunkt stelle, muss sie auch die Möglichkeiten haben, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden. Dazu gehören gute Beratung, gesellschaftliche Akzeptanz sowie finanzielle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen.

Insgesamt muss das Wissen der Eltern und besonders der Frau über genetische Untersuchungen und ihre Folgen erheblich gestärkt werden. Und zwar so weit, dass sie sich auch selbstbewusst gegen gentechnische Untersuchungen aussprechen und sich ebenso auf ihr „Recht auf Nichtwissen“ berufen kann.

16.8.01

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