Berlin | Kirche

„Lebendig und kräftig und schärfer“

Kerstin Grieses Predigt im Eröffnungsgottesdienst des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentages am 6. Juni 2007 in Köln

Liebe Kirchentagsgemeinde,

„lebendig und kräftig und schärfer“, dieses Kirchentagsmotto aus dem Hebräerbrief ist zuerst einmal ungewohnt. So ging es mir auch, als ich als Politikerin gefragt wurde, heute hier zu predigen.
Da ist doch dieser große Unterschied: Auf der einen Seite das eindeutige Wort, das Wort Gottes, das lebendig und kräftig und schärfer ist, als ein zweischneidiges Schwert.
Und auf der anderen Seite die vielen, vielen Wörter, die täglich auf uns einprasseln: Gerade hier in der Medienstadt Köln können wir es wahrnehmen: Viele Worte, scharfe Worte, leere Worte, beschönigende Worte, Schlagworte, Leitworte, Phrasen, Slogans, Talkshows ohne Ende, sogar das „Unwort des Jahres“ gibt es.
Da ist eher neue Unübersichtlichkeit als ein scharfes und profiliertes Wort. Was ist das Wort, das zählt?
Viele Menschen verbinden gerade diesen Wortschwall mit der Politik und mahnen uns immer wieder: Findet einfache Worte, seid glaubwürdig.
Johannes Rau, der rheinische evangelische Christ, hat einmal gesagt, es ginge doch ganz einfach: „Sagen, was man tut – und tun, was man sagt“.
Diese Eindeutigkeit in Wort und Tat ist es, die Menschen überzeugt, die ich für uns erhoffe in diesen Tagen, wo allerorten viele Worte gemacht werden. Ich erwarte von diesem Kirchentag, dass das lebendige und kräftige und scharfe Wort auf fruchtbaren Boden fällt und aufgehen wird.
Denn dieses Kirchentagsmotto lenkt den Blick auf das eine Wort, das Wort Gottes, das nicht einfach und belanglos ist, sondern dass uns alle auffordert, genauer hin zu sehen und zu hören, scharf zu trennen, nicht alles gleich zu setzen und egal zu finden, sondern das eine Wort, das Leben fördernde, das tatkräftige Wort ernst zu nehmen.
Dieses Wort trägt Werte in sich, ist wert-voll im wahrsten Sinne des Wortes. Der Hebräerbrief mahnt uns ebenso wie damals die Gemeinde, an die er adressiert war, nicht vom Weg des Glaubens abzukommen. Zum Wort Gottes zu stehen und damit zu den Werten zu stehen, die uns damals und heute als Christenmenschen verbinden.

Beim Nachdenken über das Motto des Kirchentages ist mir mein Konfirmationsspruch in den Sinn gekommen. Diese Stelle aus Matthäus 4,4, das Wort, das Jesus bei der Versuchung in der Wüste dem Teufel entgegenschleudert: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“
Das wird auch morgen früh Thema der Bibelarbeiten sein. Ich bin gespannt darauf. Denn seit der Konfirmation und der evangelischen Jugendarbeit begleitet mich dieser Satz. Es ist notwendig, dass zum Brot für alle das Wort aus dem Munde Gottes hinzukommt, das sagt, wie Gerechtigkeit für alle geschehen kann und jeder Brot bekommt. Das „Brot aus der Erde“ und das „Wort aus Gottes Mund“, beides ist eng miteinander verbunden und mahnt Gerechtigkeit an für Gegenwart und Zukunft.

Gerechtigkeit ist auch so ein großes Wort. Wir alle wissen schnell, was ungerecht ist. Aber was ist eigentlich gerecht?
Was heißt das große Wort Gerechtigkeit zum Beispiel für die Kleinsten in unserer Gesellschaft und in unserer Welt? Als Christin und Politikerin geht es mir darum, dass wir mehr tun müssen, damit alle Kinder Bildungschancen haben, egal wo sie herkommen. Und für Kinder ist es so überlebenswichtig, dass sie früh lernen, Worte zu verstehen und Worte zu bilden. Die Sprache ist der Schlüssel für das ganze Leben.
Auch hier in Köln wird das besonders deutlich: Mehr als 40 Prozent aller Kinder in westdeutschen Großstädten haben heute einen Migrationshintergrund. Zwei Drittel von ihnen sind bereits in Deutschland geboren. Für sie, aber auch für alle Kinder in der Einen Welt, ist es unendlich wichtig, dass wir mehr tun, damit sie alle miteinander sprechen, einander zuhören und miteinander spielen und lernen können. Damit sie Worte hören und Worte bilden können. Und zwar wert-volle Worte.
Das bedeutet, teilhaben zu können an der Gesellschaft, an Bildung, an Zukunftschancen. Und das bedeutet Gerechtigkeit.

Wir blicken in diesen Tagen nach Heiligendamm. Es ist gut, dass die mächtige Gruppe der führenden Wirtschaftsnationen erstmals auch über Hunger, Armut, Verschuldung und die Klimakatastrophe spricht. Aber es dürfen nicht nur Worte dabei herauskommen, sondern es müssen echte Taten folgen.
Dazu gehört auch, dass die, die friedlich ihren Protest äußern und kritische Worte zu sagen haben, nicht von Zäunen und Sperrzonen davon abgehalten werden.
In Heiligendamm wurden mehr als 12 Millionen Euro in einen Zaun investiert, ein Symbol der Abschottung. Ungefähr genauso viel kostet der gesamte Kirchentag in Köln. Ich meine: Das ist besser angelegtes Geld für Dialog und Kooperation, für gemeinsames Feiern, Diskutieren und Beten.
Die Globalisierung ist nicht gottgegeben. Sondern Globalisierung ist ein Ergebnis menschlichen Handelns. In Deutschland profitieren wir in vielem von der Globalisierung. Wir sind zum vierten Male hintereinander Exportweltmeister. Globalisierung kann und muss von uns Menschen gestaltet werden. Wir brauchen faire Zusammenarbeit und Chancen für die ärmeren Länder, um in der Einen Welt zusammen leben zu können.
Deshalb reicht es nicht, in Heiligendamm schöne Worte zu machen und auf Folgekonferenzen zu vertrösten. Es geht um wert-volleres! Es muss Sozialstandards und Umweltstandards geben, damit Menschenwürde und Menschenrechte weltweit gelten.
Auf unseren Kirchentagsschals steht: „Was hilft es dem Menschen? (Mt. 16,26) – Globalisierung neu denken“. Darum geht es: Was tun wir, damit wir den Menschen helfen, damit wir jedem einzelnen Kind in der Welt die Chance auf gesundes Aufwachsen, auf Bildung und Zukunft geben.
Dafür wollen wir auch auf diesem Kirchentag friedlich streiten. Das Motto des Kirchentages schärft unsere Augen und Ohren. Denn es ruft dazu auf, parteiisch zu sein. Das lebendige und kräftige und schärfere Wort Gottes lässt keine Augenwischerei, kein Vertagen und Vertrösten, keine Beliebigkeit, keine Belanglosigkeit zu.

In der Zeit des Nationalsozialismus haben die Protestanten vor allem hier im Rheinland erlebt, was es heißt, wenn das eine Wort Gottes verfälscht wird. In der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934 haben sie Mut gezeigt und ihren Widerstand begründet.
Über der sechsten, der letzten These der Barmer Erklärung steht der Satz aus 2. Timotheus 2,9: „Gottes Wort ist nicht gebunden.“
Das ist eine wichtige Erfahrung, von der wir leben. Wir setzen als Christinnen und Christen auf das Wort, das nicht gebunden werden kann von weltlichen Mächten. In der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus haben evangelische Christinnen und Christen erfahren: Hier wirkt das Wort, das von Gott herkommt, wirklich, es stärkt zum Widerstand, es klärt die Fronten, es tröstet. Und es macht deshalb wahrhaft frei.

In der Bibelübersetzung für den Kirchentag enden die Hebräerverse mit dem schönen Satz: „Bei Gott stehen wir im Wort“.
Wir stehen im Wort. Das gibt Gelassenheit, Zuversicht und Power. Dann kann das lebendige und kräftige und schärfere Wort auch in unseren Worten und Taten erfahrbar für Andere werden. Dann kann man auch uns beim Wort nehmen.
Wir freuen uns auf einen Kirchentag, der im Wort steht, der Stellung bezieht zu den Fragen unserer Zeit und Antworten findet.
Und wir wollen zusammen erleben, was Leben ist.

7.6.07

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