Niederberg/Ratingen | Kerstin Griese trifft …

„Kerstin Griese trifft …“

Franz Walter in Langenberg: „Seit 140 Jahren gibt es Krisen“

Ein Höhepunkt der „Kerstin Griese trifft …“-Staffel in diesem Frühjahr war gleichzeitig ihr Abschluss. Das Gespräch mit dem Parteienforscher Franz Walter anlässlich des 140-jährigen Bestehens der SPD war gleichermaßen informativ wie unterhaltend. Zusammen mit der Historikerin und Abgeordneten Kerstin Griese arbeitete Franz Walter wichtige Stationen in der Geschichte der Sozialdemokratie heraus und schaffte es, sie mit der aktuellen Situation in Beziehung zu setzen.

Im Mai 1863 gründete Ferdinand Lassalle unter dem Namen „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein“ die erste sozialdemokratische Partei in Deutschland. Doch schon bald wurde diese durch das Sozialistengesetz verboten. „Die Sozialdemokraten haben das Leiden gelernt“, erklärte Franz Walter ein Ergebnis der zwölfjährigen Verfolgung. Und sie hätten das Leiden auch ein wenig „lieben gelernt“. Denn sie seien aus den Verbotsjahren gestärkt hervorgegangen. Völlig unvorbereitet habe die SPD dann nach dem Ende des Kaiserreichs die Übernahme der Regierungsmacht getroffen, so der Göttinger Politologieprofessor. Was man konkret hätte machen wollen – darüber hätte sich keiner Gedanken gemacht. Gerhard Schröder habe ein ungestörtes Verhältnis zur Macht, lobte Walter. Dies sei ein Unterschied zu vielen anderen Sozialdemokraten in der Geschichte der SPD.

„Eine Partei, die sich von ihrem Parteivorsitzenden das Streiten verbieten lasse, hat an Würde verloren“, hatte Franz Walter in einem Referat vor dem schleswig-holsteinischen SPD-Parteitag gesagt. Manche hätten dies im Nachhinein als Aufforderung verstanden, den dortigen Landesvorsitzenden abzuwählen. Dies sei womöglich der Grund dafür, dass man ihn nicht zur offiziellen 140-Jahre-Feier nach Berlin eingeladen hat.

„Seit 140 Jahren gibt es die Krisen“, relativierte der Hochschullehrer die heutige Situation der SPD. „Und zwar viel elementarere.“ Die SPD sei jetzt ein wenig bockig, „und das ist ganz berechtigt“. Er beklagte, dass es keine wirklich offene Diskussion gebe. „Denn es gibt Alternativen.“ Man könne feststellen, dass sich die Ziele nicht geändert haben und nur die Instrumente andere sein müssten. Oder man sei der Meinung, dass sich auch die Ziele geändert hätten. „Wollt ihr den Sozialstaat noch? Oder ist der Sozialstaat etwas, was entmündigt?“ Darüber müsse endlich debattiert werden.

Kerstin Griese unterstrich, dass sie an einem starken Sozialstaat festhalten wolle, er müsse jedoch weitaus „intelligenter organisiert“ sein. Leider habe es Gerhard Schröder verpasst, in seiner Regierungserklärung die tatsächliche Dramatik der Situation darzustellen.

Walter zeigte sich überzeugt, dass eigentlich nur eine Große Koalition für tiefgreifende Veränderungen sorgen könnte. Denn im Bundesrat müsse die Union eigentlich mitmachen, könne aber kein Interesse daran haben, ihrem politischen Gegner im Bundestag zu helfen. Nach zwei Jahren „Sanierungskoalition“ seien die wichtigsten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen dann auf den Weg gebracht.

In der lebhaften Diskussion widersprach Friedhelm Possemeyer. Der Velberter Dezernent wies darauf hin, dass in der Großen Koalition der sechziger Jahre die wichtigen Debatten eben nicht im Parlament geführt worden seien, sondern „auf der Straße“.

50 Leute nahmen an der Diskussion in Langenberg, wo vor 135 Jahren der älteste sozialdemokratische Ortsverein in Niederberg gegründet wurde, teil. Sie freuten sich, dass Franz Walter immer wieder mit Witz und Ironie den nötigen Abstand zur Historie und seinen Folgerungen deutlich machte.

Berliner Republik: Happy Birthday, SPD! (von Franz Walter)

Buchvorstellung: „Die SPD – zwischen Proletariat und neuer Mitte “

Franz Walter: Die SPD. A. Fest Verlag, Berlin 2002, 304 Seiten, 24,90 € versandkostenfrei bestellen

28.5.03

Home