Berlin | Reden

„Raum für Gewissensverantwortung“

Kerstin Grieses Rede am 14. Februar 2008 in der ersten Beratung der Änderung des Stammzellengesetzes

Kerstin Griese [SPD]:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich richte mich bei meiner Entscheidung zugunsten eines Gesetzentwurfs nach meinen ethischen, christlichen Grundwerten. Viele in diesem Parlament tun das, kommen aber zu unterschiedlichen Entscheidungen. Ich glaube, das muss in dieser Debatte möglich sein.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Genauso wie bei den Patientenverfügungen muss man anerkennen, dass man aufgrund christlicher Grundüberzeugungen zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mir ist es wichtig, was meine Kirche zu diesem Thema sagt. Es ist aber gut, dass es eine Vielfalt in den Positionen der christlichen Kirchen in dieser Frage gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Ich bedanke mich ausdrücklich bei der katholischen und der evangelischen Kirche für viele Stellungnahmen und Ausführungen. Es ist richtig und wichtig, dass sie sich in die Diskussion über ethische Grundwerte einschalten. Ich will aber auch deutlich sagen: Gleichzeitig müssen die Kirchen Raum für die Gewissensverantwortung jedes einzelnen Christen und jeder einzelnen Christin in diesem Parlament und darüber hinaus geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte sagen, welche Grundsätze mir aus ethischer Verantwortung wichtig sind, welche Argumente mich bewogen haben, den Gesetzentwurf von Herrn Röspel und anderen auf eine einmalige Stichtagsverschiebung zu unterstützen. Wir müssen eine klare Regelung finden. Ich weiß nicht, warum hier so negativ über den Kompromiss gesprochen wird. Ich glaube, das geltende Stammzellgesetz stellt eine klare Regelung dar, die deutlich macht, dass keine Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört werden. Das wird im Ausland sehr ernst genommen, weil es eine klare Regelung ist, eine deutlichere als in vielen anderen Ländern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen eine Regelung finden, die es uns ermöglicht, Heilungschancen zu nutzen, wenn es solche – das kann noch niemand wissen – in Zukunft gibt. Bischof Huber, der EKD-Ratsvorsitzende, ist heute schon häufiger zitiert worden. Er hat sich für die einmalige Verschiebung des Stichtages mit dem Argument ausgesprochen: Starre Argumentationen können Lösungen auch verhindern. Ich glaube, das ist ein sehr kluges Argument. Er hat weiter gesagt, es sei gerade im Sinne des Lebensschutzes, den Stichtag nicht abzuschaffen, sondern einen Weg zu finden, das Stammzellgesetz von 2002 fortzuschreiben. Deshalb habe ich mich für die Verschiebung des Stichtages ausgesprochen, und ich will ganz deutlich sagen: Das ist eine klare, eine sehr strenge, eine sehr restriktive Regelung, die sehr viel restriktiver als die Regelungen in allen anderen Ländern der Welt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE))

Es sind besonders drei Argumente, die mich bewogen haben, für diese Haltung zu plädieren. Erstens. Der Forschung ist immanent, dass man das Ergebnis vorher nicht kennt.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Das ist eine Binsenweisheit, aber es liegt in der Natur der Forschung, dass man vorher nicht weiß, was dabei herauskommt. Ob die embryonale Stammzellforschung nun wirklich ergebnislos ist, wie heute einige sagten und zu wissen meinen,

(Rolf Stöckel [SPD]: Das ist falsch!)

können wir nicht sagen. Das muss und wird die Forschung ergeben.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Deshalb müssen wir die Forschung mit adulten Stammzellen – das tun wir auch – stärken. Genau das brauchen wir. Wir sollten uns hier und heute nicht anmaßen, schon zu wissen, dass embryonale Stammzellforschung keine Ergebnisse zeitigen und dass es keine Heilungschancen geben wird. Deshalb sage ich noch einmal: Der Forschung ist immanent, dass man das Ergebnis vorher nicht kennt. Deshalb muss man sie ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mein zweites Argument. Die strengen ethischen Regeln, die das deutsche Stammzellgesetz vorsieht, können nur erhalten bleiben, wenn dieses Gesetz weiterentwickelt wird, wenn wir der einmaligen Verschiebung zustimmen; denn – ich habe es schon gesagt – im internationalen Vergleich sind diese Regelungen sehr restriktiv. Es gibt keine Zerstörung von Embryonen zum Zwecke der Forschung in Deutschland, und es gibt auch keinen Anreiz im Ausland zur Zerstörung von Embryonen für die Forschung in Deutschland, weil wir diese klaren Regelungen haben. Der Gesetzentwurf des Kollegen Röspel und anderer schreibt diese Regelungen fort.

Mein drittes Argument. Wir sind keine Insel in Deutschland, und wir können auch keine Insellösung finden. Was passiert denn, wenn mithilfe der embryonalen Stammzellforschung in anderen Ländern Erkenntnisse gewonnen werden, mit denen auch bei uns in Deutschland Menschen geheilt werden könnten? Wie gehen wir mit solchen Ergebnissen um? Muss dann ein Arzt oder eine Ärztin sagen: Aus ethischer Verantwortung wende ich diese Ergebnisse nicht an?

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, das ist das Problem!)

Ich glaube, Grundlage von Ethik ist, Mitleid haben zu können. Eine Ethik ohne Mitleid gibt es nicht, hat mir Margot von Renesse gestern für diese Debatte mit auf den Weg gegeben. Mitleid ist ein Teil von Ethik. Man muss sich um Menschen kümmern wollen, Menschen heilen wollen. Auch das ist Ethik. Wir können uns nicht wie auf einer Insel vor dem verschließen, was im Rest der Welt geschieht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Mich haben besonders diese drei Gründe bewogen, für eine Verschiebung des Stichtages zu stimmen, übrigens im Sinne der Menschenwürde – das nehme ich ausdrücklich auch für mich und die anderen, die diesen Gesetzentwurf unterschrieben haben, in Anspruch –, im Sinne ethischer Grundlagen, die wir nicht nur auf dem Papier stehen haben wollen, sondern die wir anwenden und die wir tatsächlich bei uns leben wollen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

15.2.08

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