Berlin | Reden

„Wir wollen den Kampf gegen den Rechtsextremismus verstetigen“

Kerstin Grieses Rede am 15. März 2006 in einer Aktuellen Stunde anlässlich aktueller rechtsextremistischer Ereignisse in Ostdeutschland

Kerstin Griese (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf einen Aspekt eingehen, der noch gar nicht so ausführlich erwähnt wurde. Sie, Herr Grindel, haben Projekte gegen Rechtsextremismus angesprochen. Man muss sehen: In Halberstadt waren es gerade Jugendliche, die sich für ein Konzert gegen Neonazis eingesetzt haben. Das war das erfolgreiche Ergebnis von pädagogischen Programmen, von der Arbeit mit Jugendlichen, die sich dort für Toleranz und Demokratie engagiert haben. Sie wollten mit diesem Konzert ein Zeichen gegen Neonazis, für Toleranz und Demokratie setzen.

Wer in Halberstadt versagt hat, war die Erwachsenenwelt:

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es war der Landrat. Die Erwachsenen haben eben keine Vorbildfunktion ausgeübt. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass der Ansatz, Jugendliche, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, zu stärken, richtig ist.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, hat im Zusammenhang mit den Vorfällen in Halberstadt von einer Bankrotterklärung für die Politik im Hinblick auf die NPD gesprochen. Er hat den, wie ich finde, klugen Satz gesagt:

Wer den Aufstand der Anständigen fordert, sollte zunächst selbst in den Spiegel schauen.

Das möchte ich dem Halberstädter Landrat von hier aus gern sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund (CDU/CSU): Rufen Sie ihn mal an! Das ist das Gescheiteste! Nur man den Telefonhörer nehmen!)

Gleichzeitig möchte ich aber auch ausdrücklich den Jugendlichen, die sich in Halberstadt engagiert haben, danken; denn sie haben versucht, ein Zeichen gegen Neonazis zu setzen. Auch das ist über Halberstadt hinaus bekannt geworden. Das sollten wir ebenfalls nicht vergessen.

Ich glaube, dass die Gleichsetzung eines NPD-Konzerts mit einem Konzert von Konstantin Wecker unzulässig ist.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann nicht sagen: Das ist das Gleiche; das eine steht gegen das andere. Auf den Konzerten dieser Partei wird zum Beispiel verfassungsfeindliches Liedgut gespielt wird. Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten – das zeigen viele Beispiele –, NPD-Konzerte zu verbieten.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, genau!)

Ich möchte noch etwas zu unseren Programmen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sagen – in dieser Wahlperiode werden wir sie wahrscheinlich „Programme für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ nennen –: Wir haben bewusst den Ansatz gewählt, diejenigen Jugendlichen, diejenigen zivilgesellschaftlichen Kräfte zu unterstützen, die sich für die Demokratie einsetzen. Ich glaube, es war ein erfolgreicher Ansatz. Die sehr wohl vorhandene Evaluation zeigt, dass dort eine Wirkung erzielt worden ist, dass Beratungsstellen aufgebaut wurden, dass Menschen in ihrem Engagement für Demokratie und Zivilgesellschaft unterstützt wurden.

Wir sehen, dass es gerade in den neuen Bundesländern – Frau Pieper, das ist keine Stigmatisierung der neuen Bundesländer, sondern einfach die Realität – wichtig war, dass dort neue Strukturen geschaffen wurden, weil es teilweise keine gewachsenen gab. Insbesondere die Opferberatungsstellen und die mobilen Beratungsteams leisten dort eine sehr gute und sehr wichtige Arbeit.

((Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Iris Gleicke (SPD): So ist es! Richtig!)

Wir haben heute im Rahmen der Haushaltsberatungen im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter anderem diese Programme beraten. Wir haben erfahren, dass es weitaus mehr Anträge auf Unterstützung solcher Projekte gibt, als überhaupt bewilligt werden konnten. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass sich noch mehr Menschen für Demokratie und Toleranz einsetzen wollen.

Auch in Sachsen-Anhalt gibt es Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen, die Perspektiven für Jugendliche aufzeigen. Dort gibt es das Projekt „Courage zeigen“. Es gibt dort eine ganze Menge Ansätze, die wir hier – auch mit unseren Debatten – unterstützen sollten.

In den neuen Bundesländern leben weniger Ausländerinnen und Ausländer als in Hamburg. Trotzdem ist die Zahl der ausländerfeindlichen und rechtsextremen Straftaten dort höher. Dieses Problem sollte uns sehr nachdenklich machen. Angstzone bedeutet, dass sich Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Gesinnung dort nicht mehr auf die Straße trauen. Wir dürfen in der Demokratie keine Angstzonen – diesen Begriff benutzt man in der Wissenschaft; die Neonazis nennen es „national befreite Zonen“; ich finde diesen Begriff ganz schlimm – dulden; wir müssen uns gemeinsam dagegenstellen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir, die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion, haben im Koalitionsvertrag gemeinsam festgehalten: Wir wollen den Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, für Demokratie und Toleranz fortführen und auf Dauer verstetigen. Ich sage ganz deutlich: Auch wir als SPD-Fraktion stehen dazu; ja, wir wollen den Kampf gegen den Rechtsextremismus verstetigen; wir sehen eindeutig, dass wir dort weiterhin einen Schwerpunkt setzen müssen. Ich habe mit großer Zustimmung gelesen, dass Sie, Frau Kollegin Köhler, auch in der aktuellen Ausgabe „Blickpunkt Bundestag“ unmissverständlich gesagt haben: Der Schwerpunkt muss auf der Bekämpfung des Rechtsextremismus liegen; denn von dort gehen eindeutig die größeren Gefahren aus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann muss man den Haushalt aber ändern!)

Ich sage deutlich, auch für uns als SPD-Fraktion: Wir wollen trotz aller haushaltstechnischen Probleme eine Lösung finden, bei der mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen weiter bestehen können. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie man das erreichen kann; denn wir wissen, dass – bei allen haushaltstechnischen Problemen diese Arbeit eine sehr wichtige ist.

Wir wollen die Mittel für diese Projekte nicht kürzen – das werden wir, denke ich, in der großen Koalition gemeinsam auch hinbekommen –, sondern versuchen, für diese Arbeit Mittel in Höhe von 19 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Wir wollen das Programm gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Gewalt unter dem Titel „Für Demokratie, für Toleranz, für Vielfalt“ fortführen; denn das ist die Zielrichtung, um die es geht.

Mir ist ganz wichtig, dass wir uns die Evaluation genau ansehen, um festzustellen, wo wirklich Arbeit nötig ist. Wir haben gesehen, dass gerade die Beratungsteams und die Opferberatungsstellungen ganz wichtig sind. In der heutigen Zeit ist es ein, wie ich finde, wichtiges Signal in Richtung der Opferberatungsstellen, dass wir diese Arbeit weiter unterstützen wollen.

Die Evaluation zeigt auch: Wenn man eine nachhaltige Wirkung haben will, braucht man eine Vernetzung, eine gegenseitige Unterstützung der engagierten Bürgerinnen und Bürger sowie der Institutionen vor Ort, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, die gemeinsam Handlungsstrategien gegen rechtsextremes Gedankengut, gegen rechtsextreme Aufmärsche und gegen rechtsextreme Konzerte erarbeiten. Vonseiten des Deutschen Bundestages sollten wir diese Menschen bei ihrem Engagement, Gesicht gegen die Rechtsextremisten zu zeigen, in aller Eindeutigkeit unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

15.3.06

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