Berlin | Reden

„Eine Entscheidung für das Leben“

Kerstin Grieses Rede am 7. Juli 2011 in der abschließenden Beratung über ein Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagniostik (PID)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte begründen, warum ich den Gesetzentwurf von Flach, Hintze und Reimann unterstütze. Ich möchte das vor zwei Hintergründen tun: zum einen vor dem Hintergrund meines christlichen Menschenbildes, das mich in meinen Vorstellungen von umfassender Menschenwürde leitet, zum anderen vor dem Hintergrund, dass ich 2009 mit vielen anderen in diesem Haus, die sich jetzt auf die drei Gesetzentwürfe verteilen, einen Gesetzentwurf eingebracht habe, der die bessere psychosoziale Beratung bei eventueller Spätabtreibung vorsieht; für mich gibt es da einen inneren Zusammenhang.

Ich will erstens ganz ausdrücklich sagen: Der Gesetzentwurf, den ich unterstütze, sieht vor, dass die PID zwar grundsätzlich verboten bleibt, aber in besonders schwer wiegenden Fällen aus ethischen Gründen Ausnahmen möglich sind. Die Perspektive der werdenden Eltern einzubeziehen, ist mir wichtig. Wir haben die Ausnahmen klar definiert: ein hohes Risiko schwerwiegender Erbkrankheiten, Vorerfahrungen mit Totgeburten und schwersten Behinderungen, die oft zu einem qualvollen Tod der Kinder führen, den die Eltern miterleben müssen. Wir haben festgesetzt, dass eine Ethikkommission über die Anwendung der PID entscheidet. Wer sich einmal damit beschäftigt hat, was Ethikkommissionen in Krankenhäusern schon heute leisten, wenn es um den Anfang und das Ende des Lebens geht, der weiß, wie wichtig die individuelle Beratung ist.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich will ausdrücklich sagen: Die Anzahl der Fälle ist kein Argument. Es ist wichtig, zu wissen, dass es vermutlich um etwa 200 Fälle von PID im Jahr geht, also nicht um eine hohe Zahl. Die Anzahl ist aber nicht das Argument; wir müssen diese Frage grundsätzlich klären.

Deshalb sage ich zweitens: Als evangelische Christin bin ich natürlich der Überzeugung, dass der Embryo auch außerhalb des Mutterleibes schützenswert ist; aber ich bin der festen Überzeugung – ich weiß es –, dass allein im Reagenzglas noch kein Mensch heranreift, der zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden kann. Erst zusammen mit der Mutter entsteht werdendes Leben. Ja, ein Embryo ist werdendes Leben, aber nur im Bauch der Mutter wird es Leben.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Der evangelische Theologe Richard Schröder hat es bei der großen Anhörung im Gesundheitsausschuss sehr gut auf den Punkt gebracht: Geboren werden zu können, ist eine Voraussetzung von Menschsein. – Wenn ich mir die Stellungnahmen der Kirchen, die mir durchaus wichtig sind, ansehe, dann erkenne ich, dass es in der evangelischen Kirche zwar keine einheitliche Haltung gibt, aber auch bei ihr das Argument der Perspektive der Eltern eine Rolle spielt.

Ich habe mich gefreut, einen Brief von Donum Vitae aus Nordrhein-Westfalen zu bekommen, wo man mit der Schwangerschaftskonfliktberatung, der Pränataldiagnostik und der Frage eines unerfüllten Kinderwunsches sehr viel Erfahrung hat. Donum Vitae spricht sich ausdrücklich für eine begrenzte Zulassung der PID aus.

Mein drittes Argument. Ich habe es schon gesagt: Die PID darf nur in besonderen Fällen zugelassen werden. Ich will ausdrücklich sagen: Da geht es nicht um eine Hasenscharte oder das Downsyndrom, sondern um schwerste genetisch bedingte, vererbbare Krankheiten und Behinderungen oder um Totgeburten.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Es ist doch klar: Wenn man den erblich schwer vorbelasteten Eltern die Möglichkeit der PID nicht geben würde, würde man sie auf die Pränataldiagnostik verweisen. Dann würden sie in den Schwangerschaftskonflikt kommen, der in § 218 StGB mit der Möglichkeit der sogenannten Spätabtreibung beschrieben ist, nämlich dann, wenn die Mutter sagt: Ich kann das psychisch nicht ertragen; ich werde das nicht schaffen. – Wir haben uns 2009 sehr intensiv mit der Spätabtreibung beschäftigt. Ich glaube, ich habe alle Berichte gelesen. Ich habe mit Frauen gesprochen, die eine Spätabtreibung erlebt haben; das ist so schlimm. Wenn die Hilfe für die betroffenen Frauen und Eltern für uns im Mittelpunkt steht, dann halte ich die PID für ethisch hinnehmbarer als eine eventuelle Spätabtreibung; ich finde, die PID ist für die Frauen erträglicher.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Insofern ist meine Entscheidung auch frauenpolitisch motiviert. Denn wir wissen, dass es für Frauen weniger belastend ist und es ihnen viele traumatische Erfahrungen erspart, wenn sie den schweren Konflikt um die Frage ?Kann ich die Geburt eines schwerstbehinderten Kindes oder sogar eine Totgeburt ertragen?“ zu einem frühen Zeitpunkt lösen können und nicht erst später, wenn es sie – nach allem, was wir wissen, darüber gehört und gelesen haben – fürchterlich mitnimmt.

Ein weiterer Punkt: Die Rechtsetzung wird in ethischen Fragen immer wieder vom medizinisch Möglichen überholt. Das gilt ganz besonders für die Pränataldiagnostik. Ich bitte aber ausdrücklich darum, dass wir die Debatte über die Pränataldiagnostik nicht mit der PID-Debatte vermischen. Wir kritisieren sicherlich gemeinsam, dass die Pränataldiagnostik Überhand genommen hat und Druck auf Frauen ausgeübt wird. Wir müssen endlich einmal eine Debatte darüber führen, was sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Pränataldiagnostik verändert hat. Wir müssen uns damit beschäftigen, welche Veränderungen man herbeiführen sollte, auch um das Recht auf Nichtwissen zu verankern. Das hat aber nichts mit dieser PID-Debatte zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ein letzter Punkt, der mir eigentlich der wichtigste ist: Ich finde es ganz schlimm, wenn uns unterstellt wird, uns würde nichts an der Teilhabe von Menschen mit Behinderung liegen. Wir alle wissen, dass es weiterhin, auch bei Anwendung von PID und PND, behinderte Menschen geben wird. Die meisten Behinderungen entstehen bei oder nach der Geburt. Es wird niemals Leidfreiheit geben. Es wird keine Perfektion geben; das ist auch nicht mein Menschenbild. Deshalb sollten wir dieser Idee nicht nachhängen, sondern Behinderung als Teil unseres Lebens ansehen und anerkennen, dass behinderte Menschen zur Mitte unserer Gesellschaft gehören. Wir sollten endlich mehr für die Inklusion behinderter Menschen tun und nicht nur in Sonntagsreden darüber sprechen. Das würde ihnen wirklich helfen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

In den Ländern, in denen die PID angewendet wird, gibt es zum Teil eine bessere Inklusion behinderter Menschen.

Aus diesen Gründen habe ich mich entschlossen, den Gesetzentwurf von Flach, Hintze, Reimann und anderen zu unterstützen, der genau definierte, enge Regeln zur begrenzten Zulassung der PID in Ausnahmefällen festsetzt, der Aufklärung und Beratung verpflichtend verankert und der in jedem individuellen Fall die Entscheidung einer Ethikkommission vorsieht. Das ist für mich eine Entscheidung für das Leben. Das ist eine Entscheidung für die Hilfe für Betroffene. Für mich ist das Ethik für das Leben.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

7.7.11

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