Berlin | Reden

„Großer Meilenstein der Familienpolitik“

Kerstin Grieses Rede am 26. September 2008 in der abschließenden Lesung über das Kinderförderungsgesetz

Kerstin Griese (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um wieder etwas Gelassenheit in die Debatte zu bringen, lassen Sie mich sagen: Auch beim Thema Betreuungsgeld gilt die Wahlfreiheit. Darüber werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden, und zwar 2012/2013. Ich bin mir sicher, dass dann niemand mehr das Betreuungsgeld will.

(Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD])

Ich kann nur Frau von der Leyen zitieren: Die Einführung eines Betreuungsgeldes wäre eine bildungspolitische Katastrophe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen besonders von den Grünen und von der Linksfraktion, Sie haben kritisiert, im Gesetzentwurf sei keine Rede von der Qualität der Kinderbetreuung. Ich will Ihnen da ganz entschieden widersprechen. In der Tat haben wir in den letzten Jahren – das war nötig; das war auch gut so – viel für die Quantität der Kinderbetreuung getan. Es geht uns aber immer auch um die Qualität. Wir haben zum Beispiel eindeutig festgelegt, dass parallel zum Ausbau der Kindertagespflege – an dieser Stelle ist das ganz besonders wichtig – auch eine pädagogische Ausbildung von Tagesmüttern, Tagesvätern und Tagesgroßeltern zur Pflicht gemacht wird, damit auch die Betreuung durch diesen Personenkreis immer mit einer pädagogischen Qualifikation verbunden ist. Auch das ist ein Schritt vorwärts. Das war bisher nicht einheitlich festgelegt.

Meine Damen und Herren besonders von der FDP, nun zum Thema privat-gewerbliche Kinderbetreuung. Ich will unsere Auffassung einfach noch einmal erklären. Wir von der SPD – ich glaube, da spreche ich auch für den Koalitionspartner – haben überhaupt nichts gegen private Elterninitiativen und gegen Betriebskindergärten. Diese sind übrigens auch alle gemeinnützig. Das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und nicht immer durcheinanderwerfen. Es ist gut, dass es diese Vielfalt, diese breite Landschaft der privaten Träger, in Form von kirchlichen Trägern und Wohlfahrtsverbänden, gibt. Wir haben also überhaupt nichts gegen private Kinderbetreuung. Wir haben nur etwas dagegen, wenn Kinderbetreuung aus rein kommerziellen Gründen von Unternehmen betrieben wird, die ausschließlich Gewinn erzielen wollen.

(Jan Mücke [FDP]: Warum?)

Das heißt, Privatinitiativen sind willkommen und können entsprechend gefördert werden, wenn sie Qualitätsstandards und rechtlichen Standards genügen. Darum geht es also eigentlich.

(Beifall bei der SPD – Jan Mücke [FDP]: Was ist dann Ihr Gegenargument?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden hier heute neben dem Gesetz zum Elterngeld einen weiteren großen Meilenstein der Familienpolitik in dieser Wahlperiode. Zentrale Ziele unserer Politik sind erstens, Kinder besser und früher zu fördern – das ist heute schon deutlich geworden –, zweitens, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, und drittens – das ist mir ganz wichtig – Armutsprävention bei Kindern und Eltern. Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, wirkt sehr zielgenau, insbesondere bei der Armutsprävention, weil allen Kindern gute und gleiche Chancen auf frühkindliche Bildung und Erziehungshilfe gegeben werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein solcher Erfolg hat ja immer viele Mütter und Väter. Ich möchte in diesem Fall einmal drei Mütter und einen Vater nennen, bei denen wir uns ganz herzlich bedanken möchten. Im Zuge des Kinderförderungsgesetzes, das wir heute verabschieden, werden ja 4 Milliarden Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Jeder, der sagt, das sei zu wenig, sollte bei der Debatte einmal ernsthaft die heutigen Zustände mit den Zuständen von vor zehn oder acht Jahren in Deutschland vergleichen. Wir sind riesige Schritte gegangen. Dass heute der Bundesfinanzminister bereit ist, 4 Milliarden Euro für den Ausbau bereitzustellen, ist ein großes Dankeschön wert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Grübel [CDU/CSU]: Frau Kollegin, das Budgetrecht geht vom Parlament aus!)

Ich möchte mich natürlich bei den Müttern dieses Gesetzentwurfs bedanken. Ich möchte gerne mit Renate Schmidt beginnen, die mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz die ersten Weichen gestellt hat, damit wir in Deutschland vorankommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen, dafür bedanken, dass Sie diesen Gesetzentwurf mit uns durchgekämpft haben und dass wir nun einen weiteren Meilenstein setzen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Und ich möchte mich bei der Kollegin Nicolette Kressl bedanken, die – das muss man auch mal sagen – die gute Idee hatte, den Ausbau und die Finanzierung der Kinderbetreuung mit dem Rechtsanspruch zu koppeln. Das war eine kluge Lösung, die uns voranbringt. Denn nun kann das Geld, das wir als Bund geben, in den Ländern und Kommunen tatsächlich mit Einführung des Rechtsanspruchs zum Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Einen herzlichen Dank also diesen Müttern und Vätern!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich noch einen Schritt weiter gehen. Es ist mir nämlich als Sozialdemokratin wichtig – ich hoffe, dass es allen in diesem Hause wichtig ist –, dass wir uns noch intensiver mit dem Thema Armutsrisiko von Kindern beschäftigen und diese Problematik noch stärker angehen. Vieles, was in dem Gesetzentwurf steht, hilft dabei. Es hilft dabei, dass vor Ort Eltern-Kind-Zentren entstehen können und eine bessere Qualität in der frühkindlichen Bildung entstehen kann. Wir brauchen auf der kommunalen Ebene noch mehr Netzwerke für das gesunde Aufwachsen von Kindern, und – das sage ich auch ganz deutlich – wir wollen darüber nachdenken, wie man ein gesundes Mittagessen in den Kindertagesstätten und in den Ganztagsschulen ermöglichen kann.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen – und deshalb ist auch die Debatte um die Qualität in der Kinderbetreuung richtig und gut – Eltern in Eltern-Kind-Zentren, in Familienzentren und in Mehrgenerationenhäusern stärker einbinden. Denn die Kompetenz der Eltern ist gefragt. Es reicht nicht mehr aus – das sage ich auch in Richtung einiger Debattenredner –, Erziehung durch Eltern und Erziehung durch Kindertagesstätten gegeneinander auszuspielen. Das bringt gar nichts. Vielmehr müssen diese Elemente immer zusammenwirken, und deshalb ist die vernetzte Arbeit in Eltern-Kind- Zentren sehr wichtig.

(Beifall bei der SPD)

An die Adresse der Länder sage ich allerdings ganz eindeutig: Der Bund wird nicht alles machen können. Es geht darum, auch über die Betreuungsschlüssel die Betreuungsqualität zu verbessern. Wir als SPD haben in unserem Zehnpunkteplan gegen Kinderarmut sehr mutig gesagt: Ein qualitativ guter Betreuungsschlüssel ist 1 : 4 bei Kindern unter drei und 1 : 8 bei Kindern über drei. Diesen gilt es dann auch umzusetzen. Das ist der in der Wissenschaft anerkannte Schlüssel, und auch darum geht es, wenn die Betreuungsqualität verbessert werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Genauso geht es um Gebührenfreiheit. Ich bin froh, dass viele Länder – Rheinland-Pfalz hat als erstes Land damit begonnen – jetzt über die Gebührenfreiheit nicht nur nachdenken, sondern Gebührenfreiheit für Kinderbetreuung einführen. Denn für uns muss Bildung gebührenfrei sein – von der Kinderkrippe bis zum Studium. Schließlich hängen gleiche Bildungschancen damit zusammen. Ich sage auch: Wir sind im Bund mit dem, was wir machen können, noch nicht fertig. Wir werden darüber debattieren, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein muss. Wir werden über einen Kindergrundfreibetrag und einen gerechten Familienlastenausgleich diskutieren, damit tatsächlich alle Familien und alle Kinder gleichermaßen davon profitieren können.

Ein weiterer Punkt, der uns hier im Bund zu Recht weiter verfolgen wird und über den wir debattieren werden, ist das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz. Auch dieses Thema gehört mit dazu, wenn wir heute über ein Kinderförderungsgesetz sprechen. Auch diesen Schritt können wir hier im Bundestag gemeinsam gehen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum Entwurf dieses Kinderförderungsgesetzes eine sehr breite Zustimmung bekommen. Wir haben eine Anhörung durchgeführt, in der aus den Reihen der Wissenschaft und der Verbände große Unterstützung für diesen Gesetzentwurf signalisiert wurde. Wir wissen aufgrund der öffentlichen Meinung, dass viele auf dieses Gesetz gewartet haben. Es gibt viele, die sagen: Endlich beginnt der Weg zum Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag. Und vor allem erfahren wir von jungen Eltern und jungen Familien sehr viel Zuspruch.

Ich denke, das sollte uns ein Zeichen sein. Lassen Sie uns doch einfach alle gemeinsam für dieses Kinderförderungsgesetz stimmen. Es ist ein guter Schritt für dieses Land. Es ist ein guter Schritt für die Familien und insbesondere für die Kinder. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

27.9.08

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