Start

„Deutlich machen, welche Werte in unserer Gesellschaft gültig sind“

Kerstin Grieses Rede am 8. Mai 2008 in der abschließenden Lesung über der Änderung des Jugendschutzgesetzes

Kerstin Griese (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Gehring, wir haben unsere ganze Energie auf breiter Spur eingesetzt, um den Jugendschutz ein Stück voranzubringen. Natürlich wird man das immer weiter tun müssen. Das ist der Sache immanent: Der Jugendmedienschutz entwickelt sich immer weiter, weil sich auch die Medien immer weiter entwickeln. Aus diesem Grund brauchen wir hier neue Regelungen, und deshalb ist es richtig, dass wir heute einen ersten Schritt machen.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass wir 2003 mit unserem – übrigens damals gemeinsam beschlossenen – Jugendschutzgesetz zum ersten Mal in Angriff genommen haben, den Bereich der Computerspiele zu regeln.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gelobt worden!)

Das gab es vorher nicht. Das war ein wichtiger Schritt. Jetzt gibt es eine Evaluation, übrigens erst seit ein paar Monaten, die wir gut durcharbeiten und deren Ergebnisse wir umsetzen werden. Wenn Sie sich damit beschäftigen, wissen Sie, dass ein großer Teil dieses Bereichs Ländersache ist, sodass wir gemeinsam mit den Ländern an weiteren Verbesserungen arbeiten werden.

(Beifall des Abg. Jürgen Kucharczyk [SPD])

Wirksamer Jugendmedienschutz muss gleichermaßen auf drei Säulen beruhen: erstens auf der Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen – übrigens auch von Eltern –, zweitens auf der gezielten Aufklärung und drittens auf einem System sinnvoller Altersbeschränkungen. Denn damit können wir deutlich machen, welche Werte und welche Grenzen in unserer Gesellschaft gültig sind. Ich sage es noch einmal: Wir werden hier mit Sicherheit immer wieder über den Jugendmedienschutz sprechen, weil sich die Technik weiterentwickelt, weil es eine stetige Veränderung gibt.

Das wird auch in der Evaluation deutlich. Das Hans-Bredow-Institut hat in dieser Evaluation festgestellt, dass sich allein durch die technologische Entwicklung die Grafiken so verändert haben, dass die Darstellung von Gewalt heute realitätsnäher und detailgetreuer möglich ist als vor einigen Jahren. Der andere Grund für die Weiterentwicklung ist die Medienkonvergenz, das heißt die Übertragbarkeit der Inhalte von einem Medium auf ein anderes.

Ich bin sehr dafür, dass wir die Diskussion über gewalthaltige Spiele sachlich und ohne populistische Zwischentöne führen. Denn selbstverständlich sind nicht alle Konsumenten von sogenannten Killerspielen, mit denen ja meistens die Ego-Shooter gemeint sind, gewalttätig. Tatsache ist aber auch, dass es inzwischen nur noch wenige Lobbyisten gibt, die behaupten, dass brutale Spiele und Gewalt überhaupt nichts miteinander zu tun hätten. Wenn Sie sich mit diesem Thema beschäftigen, dann wissen Sie, dass sich die Wissenschaft durchaus schwertut, direkte Zusammenhänge herzustellen: Was haben gewalttätige Spiele mit Aggressionen aufseiten der Nutzer zu tun? Es ist tatsächlich noch ungeklärt, wie sich Gewaltdarstellungen auf das reale Verhalten von Spielern auswirken.

Es ist aber auch klar, dass es einen Zusammenhang zwischen dem häufigen Konsum von gewalthaltigen Computerspielen und einer Abnahme von Empathie, von Einfühlungsvermögen, und von sozialen Verhaltensweisen gibt. Das hat die Evaluation deutlich gezeigt. Deshalb müssen wir handeln.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es gibt Studien, die deutlich zeigen, dass Spiele ein solches Verhalten verstärken, wenn Jugendliche von vornherein große Probleme haben und ohnehin zu gewalttätigem Handeln neigen.

Trotzdem sage ich ganz deutlich: Es ist reiner Populismus, ein Verbot solcher Spiele zu fordern; denn erstens setzt unser Rechtssystem Verboten aus guten Gründen hohe Hürden, und zweitens würde uns ein Verbot in der falschen Sicherheit wiegen, wir hätten das Problem im Griff, obwohl das nicht der Fall ist.

Es gibt allerdings einen Zusammenhang – auch das zeigen neueste Forschungen – zwischen einem sehr intensiven Computerspielkonsum und schlechten Schulleistungen. Das heißt, die Jugendlichen, die in eine zweite Welt, in ein „second life“, also in ein anderes Leben, abtauchen, können gar nicht mehr den Bezug zum realen Leben herstellen. Diese Entwicklung ist übrigens auch dann zu beobachten, wenn man den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzt.

Wenn emotionale Erlebnisse während des Computerspielens die realen Erlebnisse wie beispielsweise Lernerfolge in der Schule in den Schatten stellen, dann kann man in der Tat eine Art Medienverwahrlosung feststellen. Eine solche Medienverwahrlosung werden wir nicht allein mit Jugendschutzregelungen nachhaltig eindämmen können. Da braucht es viele andere Maßnahmen beispielsweise im Bereich der Ganztagsschulen. Dazu gehört auch, dass man sich um die Jugendlichen und Kinder kümmert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich sage noch einmal: Zum Jugendschutz gehört auch, dass die Gesellschaft mehr Verantwortung für Kinder und Jugendliche übernimmt.

(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD])

2003 haben wir das positive Rating für Computerspiele eingeführt. Es muss eine Kennzeichnung geben, ab welchem Alter Spiele geeignet sind. Wir haben zum ersten Mal die Regelung eingeführt, dass die USK, die Unterhaltssoftware Selbstkontrolle, entsprechende Label vergibt. Ich will allen Beteiligten ausdrücklich für ihre Arbeit danken. In diesen Dank einbeziehen möchte ich auch und gerade die Spieletester, die sich diese Spiele ansehen, durchspielen und sich durch eine Flut von Spielen kämpfen. Natürlich sind die Eltern gefordert, danach zu handeln. Genauso wie bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft hat sich auch hier gezeigt, dass sich eine freiwillige Selbstkontrolle bewährt.

Die Defizite liegen in der Tat im Vollzug; das will ich noch einmal ausdrücklich sagen. Die Evaluation hat ergeben, dass drei Viertel aller Jugendlichen sagen, sie hätten Zugang zu nicht altersgemäßen Spielen. 18 Prozent der Jugendlichen haben angegeben, ihre Eltern hätten ihnen diese Spiele, die für ihr Alter noch nicht geeignet sind, gegeben. Es geht also sehr stark darum, Eltern im Umgang mit Medien kompetenter zu machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Mit dieser Gesetzesänderung wollen wir die maßgeblichen Kriterien herausstellen. Die USK hat diesbezüglich gute Arbeit geleistet. Aber sie ist natürlich auch nicht unfehlbar. Wir müssen darauf hinwirken, dass bei besonders realistischen, grausamen und reißerischen Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt diese Medien indiziert werden. Das ist deshalb wichtig, weil damit ein Werbeverbot verbunden ist, welches bewirkt, dass der Umsatz sinkt. Das ist auch gut so.

Wir werden Medien, die Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert darstellen, automatisch auf die Liste der jugendgefährdenden Medien setzen. Auch das ist richtig. Denn auch hier hat die Evaluation gezeigt: Wenn Gewalttaten in solchen Spielen als belohntes Leistungshandeln dargestellt werden, ist dies besonders schwerwiegend und gefährlich.

Zum Schluss will ich noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen sowie von ihren Eltern, von Erzieherinnen und Erziehern, von Lehrerinnen und Lehrern zu stärken. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung, die Kinder kompetent begleitet.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Sie haben gesagt, Sie kämen zum Schluss.

Kerstin Griese (SPD):

Dann tue ich das.

Ich will noch ausdrücklich sagen, dass Computerspiele nicht per se dumm machen. Es gibt auch sehr viele pädagogisch wertvolle Spiele. Aber wir müssen die Augen offenhalten, wenn Kinder und Jugendliche in Parallelwelten abtauchen. Deshalb brauchen wir einen positiven Jugendschutz, der junge Menschen vor Bildungsarmut, vor Perspektivlosigkeit und vor Langeweile bewahrt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

9.5.08

zurück | Home