Berlin | Reden

„Zweiklassengesellschaft zwischen denen, die im FSJ sind, und denen, die im neuen Bundesfreiwilligendienst sind“

Kerstin Grieses Rede am 24. Februar 2011 in der ersten Lesung des Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes

Kerstin Griese (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Land engagieren sich sehr viele Menschen ehrenamtlich. Ohne sie wären unsere Städte und Gemeinden ärmer. Sehr viele Jugendliche in unserem Land machen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Wir gehen von etwa 35.000 Jugendlichen im Jahr aus. Leider wird nur ein Teil von ihnen durch den Bund gefördert. Der Bedarf ist noch viel größer. Es sind etwa doppelt so viele Jugendliche, die sich um einen Platz bewerben. Bei den Auslandsdiensten und in der Kultur – wir haben das gestern Abend noch einmal bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung sehr deutlich gehört – sind es sogar noch viel mehr. All diese Jugendlichen wollen sich im Rahmen des FSJ oder FÖJ in den Bereichen Soziales, Sport, Kultur oder Ökologie engagieren. Dazu kommen noch die Jugendlichen bei „weltwärts“ in der Entwicklungspolitik.

Deshalb möchte ich zuallererst – ich hoffe auch, dass ich das in Ihrer aller Namen tun kann – all denen danken, ob Alt oder Jung, ob im FSJ oder in den vielen Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände, in Initiativen und Kirchengemeinden, in der Nachbarschaftshilfe, in der Telefonseelsorge, in Umweltverbänden, in Kitas und Schulen, in Behinderteneinrichtungen und Obdachlosenunterkünften, die sich freiwillig engagieren und die einen so wichtigen Beitrag leisten. Ihnen allen ein herzliches Dankeschön dafür!

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie, liebe Frau Ministerin, haben mit dem Zivildienst angefangen. Ich will ausdrücklich zum FSJ, zum Freiwilligen Sozialen Jahr, etwas sagen; denn das hat in den letzten Jahren großen Zuspruch erfahren und es ist eine bewährte, langfristig erprobte Form des freiwilligen Engagements Jugendlicher. Es ist auch deshalb so gut, weil es im Übergang zwischen Jugend- und Erwachsenenleben die Möglichkeit gibt, sich persönlich oder beruflich neu zu orientieren, sich auszuprobieren, Fähigkeiten einschätzen zu lernen. Von diesem Engagement profitieren natürlich nicht nur die Jugendlichen, sondern die Gesellschaft insgesamt. Es ist die Chance, sich um Mitmenschen zu kümmern, einander zu begegnen, und für viele, mit denen man spricht, die dieses Jahr gemacht haben, war das auch ein Jahr, in dem sich ihr Berufswunsch entwickelt hat. Gerade junge Männer kommen häufig erst dadurch auf die Idee, in soziale Berufe zu gehen. Wenn Sie sich mit ehemaligen Zivis oder FSJlern unterhalten, sehen Sie oft, wie ihre Augen glänzen, wenn sie von dieser Arbeit und von den Menschen erzählen, die ihnen anvertraut sind.

Der Freiwilligendienst bietet auch eine Chance, weil Jugendliche dort unabhängig vom Elternhaus mit Menschen aus anderen gesellschaftlichen Schichten zusammenkommen. Wir haben ja nun leider eine viel zu frühe Selektion im Bildungswesen. Deshalb ist auch das eine ganz wichtige Sache. Mit dem Wegfall des Wehr- und Zivildienstes wird jetzt ein Feld geräumt, wo sich Menschen begegnen können.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es so wichtig, jetzt die Chance richtig zu nutzen und im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht und des Zivildienstes attraktive und gut ausgestattete Freiwilligendienste konsequent zu stärken. Die SPD-Fraktion hat der Bundesregierung ihren konstruktiven Beitrag dazu angeboten. Wir stehen für eine einheitliche Lösung im Interesse der jungen Menschen, die diese Freiwilligendienste machen wollen, bereit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Einheitlich! Genau!)

– Danke.

Die Bundesregierung hat diese Chance ja bisher nicht ergriffen, sondern will weiterhin – auch wenn Sie es nicht mehr hören können – neben den bewährten, bestehenden Freiwilligendiensten einen neuen Bundesfreiwilligendienst installieren. Wir alle kennen die juristische Debatte dazu. Wir sagen aber noch einmal ausdrücklich: Wir halten diese Doppelstruktur weiterhin nicht für eine gute und richtige Lösung; denn sie wird mehr Bürokratie und Kosten verursachen.

Wenn Sie mit den Trägern des FSJ sprechen – viele von uns tun das; einige haben das gerade auch gestern Abend wieder getan –, erleben Sie da sehr viel Verunsicherung. Nach einer ersten Phase, die durchaus von Freude darüber geprägt war, dass es mehr Mittel, wenn auch leider nicht alle, die durch den Wegfall des Zivildienstes frei werden, für das freiwillige Engagement gibt, gibt es jetzt sehr große Verunsicherung darüber, wie diese neuen Bundesfreiwilligendienste organisiert werden sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat es mit ihrem Hin und Her wirklich geschafft, alle zu verunsichern: erstens die jungen Menschen, die wissen wollten, wie es bei ihnen biografisch weitergeht, zweitens die Menschen in den Einrichtungen, die ihre Zivis und FSJler zu schätzen wissen, drittens die Träger, die qualifizierte Angebote machen wollen und Planungssicherheit brauchen. Wir haben jetzt in kurzer Zeit von fünf verschiedenen Modellen gehört: von der Verkürzung des Zivildienstes, von der freiwilligen Verlängerung, von der Abschaffung, von der Aussetzung und nun vom neuen Bundesfreiwilligendienst.

Hier muss man auch feststellen dürfen: Der Zeitplan ist nicht optimal, und die Einrichtungen wissen immer noch nicht, worauf sie sich ab dem 1. Juli einlassen können. Deshalb wird es auch schwierig sein, genügend Menschen zu finden, obwohl wir ausdrücklich sagen: Wir wollen viel dafür tun, damit sich junge Menschen in diesem neuen Bundesfreiwilligendienst engagieren.

Es besteht weiterhin die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft zwischen denen, die im FSJ sind, und denen, die im neuen Bundesfreiwilligendienst sind.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Durch Wiederholung wird es auch nicht wahrer!)

Sie wissen, dass die SPD in ihren Regierungsjahren auf den Ausbau des FSJ gesetzt hat. Da können Sie sicherlich kritisieren, dass das noch nicht genug war. Das würde ich auch selbstkritisch annehmen; denn gerade die Jugend- und Familienpolitiker wollten gerne mehr. Dabei waren Sie, liebe Frau Kollegin, allerdings auch nicht immer hilfreich. Aber wir haben auf den Ausbau des FSJ gesetzt. Wir haben den Zivildienst zum Lerndienst weiterentwickelt. Wir haben die generationsübergreifenden Freiwilligendienste erfunden. Auch das ist, wie ich glaube, eine wichtige Sache, die Sie ja auch teilweise fortgesetzt haben. Ich denke, darauf hätte man mehr aufbauen müssen.

Wir wünschen uns auch eine sinnvolle Fortsetzung des freiwilligen Engagements für Ältere. Ich glaube immer noch, es braucht unterschiedliche Konzepte, je nachdem, ob man einen Dienst für Jugendliche anbietet, die sich in einer Phase der beruflichen und biografischen Orientierung befinden, oder ob man neue Möglichkeiten des freiwilligen Engagements für Ältere schaffen will. Dieser muss im Hinblick auf die Begleitung anders aussehen.

(Beifall bei der SPD)

Das Jahr 2011 – viele wissen es noch gar nicht – ist von der Europäischen Union zum „Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft“ – in der EU-Sprache, ein etwas sperriger Titel – erklärt worden. In Deutschland werden sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure unter dem Motto „Freiwillig. Etwas bewegen!“ engagieren. Die Rahmenbedingungen sollen – das hat die EU so vorgeschlagen – in diesem Jahr verbessert werden. Die Freiwilligenorganisationen sollen gestärkt werden. Das freiwillige Engagement soll mehr anerkannt werden, und die Menschen sollen für die Bedeutung der Freiwilligentätigkeiten sensibilisiert werden.

Ich möchte ausdrücklich den Appell an die Bundesregierung richten: Nutzen Sie diese Chance! Wir brauchen ein klares Auftreten der Bundesregierung beim Einsetzen für die Ziele des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit. Die Zuständigkeit ist ja in Ihrem Haus, Frau Ministerin, und bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege angesiedelt. Ich appelliere weiterhin an Sie: Begreifen Sie dieses Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit als Chance, das freiwillige Engagement europaweit zu unterstützen! Zeigen Sie etwas mehr Herzblut! Denn es ist eine große Chance, die wir alle ergreifen sollten. Wir brauchen in Deutschland bessere Strukturen zur Förderung des freiwilligen Engagements.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

27.2.11

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