Berlin | Reden

„Das kirchliche Arbeitsrecht muss reformiert werden“

Kerstin Grieses Rede am 14. November 2012 in der Debatte über den Antrag der Linken „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Seiten des Hohen Hauses machen es sich hier etwas zu einfach. Der Antrag von den Linken ist inzwischen überholt und veraltet. Er bleibt auch nur an der Oberfläche und benennt die Ursachen des Problems nicht.

Und Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, verschließen völlig die Augen davor, dass es sehr wohl Probleme im sozialen Sektor und auch im Bereich der in den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Beschäftigten gibt. So einfach geht es nicht. Das Problem ist ein bisschen komplizierter. Und bei aller Liebe zum Juristischen – wir müssen es nun mal auch politisch bewerten.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nach den Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes vom 20. November, die hier schon vielfach zitiert wurden, ist klar: Das kirchliche Arbeitsrecht kann nicht abgeschafft werden. Aber dieses Urteil hat einige Hausaufgaben aufgegeben und vorgegeben, in welche Richtung es jetzt gehen muss.

Wir müssen die genaue Begründung des Urteils abwarten, aber schon jetzt wissen wir: Erstens. Den kirchlichen Beschäftigten kann das Streiken nicht generell verboten werden. Ich finde, das ist eine gute Entscheidung. Zweitens hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass die Kirchen sehr wohl das Recht haben, weiterhin den Dritten Weg zu wählen. Auch das ist richtig und verfassungsgemäß. Drittens hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil zu dem Fall in Hamburg festgestellt, dass das besondere Modell, das in Norddeutschland und auch hier in Berlin-Brandenburg gewählt wurde, nämlich der Zweite Weg, sehr wohl auch gewählt werden kann. Es können also Tarifverträge zwischen Kirchen und Gewerkschaften unter Ausschluss von Streik und Aussperrung abgeschlossen werden.

Das sind weise Urteile. Wir müssen jetzt schauen, welche Chancen wir haben, um die Mitarbeiterrechte, die Position der Mitarbeiter und die soziale Arbeit in Deutschland zu stärken; denn darum geht es uns als Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [Grüne])

Ich finde es gut, wenn jetzt ein Weg gefunden wird, über den Dritten Weg das Streikrecht zu ermöglichen. Ich appelliere ausdrücklich an alle Beteiligten, das möglich zu machen. Wichtig ist uns, dass der verfassungsrechtliche Anspruch der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, selbstverständlich akzeptiert wird. Völlig klar ist für uns auch, dass zum Auftrag der Kirchen die soziale Arbeit dazugehört – zu wem denn auch sonst? Man braucht doch nur in die Geschichte zu blicken: Hospizarbeit, Kinderbetreuung und Altenpflege gehören sehr wohl zu christlichem Handeln dazu. Aber selbstverständlich fordern wir von der SPD, dass vorhandene Missstände behoben werden müssen, und sagen ganz klar: Outsourcing und Leiharbeit passen nicht zum selbst gesteckten Anspruch der Kirchen.

(Beifall bei der SPD)

Das kirchliche Arbeitsrecht muss reformiert werden.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Frau Kollegin Griese, Sie merken, dass sich der Kollege Peter Weiß gemeldet hat. Sie gestatten die Zwischenfrage?

Kerstin Griese (SPD):

Natürlich.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Bitte schön.

Peter Weiß (CDU/CSU):

Frau Kollegin Griese, da Sie selbst im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Wohlfahrtsorganisation der evangelischen Kirche, an oberster Stelle Leitungsverantwortung getragen haben, möchte ich Sie fragen: Ist es nicht so, dass die Probleme, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen, diakonischen oder karitativen Dienst haben, daraus resultieren, dass sich einzelne Institutionen, die dem Diakonischen Werk oder der Caritas angehören, nicht an die in ihren Verbänden geltenden Tarifregelungen allgemeiner Art gehalten haben, sondern versucht haben, über Outsourcing und Ähnliches aus dem Tarif auszusteigen? Ist das nicht ein Problem, das die Leitungen zum Beispiel der Caritas und der Diakonie und die Leitungen der evangelischen und der katholischen Kirche regeln müssen, indem sie in ihren rechtlichen Regelungen klarstellen: „Zu uns kann nur gehören, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht kann nur wahrnehmen, wer die Tarifregelungen anwendet; wer sie nicht anwendet, ist eben draußen“?

Da Sie in diesem Bereich Leitungsverantwortung getragen haben und es aus eigener Anschauung kennen, bitte ich Sie, dazu ein klares Wort zu sprechen: Wer trägt die Verantwortung, und wer muss konsequent regeln, dass man den kirchlichen Tarifregelungen nicht entfliehen kann?

Kerstin Griese (SPD):

Lieber Herr Kollege Weiß, das tue ich sehr gerne; denn Sie sprechen ein wichtiges Problem an. Da Sie bei der Caritas – viele Jahre länger als ich bei der Diakonie – einen Blick von innen auf diese Arbeitsverhältnisse hatten, können wir, glaube ich, beide sagen: Ein Teil der Hausaufgaben, die uns das Bundesarbeitsgericht aufgegeben hat, ist der Appell, der deutliche Auftrag an Kirchen, Diakonie und Caritas, sich an ihre selbst gesteckten Regeln zu halten. Auch ich als Vertreterin der Politik fordere das ausdrücklich von Diakonie und Caritas ein; selbstverständlich muss man sich an die geschlossenen Tarifverträge und an die Arbeitsvertragsrichtlinien halten. Es ist interessant, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil sagt: Wenn man sich nicht daran hält, ist Streiken sehr wohl erlaubt.
(Peter Weiß [CDU/CSU]: Richtig!)

Insofern ist ganz klar: Die Vielfalt – manche sagen auch: die Zerklüftung – der Tarifverträge im Bereich der Kirchen und der kirchlichen Wohlfahrtsverbände muss überwunden werden; da müssen einheitliche Regelungen geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Weiß [CDU/CSU]: Vielen Dank!)

Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt: Die Gewerkschaften müssen beteiligt werden; wörtlich heißt es, sie müssten „organisatorisch eingebunden“ sein. Auch da geht mein Appell an Diakonie und Caritas: Die Gewerkschaften organisatorisch einzubinden, heißt nicht, dass sie einfach nur dabei sein sollten, dass einfach nur ein Mitarbeitervertreter gewählt werden kann, der Gewerkschaftsmitglied ist. Vielmehr heißt es, dass eine strukturelle Beteiligung der Gewerkschaften gewährleistet sein muss. Das ist eine der Konsequenzen aus dem Urteil.

Die zweite Konsequenz haben wir schon eben in unserem kleinen Dialog angesprochen: Die Arbeitgeberseite darf nicht aus geschlossenen Tarifverträgen und vor beschlossenen Arbeitsvertragsrichtlinien flüchten. Hier wird mehr Verbindlichkeit eingefordert. Die eine Seite kann nicht einfach einen anderen Vertrag wählen, weil es ihr besser passt. Das geht nicht, und das müssen wir, der Bundestag, den Kirchen, der Diakonie und der Caritas ausdrücklich sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Linken und der Grünen)

Das Urteil hat aber auch den Gewerkschaften eine Hausaufgabe aufgegeben: Sie dürfen sich einer Mitarbeit in den Gremien nicht verweigern, sondern müssen sich dort tatsächlich konstruktiv einbringen. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir, die SPD, begrüßen alle Äußerungen von Verdi, von den Gewerkschaften, von Diakonie, Caritas und Kirchen, die jetzt ausdrücklich sagen, dass es um die Zusammenarbeit geht. Denn der gemeinsame Gegner aller, die im sozialen Bereich arbeiten, der gemeinsame Gegner von Kirchen, ihren Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften ist der ruinöse Wettbewerb in der Sozialbranche.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es so weitergeht, werden die privaten Träger, die mit ihrem Lohndumping die Preise und die Löhne drücken, mehr und mehr Platz gewinnen. Ich nenne ein paar Zahlen: In der stationären Pflege befinden sich inzwischen circa 40 Prozent in privater Trägerschaft; nur noch 55 Prozent liegen in frei-gemeinnütziger Verantwortung und nur 5 Prozent in öffentlicher, kommunaler Verantwortung. In der ambulanten Pflege werden schon 60 Prozent von privaten Trägern übernommen, und sie sind es, die für das Lohndumping verantwortlich sind.

(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Die Pflegekassen!)

Deshalb hat mein Kollege Ottmar Schreiner zu Recht gesagt: Das, was wir brauchen – das ist nicht nur eine Aufgabe der Kirchen, Herr Kollege Weiß, sondern sehr wohl auch eine Aufgabe der Politik bzw. eine gemeinsame Aufgabe der Kirchen, der Gewerkschaften und der Politik –, ist ein Branchentarifvertrag Soziales, der für allgemeinverbindlich erklärt werden muss, um bessere Bedingungen für die Menschen zu schaffen, die im sozialen Bereich arbeiten, und für die Menschen, die dort gepflegt und betreut werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

22.11.12

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