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AWO-Hotline eröffnet
Kerstin Grieses Rede zur Bedeutung von Mutter-Kind-Kuren
Ich freue mich sehr, dass die AWO hier in Oberhausen ein so wichtiges Projekt
startet, eine Hotline für alle, die Fragen zu Kuren für Mütter
(oder Väter) haben, Kuren, die man auch mit den Kindern machen kann.
Ich freue mich deshalb darüber, weil wir im Bundestag die Arbeit des Müttergenesungswerkes
und damit auch diese Arbeit der AWO, um die es heute geht, gestärkt haben
und weiter stärken wollen.
Im Jahr 2002 hat der Deutsche Bundestag einstimmig entschieden, dass Mutter-Kind-Kuren und Mutterkuren von den Krankenkassen voll zu finanzieren sind. Vorher war es häufig so, dass die Krankenkassen nur einen Teil der Kurkosten übernommen haben. Der Gesetzgeber, also die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, war und ist davon überzeugt, dass Mutter-Kind-Kuren eine einzigartige frauenspezifische und ganzheitliche Maßnahme sind, die es sonst in unserem Gesundheitssystem nicht gibt. Deshalb sollen diese Kuren in jedem Fall als volle gesetzliche Pflichtleistung der Krankenkassen gelten. Der Zugang zu einer Kurmaßnahme soll weder erschwert oder gar verhindert werden, erkrankten Mütter und übrigens ausdrücklich auch erkrankten Väter sollen die notwendigen Maßnahmen uneingeschränkt gewährt werden.
Die Krankenkassen lehnen leider aber derzeit die Anträge von Müttern in gestiegenem Maße ab. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen gingen in diesem Bereich in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Das Gesetz aus dem Jahr 2002 wollte aber die Teilnahme an einer Kur erleichtern. Die gesetzliche Lage ist eindeutig und ich appelliere an die Krankenkassen, hier ihrer Verpflichtung nachzukommen.
Es ist besonders wichtig, die betroffen Frauen bei ihrem Weg zu einer Kur zu unterstützen, und ihnen Mut zu machen. Alle Beratungseinrichtungen und Träger, nicht zuletzt das Müttergenesungswerk selbst, beklagen, dass die betroffenen Frauen äußerst verunsichert sind. Die AWO-Hotline, die wir heute eröffnen, nimmt sich dieser Verunsicherung an und möchte Müttern und Vätern mit Rat und Tat zur Seite stehen, um sie über die Möglichkeiten, mit einer Mutter-Kind-Kur ihre Gesundheit wiederzuerlangen, zu informieren. Ich freue mich sehr, dass mit dieser Hotline die Beratung von Müttern auf ein weiteres Standbein – neben den bestehenden wichtigen Beratungsangeboten vor Ort von den fünf Trägervereinen des Müttergenesungswerkes – gestellt wird. Denn die Beratung ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Kur und auf dem Weg in eine gesündere Zukunft.
Warum sind Mutter-Kind-Kuren so wichtig, wo liegt ihre Bedeutung, so dass wir heute mit der AWO-Hotline eine weitere Beratungsstelle für diesen Bereich einrichten?
1. Die besondere Situation von Müttern
Studien haben gezeigt, dass Mütter und Kinder zu den besonders sozial
verletzlichen und gesundheitsgefährdeten Gruppen unserer Gesellschaft
gehören. Frauen, die den 24-Stunden-Job Mutter leisten, stoßen aufgrund
des Spagats, es allen – dem Kind bzw. den Kindern, dem Ehemann, den eigenen
Eltern, den Freundinnen und Freunden und natürlich auch ihren eigenen
Ansprüchen – recht machen zu wollen, schneller an ihre psychischen
und physischen Grenzen. Die vielfältigen, kaum zu gleichzeitig zu verwirklichenden
Ansprüche und Aufgaben, die eine Frau, wenn sie Mutter wird, übernimmt,
führen zunächst zu einer hohen Verausgabung. Doch bei einer ständigen
Verausgabung auf hohem Niveau werden die Ressourcen schnell so gering, dass
sie schließlich nicht mehr ausreichen. Anfangs als bloße Überforderung
wahrgenommen, wird diese damit abgetan, dass sie vielleicht vergeht, wenn das
Kind älter ist, wenn die Ehekrise überwunden ist, wenn der Arbeitgeber
sich daran gewöhnt hat, dass der Kindergarten zu einem bestimmten Zeitpunkt
nun mal schließt usw. Die Überforderung gipfelt häufig in einem
stabilen Zustand der ständigen Erschöpfung, der in Schlafstörungen
oder Angstzuständen mündet. Dies wird in der Regel aber nicht als
die als Symptome einer ernsthaften Erkrankung wahrgenommen, sondern wird verdrängt.
Erkrankungen des Bewegungsapparats, der Atemwege, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
sowie psychosomatische Erkrankungen werden dann, oft leider erst sehr spät,
von Ärzten als Folge der Mehrfachbelastung und Überforderung diagnostiziert.
2. Mutter-Kind-Kuren als spezifisches Angebot für Frauen
Mit einer physiotherapeutischen Behandlung der Rückenschmerzen ist es
in diesen Fällen wirklich nicht getan. Bei zwei Dritteln der kranken Mütter
sind zudem die Kinder ebenfalls erkrankt.
Um aus dem Teufelskreis der Überforderung, Erkrankung, die die Mutter
noch mehr überfordert, auszubrechen, sind Mutter-Kind-Kuren die einzige
frauenspezifische, ganzheitliche Maßnahme, die kranke und belastete Mütter
und ihre Kinder stärkt, ihnen ermöglicht, zu gesunden und ihnen einen
Start in eine gesündere Zukunft ermöglicht. Diese Kuren sind aus
frauen- und aus familienpolitischer Sicht besonders wertvoll, weil sie ganz
spezifisch auf die Situation von Müttern – in einigen Fällen
auch von Vätern – eingehen können und die Patientinnen ganzheitlich
behandeln. Notwendig sind in diesen Fällen nämlich nicht nur eine
Anwendung oder spezielle Medikamente, sondern ein neuer Umgang mit den Belastungen
des Alltags, der in einer Kur erlernt werden kann
3. Nachhaltige Rehabilitation
Die positive Wirkung einer Mutter-Kind-Kur oder auch einer Mutterkur auf die
körperliche Gesundheit und die psychische Stabilität ist wissenschaftlich
nachgewiesen. In einer Mutter-Kind-Kur wird die besondere Lebenssituation
in den Mittelpunkt gerückt und den Frauen wird Ruhe, Kraft, Zuversicht
gegeben und ihre Gesundheit zurückgegeben. Nach einer individuell auf
die Teilnehmerin abgestimmten Kur hat sich der Zustand von Müttern und
Kindern gravierend verbessert. Behandelt werden zum einen die jeweiligen
körperlichen oder psychosomatischen Beschwerden. Wichtig ist aber auch
die Kraft die die Frauen in der Kurmaßnahme tanken können. Davon,
so haben Evaluierungen gezeigt, zehren die Frauen sehr lange.
Eine Untersuchung des Müttergenesungswerks vom April 2004 zeigt, dass
sechs Monate nach der Kur die Schmerzbeeinträchtigung der Frauen geringer
war. Die Frauen nahmen weniger Medikamente ein, die Anzahl der Krankheitstage
sank. Die eigene Gesundheit und Zufriedenheit wurde noch ein Jahr nach Kur
positiv von den Frauen bewertet.
4. Prävention
Natürlich ist der Allround-Job Mutter auch nach einer Kur schwierig zu
bewältigen. Frauen, denen in der Kur Mut und Zuversicht gegeben werden
konnte, können aber ihre Kompetenzen wieder wahrnehmen und mit neuer Phantasie
ihr Leben meistern. In der Kur haben die Frauen gelernt, wie sie ihre eigenen
Ressourcen einschätzen müssen und wie sie in Zukunft mit Belastungen
umgehen können. Wünschenswert und nicht unmöglich ist es, dass
eine Kur den Frauen auch eine realistischere Einschätzung und Bewertung
ihrer an sich selbst gestellten Anforderungen ermöglicht. Die Untersuchung
des Müttergenesungswerkes zeigte auch, dass die Erziehungskompetenz nach
einer Kur gestiegen ist.
Eine Mutter-Kind-Kur ist also nicht nur Rehabilitation, sondern gleichzeitig
Prävention. Sie stellt die Weichen dafür, dass die Mütter ihre
unverzichtbare Familienarbeit, die in unserer Gesellschaft so wichtig ist,
wieder besser leisten können. Und eine Kur hilft auch, die immer noch
schwierige Balance von Familie und Arbeitswelt besser meistern zu können.
Neben den Müttern haben wir immer auch die Kinder im Blick. Wir sprechen in der aktuellen Tagespolitik viel über die zu niedrige Geburtenrate, über die daraus entstehenden Probleme für die Rente, für die Demografie, für das Wachstum. Kinder sind aber keine abstrakte Größe in einer sich demografisch wandelnden Gesellschaft. Kinder leben nicht immer glücklich wie in der traditionellen Bilderbuchfamilie. Ich denke, wir alle stimmen darin überein, dass alle Kinder Schutz, Wärme, Geborgenheit und Entfaltungsmöglichkeiten brauchen. Wenn sie dies in ihrem Elternhaus aus vielerlei Gründen nicht bekommen können, muss die Gesellschaft helfen. Kinder kranker Eltern sind selbst anfälliger für Krankheiten. Es geht darum, diesen Kindern Gesundheit, Bildungschancen und Förderung zu ermöglichen. Auch deshalb legen wir in unserer Familienpolitik den Schwerpunkt darauf, Bildung, Betreuung und Erziehung für Kinder zu verbessern. Deshalb appellieren wir an alle, an die Kommunen, die Wirtschaft und die Unternehmen, die Politik, die Verbände und die Wohlfahrtsorganisationen, sich zusammen dafür einzusetzen, dass unser Land kinder- und familienfreundlicher wird.
Um Mütter und Väter bei der Beantragung der Kur zu unterstützen,
ihnen Mut zu machen, sie auch zum Durchhalten zu bewegen, ist Beratung durch
professionelle Helferinnen und Helfer unerlässlich. Aus diesem Grund bin
ich froh, dass mit der AWO-Hotline eine weitere Unterstützung geschaffen
wird, damit Mütter erfolgreich eine Kur wahrnehmen können und ihnen
damit langfristig geholfen wird.
Ich wünsche der AWO und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Hotline
alles Gute für diese wichtige Arbeit. Ich wünsche Ihnen, dass diese
Hotline viel genutzt wird und besonders für diejenigen, die sich an sie
wenden, erfolgreich ist.
9.7.04