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Frauenrechte sind Menschenrechte
Kerstin Grieses Rede am 13.3.2003 in der Debatte über den fünften Bericht der BRD zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir ziehen heute eine Bilanz der Frauenpolitik und ich will aus der Sicht der Generation junger Frauen etwas dazu sagen, was sich verändert hat und was wir von der Politik erwarten.
1994 lautete das Motto der Aktionen der sozialdemokratischen Frauen: Die Hälfte des Himmels, die Hälfte der Erde, die Hälfte der Macht. Inzwischen haben die Frauen die Hälfte des Kabinetts erobert. Das ist ein Novum. Denn so viel Frauenpower gab es noch nie in einer Regierung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit der Bundesfrauenministerin Renate Schmidt gibt es insgesamt sechs Ministerinnen sowie viele Staatssekretärinnen und Staatsministerinnen.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Die Männer glänzen durch Abwesenheit!)
Das begrüße ich deshalb, weil eine Forderung zur selbstverständlichen Realität geworden ist: Frauen wollen die Hälfte der Macht.
Im Parlament ist bei einigen Fraktionen noch Nachholbedarf zu verzeichnen. Herr Grübel, ich stimme Ihnen zu, dass Frauen und Männer gleichermaßen zu beteiligen sind. Ich lade auch alle Männer sehr herzlich in unseren Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend ein. Sie lade ich zum Karneval in meinen Wahlkreis ein; aber das ist ein anderes Thema.
(Heiterkeit bei der SPD)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Zu was laden Sie ihn ein?
(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das war sehr ernst, was Herr Grübel gesagt hat!)
Kerstin Griese (SPD):
In den Fraktionen des Bundestags sieht es sehr unterschiedlich aus. Während der Frauenanteil in der SPD-Fraktion bei über 35 Prozent liegt, beträgt er in der CDU/CSU-Fraktion weniger als 23 Prozent und in der FDP-Fraktion etwa 25 Prozent. Da muss sich schon noch etwas tun.
(Ina Lenke [FDP]: Wir haben jetzt wieder eine mehr!)
Frauen stellen auch die Hälfte der Wählerschaft. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen sehr gut, dass die Frauen die Bundestagswahl entschieden haben, indem sie unsere moderne Frauen- und Familienpolitik den alten Hüten von der Union vorgezogen haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Widerspruch bei der CDU/CSU)
Der CEDAW-Bericht, den wir heute diskutieren, mahnt an, dass die Beteiligung von Frauen in der Politik noch gesteigert werden muss. Denn noch immer gibt es eine traditionelle Rollenverteilung, die die Ursache für die geringere Beteiligung von Frauen an politischen Ämtern ist. Interessanterweise sind Frauen aber in der Mehrheit, wenn es um das ehrenamtliche Engagement geht. Auch das sollte uns zu denken geben. Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung ein Bündel von Maßnahmen aufgelegt hat, um junge Frauen für politisches Engagement zu gewinnen.
Das Problem in unserer Gesellschaft liegt aber noch an einer anderen Stelle, wie der Prospekt des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und seines Vorstandes zeigt, der ausschließlich aus Männern besteht. Insofern besteht unser Hauptproblem nicht darin, dass im Frauenausschuss des Bundestags so viele Frauen vertreten sind, sondern darin, wie es in der Führungsebene der deutschen Wirtschaft aussieht.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])
Ich möchte noch ein weiteres Motto eines Frauentages zitieren, weil es sehr aktuell und programmatisch ist. 1988 hat unsere Kollegin Inge Wettig-Danielmeier den Satz geprägt: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Ich glaube, darum geht es. Der heutigen Generation junger Frauen geht es das ist für sie ganz selbstverständlich um ein Miteinander von Männern und Frauen, um Gleichberechtigung in der Schule, in der Ausbildung und im Studium.
Das ist für uns eigentlich die Grundlage. Das fordern wir auch für Familie und Partnerschaft ein. Deshalb steht die individuelle und flexible Lebensplanung im Vordergrund. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat eine neue Dimension erreicht und stellt neue Anforderungen an die Politik, an die Gesellschaft und insbesondere an die Männer. Ich bin um jeden froh, der sich damit beschäftigt. Es geht um eine menschliche Gesellschaft, um die Balance von Leben und Arbeit.
Die meisten jungen Frauen nutzen optimistisch ihre Chancen. Ganz interessant ist, dass viele mit dem Begriff Frauenförderung eigentlich nichts mehr anfangen können; denn sie fühlen sich gar nicht als defizitäres Wesen, das gefördert werden müsste. Und das ist auch gut so. Wir machen dieses Selbstbewusstsein junger Frauen sowie ihre guten Ausbildungs- und Schulabschlüsse zum Ausgangspunkt unserer modernen und lebensnahen Frauenpolitik. Frauen das ist schon von vielen gesagt worden machen die besseren Schulabschlüsse. Allerdings ist ihr Anteil an denjenigen, die promovieren, nur noch ein Drittel. Der große Karriereknick kommt bei den C-4-Professuren; denn dort beträgt der Frauenanteil nur noch 7,1 Prozent. Ein solcher Knick kommt dann, wenn jede noch so gut ausgebildete Frau auf dem Arbeitsmarkt allein auf ihre Gebärfähigkeit reduziert wird und deshalb noch immer Nachteile erleiden muss.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb das ist meine feste Überzeugung muss sich in der gesamten Gesellschaft, bei Männern und Frauen, etwas ändern.
Wir wollen eine menschliche Gesellschaft, die gleiche Chancen bietet, und zwar sowohl für Frauen auf Karriere als auch für die neuen Väter auf Familienzeit, die viele Männer so gerne nehmen wollen, aber tatsächlich sind es nur 2 Prozent. Das neue Elternzeitgesetz und das Recht auf Teilzeitarbeit sind gute Schritte in die richtige Richtung. Auch in der Wissenschaft geht es voran. Inzwischen sind ein Viertel der Juniorprofessuren mit Frauen besetzt. Das ist ein Fortschritt.
Ich bin mir außerdem ganz sicher, dass unser Schwerpunkt, den wir beim Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten gesetzt haben die Ministerin hat immer wieder betont, dass sie für Vielfalt ist, dass wir die ganze Bandbreite der Angebote nutzen wollen, von den Tagesmütterinitiativen über die Einrichtungen der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände bis hin zu den staatlichen Einrichtungen , ein Riesenschritt für mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern sein wird. Das wird die Praxis jenseits aller ideologischen Debatten sicherlich zeigen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte noch auf zwei Bereiche eingehen, in denen wir mit der Frauenpolitik der rot-grünen Koalition ganz entscheidende Fortschritte zu verzeichnen haben. Erstens: der Schutz von Frauen vor Gewalt. Hier setzen wir Zeichen; denn Gewalt im häuslichen Bereich ist keine Privatsache. Das 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz bietet Schutz vor Gewalttaten. Die Gewaltopfer das sind meistens Frauen haben einen Anspruch auf Wohnungsüberlassung. Das Gewaltschutzgesetz gibt das Signal: Das Opfer bleibt, der Täter geht! Ich denke, das ist das richtige Signal.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens: die Asyl- und Menschenrechtspolitik. Der CEDAW-Bericht ist das wichtigste internationale Dokument, in dem klargestellt wird: Frauenrechte sind Menschenrechte. In dem Bericht wird die Bundesregierung für die Novellierung des Ausländergesetzes gelobt und es wird angemahnt, wie wichtig es ist, dass sich Deutschland als Ziel- und Transitland des Menschenhandels damit beschäftigt; denn Menschenhandel ist in erster Linie noch immer Mädchen- und Frauenhandel. In dem CEDAW-Bericht wird die Einrichtung der bundesweiten Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Frauenhandels gelobt, die Erfolge zu verzeichnen hat.
Ich möchte noch ein aktuelles Thema ansprechen, das mich sehr schockiert hat. Ich habe gelesen, dass die unionsgeführten Länder die geschlechtsspezifischen Fluchtursachen aus dem Zuwanderungsgesetz streichen wollen. Ich halte das für einen Skandal.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich appelliere ganz deutlich insbesondere an die Kolleginnen der Opposition: Lassen Sie das nicht zu! Wenn Sie sich die zurzeit laufende Plakatkampagne gegen die Beschneidung von Mädchen ansehen, dann wissen Sie doch, dass frauenspezifische Fluchtursachen grausame Realität sind. Ich bin mir ganz sicher, dass die deutsche Gesellschaft in ihrem Bewusstsein längst weiter ist und dass es eigentlich kaum noch jemanden gibt, der leugnet, dass frauenspezifische Verfolgung existiert und ein lebensbedrohlicher Grund sein kann, ein Land zu verlassen.
Im CEDAW-Bericht werden wir ausdrücklich aufgefordert, den Schutz ausländischer Frauen, insbesondere den weiblicher Asylsuchender, zu verstärken.
Wir wollen hier keinen Rückschritt. Wir wollen die frauenspezifischen Fluchtursachen im Gesetz belassen. Deshalb sage ich Ihnen: Treten Sie Ihren Männern auf die Füße das müssen wir manchmal auch bei unseren machen , damit diese Errungenschaften für die Frauen nicht den Profilierungskämpfen an der CDU-Spitze zum Opfer fallen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
15.3.03