Berlin | Reden

Kerstin Griese: „Frauen an die Spitze“

Plenardebatte „Durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken“

Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen „Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung“ (pdf-Datei)

Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – das ist ein vordringliches Ziel dieser Bundesregierung und das begrüßen wir sehr.

Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erfahrung beginnen, die ganz offensichtlich zeigt, wie wichtig die Stärkung von Frauen in Wissenschaft und Forschung ist: In meinem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft ist mir nicht eine einzige Professorin an meiner Hochschule begegnet. Glücklicherweise gab es auch mal den einen oder anderen Gastvortrag einer Professorin, aber das löst das Problem nicht. Gerade für Studentinnen, für angehende und junge Wissenschaftlerinnen ist es wichtig, Professorinnen zu erleben, als ein Beispiel für Frauen an der Spitze in Wissenschaft und Forschung. Wir wissen, wie wichtig solche Vorbilder sind, um junge Frauen zu motivieren, selber eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen.

Ganz abgesehen davon haben Frauen in der Wissenschaft in den letzten Jahren besonders eines bewirkt: den eigenen Blick, den spezifischen Blick und die Erfahrungen von Frauen, sei es auf Geschichte, Medizin oder Sprachwissenschaften. Dieser eigene Blick hat Neues, Spannendes und Innovatives in die Forschung gebracht, die Wissenschaft ist eindeutig bereichert worden.

Es ist immer noch ein Skandal, dass in Deutschland mit Marion Kiechle an der TU München nur ein einziger Lehrstuhl für Gynäkologie mit einer Frau besetzt ist. Hieran sehen wir nur allzu deutlich unseren Nachholbedarf.

Frauen und Männeranteil in Bildung und
Wissenschaft 2000 (Angaben in Prozent)


Die Schere klafft auseinander: 56 Prozent der
AbiturientInnen sind Frauen, aber nur 5 Prozent
aller Leitungspositionen in außerunivesitären
Forschungseinrichungen sind von Frauen besetzt.
(Diagramm: kerstin-griese.de)

Die Realität an den deutschen Hochschulen ist noch immer erschreckend:

Zwar sind über die Hälfte derjenigen, die ein Studium beginnen, Frauen. Davon erreichen auch noch knapp die Hälfte ihren Hochschulabschluss. Danach gibt es dann einen starken Bruch: Nur ein Drittel davon promovieren, deutlich weniger als ein Viertel (aktuell 18,4 Prozent) habilitieren, und den Anteil der Professuren mag ich in Brüchen gar nicht mehr benennen: es sind bei den C4-Professuren knapp sieben Prozent. Der Wissenschafts- und Forschungsbereich ist ein Beispiel, dass das „Old-Boys-Network“ noch immer gut funktioniert. Dagegen müssen wir auf die Netzwerke der jungen forschen Wissenschaftlerinnen setzen.

In der außeruniversitären Forschung sieht es übrigens nicht besser aus: Bei den Spitzenpositionen stehen fünf Frauen 95 Männern gegenüber. Und bei Zukunftsberufen in der IT-Branche und bei Meisterausbildungen kommen auf eine Frau neun Männer. Das Problem beginnt schon in der Ausbildung, wo Frauen nur 14 Prozent der Ausbildungsplätze im IT-Bereich belegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das wollen und das müssen wir ändern und damit haben wir auch schon begonnen.

Die Unterrepräsentanz von Frauen im wichtigen Zukunftsbereich der Bildung und Forschung ist nicht länger hinzunehmen. Wir fordern die Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen der Wissenschaft und Forschung. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Bundesregierung im Rahmen ihres Gender-Mainstreaming-Ansatzes begonnen hat, dieses Leitprinzip auch im Bildungs- und Forschungsbereich durchzusetzen.

Dazu gibt es vielfältige Programme und Projekte. Mit dem Programm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft im 21. Jahrhundert“ wollen wir den Frauenanteil bis 2005 in den Informatikstudiengängen und den IT-Berufen auf 40 Prozent steigern. Das Bund-Länder-Programm „Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“ ist mit einem Volumen von jährlich 30 Millionen Euro gestartet worden und hat zum Ziel, Frauen auf dem Weg zu einer Professur zu unterstützen.

Der CDU/CSU und der FDP ist der Vorwurf zu machen, dass sie in ihrer Regierungszeit das Thema Gleichstellung, gerade hier im Wissenschafts- und Forschungsbereich, ignoriert und sträflich vernachlässigt haben. Ich glaube fast, dass die Aussage des Altkanzlers Kohl, die hohe Arbeitslosigkeit in ihrer Regierungszeit sei durch die „verstärkte Erwerbsneigung der Frauen“ verursacht, Ihre Mentalität geprägt hat. Wenn man ein solch konservatives Familienbild von der Frau für Haus und Herd hat, dann passt anscheinend dazu keine Nobelpreisträgerin und keine Professorin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

entscheidend ist die Frage, wo die Barrieren für Frauen auf dem wissenschaftlichen Weg an die Spitze sind. Noch immer ist es so, dass es auch im Studium und in der wissenschaftlichen Karriere eher die Frauen sind, die zurückstecken, wenn Kinder unterwegs sind. Für sie stellt sich die Frage „Kinder oder Karriere?“ schärfer als für ihre männlichen Kommilitonen. Die Väter der Kinder werden weitaus häufiger Professoren als die Mütter. Die Kinderbetreuung führt natürlich dazu, dass sich das Studium oder die Promotion verlängert oder unterbrochen wird und dass die Chancen auf wissenschaftliches Fortkommen sinken. Deshalb ist es besonders wichtig, die Situation der Kinderbetreuung zu verbessern. An unseren Hochschulen studieren insgesamt zirka 115.000 Väter und Mütter, das sind sieben Prozent der Studierenden in den alten und acht Prozent in den neuen Bundesländern. Viele Studentenwerke haben in den letzten Jahren Tagesstätten für die Kinder studierender Eltern aufgebaut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

hier müssen Bund und Land gemeinsam daran arbeiten, dass die Möglichkeiten der Kinderbetreuung verbessert werden. Wir von der SPD haben dieses Ziel zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht. Unser Ziel ist es, dass Männer und Frauen Kinder und Karriere vereinbaren können. Gerade die skandinavischen Länder zeigen uns, dass gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten dazu beitragen, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in denen berufstätige Mütter eine Selbstverständlichkeit sind. Deshalb fordern wir heute die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern dafür zu sorgen, dass die Kinderbetreuungsangebote an den Hochschulen ausgebaut werden, dass mehr ganztägige Betreuung angeboten wird und dass die Länder einen Schwerpunkt auf Ganztagsschulen setzen. Da sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern gravierend, in CDU-CSU-regierten süddeutschen Ländern gibt es noch immer weniger Betreuungsangebote, besonders für unter Dreijährige und im Ganztagsbereich. Hier muss sich etwas ändern.

Wir unterstützen die Bundesregierung darin, ihren Weg der Stärkung von Frauen in Wissenschaft und Forschung weiter zu gehen, damit die Frauen, die wissenschaftlich Spitze sind, auch an die Spitze kommen.

Vielen Dank.

22.2.02

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