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Chancen im Wandel
Kerstin Grieses Rede zur Jugendpolitik am 15. November 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.
Kerstin Griese (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist die Wahrnehmung
vieler Jugendlicher richtig: Jugendliche spielen in der Politik keine oder eine
zu geringe Rolle. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ändern wir gerade,
und zwar auch schon seit 1998. Wir stellen Kinder und Jugendliche, ihre Interessen
und Perspektiven in den Mittelpunkt.
Lassen Sie mich etwas zu Herrn Haupt sagen, der behauptet hat, es seien nur schöne
Worte im Regierungsprogramm zu finden. Neben schönen Worten finden Sie auch
eine ganze Menge Fakten, Programme und finanzielle Mittel. Wenn Sie die Antwort
auf die Große Anfrage Jugend durchlesen, sehen Sie, was wir
alles getan haben, um diesen Bereich zu verstärken.
(Beifall bei der SPD)
Sie haben selbst gesagt, Bildung sei das Wichtigste. Da stimme ich Ihnen voll
und ganz zu. Aber schauen Sie doch einmal in Ihre Regierungszeit zurück!
Sie haben den Bildungsetat permanent gekürzt. Die FDP war in dieser Republik
fast 30 Jahre an der Regierung. Wir haben die Kürzungen aufgehoben, wir investieren
jetzt wieder in Bildung.
(Walter Hirche [FDP]: Als die FDP den Bildungsminister stellte, wurden die Mittel
ausgeweitet! Möllemann eins, zwei und drei Milliarden-Programme für
die Jugend!)
Das ist für die Zukunft der jungen Generation wichtig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich gehöre mit 34 Jahren noch zu den jungen Abgeordneten in diesem Hohen
Hause. Ich glaube nicht, dass alle Probleme damit gelöst sind, wenn ausschließlich
junge Leute Interessen in der Politik vertreten. Aber die Verstocktheit und die
Blockaden der Regierung Kohl wurden auch durch einen Generationenwechsel abgelöst.
Ein Bestandteil dieses Generationenwechsels sind viele jüngere Abgeordnete
und wenn Sie sich die Zahlen ansehen, so sehen Sie, dass die vor allem auf den
Bänken der Regierungsfraktionen, der SPD und der Grünen, zu finden sind.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Das stimmt. Doppelt so viele junge Abgeordnete wie bei Ihnen von der CDU/CSU,
Frau Heinen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen ein Angebot an die Jugendlichen. Wir
wollen zum Einsatz für unsere demokratische Gesellschaft heraus fordern.
Der Vorwurf, Jugendliche würden nicht gefragt, gilt nicht mehr. Wir machen
Angebote zur Diskussion und zur Mitgestaltung. "Ich mache Politik",
das ist der Slogan der Beteiligungsbewegung, die von der Ministerin ins Leben
gerufen worden ist und die in dieser Woche begonnen hat. Zuerst einmal hört
jetzt die Politik zu, wenn Jugendliche den Ministerinnen und Ministern ihre Meinung
sagen. Ich finde, das ist auch gut so.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg.
Angela Marquardt [PDS])
Jugendliche geben oft Anstöße für gesellschaftliche Debatten und
Bewegun gen, die ein gerechteres Miteinander der Menschen zum Ziel haben. Gerade
nach den Anschlägen vom 11. September haben wir alle beobachtet, wie Tausende
von Jugendlichen, wie zig Schulklassen ihre Solidarität mit den USA, ihre
Toleranz, aber auch ihre Friedenssehnsucht ausgedrückt haben vor der amerikanischen
Botschaft in Berlin und in vielen anderen Städten in der Bundesrepublik.
Ich denke, dieses Engagement muss man würdigen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)
Dies zeigt auch, dass Jugendliche nicht unpolitisch sind. Sie interessieren sich
zum Beispiel für den Ausstieg aus der Atomenergie, für den Abbau der
Staatsschulden, für eine gesunde Umwelt und für einen interessanten
Job. Genau von diesen Entscheidungen hängt die Zukunft unserer Gesellschaft
ab. Deshalb bedeutet unsere Jugendpolitik, dass alle Ressorts, vom Arbeitsministerium
bis zum Wirtschaftsministerium, von der Bildung bis zur Entwicklungshilfe, die
Belange von Kindern und Jugendlichen beachten und fördern; denn und das
steht bei uns im Mittelpunkt Generationengerechtigkeit ist ein Ziel unserer
Politik.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und Jugendliche wollen sich engagieren
und die Gesellschaft gestalten. Sie wollen sich selbst organisieren; das ist das
Prinzip der Jugendverbände. Um kontinuierliche Partizipation zu gewährleisten,
ist die Arbeit der Jugendverbände unverzichtbar. Deshalb möchte ich
an dieser Stelle den Aktiven im Deutschen Bundesjugendring und seinen Mitgliedsverbänden,
in denen Millionen von Jugendlichen ehrenamtlich aktiv sind, für ihre wichtige
Arbeit danken.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich freue mich, dass Gaby Hagmans, die Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings,
an dieser Debatte teilnimmt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte insbesondere auf ein Thema eingehen. Beim Rechtsextremismus stehen
wir vor einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Es wäre falsch, allein Jugendliche
für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verantwortlich zu machen, und es wäre
genauso falsch, allein nach Ostdeutschland zu gucken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])
Die Ursachen sind vielfältig das wissen und akzeptieren wir hoffentlich
alle : mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsperspektiven, fehlender Halt in der
Familie und die Suche nach einfachen Lösungen, um nur einige zu nennen. Deshalb
gehört für Sozialdemokraten die Bekämpfung von Rechtsextremismus
und Fremdenfeindlichkeit zu den wichtigsten Aufgaben unserer Politik. Eine kontinuierliche
Jugendpolitik ist die beste Prävention gegen Rechtsextremismus.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Dr. Ilja Seifert [PDS])
Wir müssen dabei neben den natürlich notwendigen repressiven Maßnahmen
gerade diejenigen Jugendlichen, die sich schon in Richtung Rechtsextremismus orientieren
und Gewaltbereitschaft zeigen, in die gesellschaftliche Mitte zurückholen.
Und wir müssen das tun wir mit unseren Programmen auch, Frau Marquardt diejenigen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen und sich für Demokratie
und Toleranz einsetzen, aktiv unterstützen.
Hier haben wir Schwerpunkte gesetzt. Unser Programm heißt Jugend für
Toleranz und Demokratie, womit wir betonen, wofür sich die Jugendlichen
einsetzen sollen. In diesem Jahr haben wir die Stärkung des demokratischen
Engagements junger Menschen mit 30 Millionen DM gefördert. Aus diesen Mitteln
wird zum Beispiel der Ideen- und Aktionswettbewerb der Evangelischen Jugend, Auf
dich kommt es an, gefördert, dessen Symbol ein Spiegel ist, der nicht
nur den Einzelnen, sondern auch die Welt dahinter zeigen soll. Die SPD-Fraktion
setzt sich für die Verstetigung dieser Haushaltsmittel ein. Ihnen von der
CDU/CSU ist dazu ja nur eingefallen, das Wort Rechts zu streichen,
wobei Sie meines Erachtens die tatsächlichen Probleme in unserem Land verkennen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maria Eichhorn
[CDU/CSU]: Es gibt auch Linksextremismus!)
Des Weiteren erwähne ich das Programm Civitas, das in diesem Jahr mit 10
Millionen DM Projekte zur Beratung, Ausbildung und Unterstützung von Initiativen
gegen Rechtsextremismus und zur Opferberatung in den neuen Bundesländern
fördert. Gerade Ansätze, in denen sich Jugendliche auf der lokalen Ebene
für Jugendliche engagieren, halte ich für besonders sinnvoll. Zum Beispiel
arbeiten in Sachsen im Netzwerk Demokratie und Courage, das von der
DGB-Jugend unterstützt wird, Schülerinnen und Schüler mit anderen
Schülern in Workshops daran, Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen.
Das ist ein sinnvoller Beitrag zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Klaus Haupt [FDP])
Schließlich nenne ich das Programm Xenos Leben und Arbeiten in Vielfalt,
das antirassistische und arbeitsmarktbezogene Maßnahmen verknüpft.
Dieses Programm ist deshalb so wichtig, weil es dort ansetzt, wo Menschen gemeinsam
arbeiten und lernen. Dazu gehören zum Beispiel Konfliktmanagement und interkulturelles
Training in Berufsschulen. Das ist eine sinnvolle Präventionsarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Feld ist die internationale Jugendarbeit.
Gerade nach dem 11. September halten wir es für wichtig, die intensive Auseinandersetzung
mit anderen Ländern, Kulturen und Religionen zu verstärken. Daher habe
ich mich auch über die geplante Aufstockung der Mittel für das deutsch-polnische
Jugendwerk und über die Eröffnung des Koordinierungsbüros für
den deutsch-israelischen Jugendaustausch in Wittenberg gefreut.
(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Wir halten die Verbesserung der sozialen Situation benachteiligter Kinder und
Jugendlicher für eine wichtige Aufgabe. Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam
aufwachsen und miteinander lernen und leben. Das ist am bes ten in Kinderbetreuungseinrichtungen
möglich. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt zur sozialen
Integration.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Frau Eichhorn in jeder Debatte das Bundesland Bayern hervorhebt, muss ich
sie wirklich nach der Betreuung der unter Dreijährigen in Bayern fragen.
Hier sieht Bayern nämlich ganz schlecht aus.
(Beifall bei der SPD)
Dazu gehört auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Betreuungseinrichtungen
besser die deutsche Sprache lernen können, was für die Integration unerlässlich
ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt rief Anfang der 70er Jahre der jungen
Generation zu: Mehr Demokratie wagen. Viele von denen, die hier
zumindest auf dieser Seite des Hauses sitzen,
(Rainer Brüderle [FDP]: Links oder rechts?)
kommen aus dieser Generation und haben sich davon angesprochen gefühlt. Heute
sagt die Bundesregierung von Gerhard Schröder und Christine Bergmann: Den
Jugendlichen Chancen geben. Jetzt kommt es darauf an, diese Chancen wahrzunehmen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir den Jugendlichen zeigen,
dass die Politik nicht jugendverdrossen ist. Die rot-grüne Bundesregierung
hat damit angefangen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
15.11.01