Niederberg/Ratingen

Enger Kontakt mit Gewerkschaften

Brief an den BKS-Betriebsrat

Kerstin Griese hat betont, wie wichtig ihr ein enger Kontakt mit Betriebsräten und Gewerkschaften ist. „CDU/CSU/FDP zeigen uns gerade wieder sehr deutlich, dass sie die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern radikal abbauen wollen“, schreibt sie in einem Brief an den Betriebsrat des renommierten Schloss- und Beschlagsunternehmens BKS in Velbert. „Die Folgen einer von den Konservativen vorgeschlagenen Kopfpauschale im Gesundheitssystem wären zutiefst unsozial“, warnt die Velberter Abgeordnete. Diejenigen, die vom Status Quo des Gesundheitssystems profitieren, würden versuchen, ihre finanziellen Privilegien zu behalten. „Wir wollen aber nicht, dass Besserverdienende weiterhin das Recht haben, sich der Solidargemeinschaft zu entziehen. In Zeiten von nötigen Veränderungen wie jetzt sollten wir an die gemeinsamen Erfolge von SPD und Gewerkschaften anknüpfen.“

In ihrem Schreiben, mit dem Kerstin Griese auf einen offenen Brief des Betriebsrates antwortet, den ihr der Vorsitzende Jürgen Lukas in Berlin übergeben hatte, erläutert sie auch die Auswirkungen der Gesundheitsreform auf Rentnerinnen und Rentner. Die demografischen Zahlen belegten, dass ein „weiter so“ nicht möglich sei, so die Ausschussvorsitzende. „Die Beitragszahlungen der Rentner haben im Jahr 2002 nur knapp 44 Prozent ihrer Leistungsausgaben gedeckt. 1973 finanzierten die Rentner mit ihren Beiträgen ihre Gesundheitskosten hingegen noch zu gut 70 Prozent.“ Die stetig wachsende Deckungslücke in der Krankenversicherung der Rentner sei eine der Ursachen für die Beitragserhöhungen der Krankenkassen in den letzten drei Jahrzehnten. Ohne Veränderung liefen wir Gefahr, dass das bestehende soziale Sicherungssystem nicht mehr die Lasten tragen kann, die es zu bewältigen hat. „Die demografische Veränderung unserer Gesellschaft stellt unsere sozialen Sicherungssysteme vor unlösbare Probleme, wenn wir alles so lassen wie bisher.“

Langfristig gehe es um die Finanzierungsprobleme, die aus der steigenden Lebenserwartung und dem gleichzeitig ungünstiger werdenden Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern resultieren. Kerstin Griese: „Seit 1960 hat sich die Lebenserwartung – zum Glück – um rund drei Jahre, bei Frauen sogar um viereinhalb Jahre erhöht. Bis 2030 wird sie noch einmal um etwa drei Jahre steigen. Entsprechend wird sich die Rentenbezugsdauer von 1960 bis 2030 in etwa verdoppeln. Parallel dazu verändert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern: Dieses lag 1960 noch bei rund fünf zu eins und wird im Jahr 2030 bei rund zwei zu eins liegen.“ Gleichzeitig sei die Höhe der heutigen Rente so hoch wie in keiner Rentnergeneration zuvor oder in Zukunft.

Das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung werde bis 2030 von heute rund 70 Prozent auf 67 Prozent des Nettoeinkommens abgeschmolzen. Dies sei eine Notwendigkeit, die sich aus dem demografischen Wandel ergibt. „Wir können nicht hinnehmen, dass unsere Kinder und Enkelkinder immer höhere Beitragssätze aufbringen müssen, also immer weniger netto verdienen und gleichzeitig immer mehr eigene Vorsorge treffen müssen, um in Rentenzeiten zumindest auf das Rentenniveau von heute oder wenig darunter zu kommen.“ Damit aber unsere Kinder und Enkelkinder die Möglichkeit haben, sich ein Rentenniveau aufzubauen, müsse Spielraum geschaffen werden, um in private Zusatzversicherungen einsteigen zu können. „Deshalb halte ich es für notwendig, dass die jetzige Rentnergeneration beispielsweise durch eine Übernahme der vollen Beitragssätze auf Zusatzrenten der jüngeren Generation ein Stück weit Luft verschafft, um in eine private Zusatzvorsorge einsteigen zu können.“

Kerstin Griese ist überzeugt, dass mit der Gesundheitsreform alle Beteiligten im Gesundheitswesen auch an dessen Ausgaben beteiligt würden, „anders können die Kosten des Gesundheitswesens nicht weiter finanziert werden.“ Sie weist darauf hin, dass die Zuzahlungen für die Patienten, insbesondere für die chronisch Kranken, erheblich höher ausgefallen wären, wenn es nach den Vorstellungen der CDU/CSU gegangen wäre. „Denn die CDU/CSU sah eine Patientenzuzahlung von zehn Prozent auf alle Leistungen vor. Durch die Begrenzung auf ein beziehungsweise zwei Prozent des Bruttoeinkommens wird aber niemand sozial ungerechtfertigt über Gebühr belastet.“ Die Begrenzung auf ein Prozent für Chroniker habe die SPD durchgesetzt. „Wir haben auch durchgesetzt, dass es eine Familienkomponente gibt: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren sind von Zuzahlungen befreit, nicht verdienende Partner sind mitversichert.“ Mit der Reform seien wir auf dem richtigen Weg. Das Gesundheitssystem werde effektiver und gesundheitsbewusstes Verhalten wird belohnt. Die gesenkten Kassenbeiträge wirkten sich nicht nur auf den Geldbeutel der Versicherten aus, sondern hätten auch positive Auswirkungen auf die Lohnnebenkosten, unsere Konjunktur und Arbeitsplätze.

„Ich bin übrigens Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und insofern genauso von der Gesundheitsreform betroffen“, merkt Griese an. „Es widerspricht meiner sozialdemokratischen Grundüberzeugung, dass sich in Deutschland – europaweit nahezu einmalig – Besserverdienende, Beamte, Freiberufler, Selbstständige und auch Abgeordnete aus der Solidargemeinschaft des Gesundheitssystems verabschieden können. Mit der Diskussion über die Bürgerversicherung erarbeiten wir für diesen Bereich Lösungen.“ Weiter heißt es in dem Brief: „Bei der Altersversorgung haben wir eine ähnliche Situation. Auch hier halte ich eine Einbeziehung von Abgeordneten, Beamten, Freiberuflern und Selbstständigen in die solidarische Rentenversicherung für notwendig, wobei wir gleichzeitig auch einen Ausbau der steuer- und der privatfinanzierten Altersvorsorge brauchen. Anders werden wir die demografischen Veränderungen nicht in den Griff kriegen.“

Auch die Maßnahmen bei der Arbeitslosenversicherung erläutert die SPD-Politikerin den BKS-Arbeitnehmervertretern. „Als Betriebsräte habt ihr mitverfolgen können, dass es seit Mitte der achtziger Jahre für ältere Arbeitslose eine stufenweise Heraufsetzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gab. Dies war aber keine soziale Wohltat der Kohl-Regierung. Einziger Sinn war, den Haushalt von Zahlungen für Arbeitslosenhilfe zu entlasten, zu Lasten der Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung. Wir stellen nun seit vielen Jahren fest, dass die verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf bis zu 32 Monate – die man heute auch erst ab 57 Jahren bekommt – dazu geführt hat, dass vor allem große Unternehmen ältere Arbeitnehmer auf Kosten der Soli-dargemeinschaft, auf Kosten der Beitragszahler, entlassen haben.“

60 Prozent der Unternehmen in Deutschland würden keine Arbeitnehmer beschäftigen, die älter als 50 Jahre sind. Nur jede sechste durch Frühverrentung weggefallene Stelle sei wieder besetzt worden. Griese hält dies für einen Skandal. „Denn es ist ungerecht gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die jeden Monat hohe Beiträge zahlen. Es ist auch ökonomisch kontraproduktiv, denn wir verzichten auf langjährige und wertvolle Erfahrungen der Beschäftigten.“

Kerstin Griese weist darauf hin, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe von nahezu alle Verbände und Experten unterstützt werden. „Im Grundsatz halten auch alle im Bundestag vertretenen Parteien diese Zusammenlegung für notwendig.“ Die Lebenslagen erwerbsfähiger Bezieher von Sozialhilfe und der Empfänger von Arbeitslosenhilfe seien von einer vergleichbaren Problemlage geprägt: „Sie sind deswegen hilfebedürftig, weil sie erwerbslos sind.“ Eine grundlegende Verbesserung der individuellen Lebenslage könne nur erfolgen, wenn die Betroffenen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, aus deren Entlohnung sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Vorrangige Aufgabe des Staates müsse also sein, die Hilfebezieher in das Erwerbsleben zu integrieren. „Durch die Existenz zweier Leistungssysteme haben sich vielfach Doppelzuständigkeiten von Arbeitsämtern und Sozialämtern für den gleichen Personenkreis entwickelt, die eine Wiedereingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt eher behindert haben. Das Gesetz baut auf dem Grundgedanken auf, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige in erster Linie selbst für die Sicherung ihres Unterhalts und des Unterhalts der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen verantwortlich sind.“ Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit würden deshalb vorrangig gegenüber den passiven Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht.

„Ich weiß“, unterstreicht die Abgeordnete, „dass für einen Menschen, der längere Zeit gearbeitet hat, das Arbeitslosengeld II eine sehr geringe Summe ist. Dabei muss ich aber auch betonen, dass die bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher nicht zu ,Sozialhilfeempfängern‘ werden. Das neue Arbeitslosengeld II liegt über der Sozialhilfe, weil beispielsweise die Empfänger des Arbeitslosengeldes II voll in die Sozialversicherung einbezogen werden. Außerdem gelten Übergangsregeln, in denen höhere Leistungen bezahlt werden.“ Es sei ein großer Fortschritt, dass künftig alle erwerbsfähigen Arbeitslosen Zugang zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erhalten. Arbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger hätten bisher kaum die Möglichkeit, an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Arbeitsämter teilzunehmen. Das bedeute, besonders für Alleinerziehende und Frauen, eine Verbesserung.

„Für mich ist soziale Gerechtigkeit weiterhin die Leitlinie unserer Politik“, schreibt Griese am Ende ihres ausführlichen Briefes. „Dafür kämpfe ich, gerne mit euch zusammen.“

22.7.04

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