Berlin | Reden

Kerstin Griese: Erste Rede im Bundestag

12. Oktober 2000, Debatte "Jüdisches Leben in Deutschland unterstützen - Anschläge auf Synagogen ächten"

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge kurz nach Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahrsfest, und die weiteren Anschläge auf jüdische Einrichtungen haben uns entsetzt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich denke, auch das Parlament hat das Recht zu debattieren. Das ist heute meine erste Rede. Ich komme aus Düsseldorf, wo diese Anschläge passiert sind, und ich hoffe, Sie geben mir die Möglichkeit, dazu etwas zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Bündnisgrünen, der FDP und der PDS)

Düsseldorf ist innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal Ort eine Anschlages geworden, bei dem Personen jüdischen Glaubens bzw. ihre Einrichtungen getroffen. Die Anschläge auf Synagogen, Gedenkstätten und jüdische Friedhöfe gehen, wie wir wissen, erschreckenderweise weiter.

Es war einer engagierten Bürgerin zu verdanken, die in der Nacht die Molotowcoctails ausgetreten hat, dass an der Düsseldorfer Synagoge allein Sachschaden entstanden ist. Doch dieser Sachschaden bedeutet weitaus mehr. Diese Anschläge sind Anschläge auf unsere Demokratie und das Miteinander in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es ist deshalb an der Zeit, deutliche Zeichen zu setzen. Die Bundesregierung hat das auch getan. Ich danke unserem Bundeskanzler Gerhard Schröder ausdrücklich dafür,

(Hannelore Rönsch [CDU]: Wo ist er denn?)

dass er direkt am Tag nach dem Anschlag zusammen mit Bundesinnenminister Schily, dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen nach Düsseldorf gekommen ist.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen)

Das sofortige Erscheinen an dem Ort dieses Anschlags war deshalb ein wichtiges Zeichen, weil es zeigt, dass sich der Staat schützend auf die Seite der jüdischen Gemeinden und auf die Seite der potenziellen Opfer dieses Anschlages stellt.

Als ich vor kurzem in den Deutschen Bundestag nachgerückt bin, habe ich nicht gedacht, dass ich meine erste Rede zu einem so schrecklichen Anlasses halten werde. In meiner beruflichen Tätigkeit vor dem Einzug in den Bundestag habe ich oft mit der jüdischen Gemeinde Düsseldorf zusammengearbeitet und viele Mitglieder persönlich kennen gelernt: alte Menschen, die Verfolgung und Konzentrationslager, Flucht in buchstäblich letzter Minute und die Ermordung ihrer Familien überlebt haben und die dennoch nach Deutschland zurück gekommen sind, um in Deutschland – und in diesem Fall in Düsseldorf – zu leben. Davor habe ich den allergrößten Respekt.

(Beifall bei der SPD, den Bündnisgrünen und der PDS)

Ich habe junge Jüdinnen und Juden, die in Deutschland geboren sind und hier leben, und auch einige, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, kennen gelernt. Allein die Düsseldorfer Gemeinde, die heute die drittgrößte in der Bundesrepublik ist, ist von etwa 1.500 Mitgliedern im Jahr 1989 auf heute über 6.000 Mitglieder angewachsen. Das sind erstmals wieder mehr Mitglieder als vor dem Holocaust. Das heißt, jüdische Gemeinden in Deutschland haben wieder eine Zukunft und eine Heimat und das soll auch so bleiben.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen sowie bei Abgeordneten der PDS)

Gerade weil das so ist, müssen wir unsere Anstrengungen verstärken, um die Ursachen antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts einzudämmen. Wir brauchen unmissverständliche und eindeutige Signale, damit die Mitglieder jüdischer Gemeinden nicht verunsichert werden.

Ich denke, es ist auch unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker dafür zu sorgen, dass die Schutzmauern um die jüdischen Kindergärten nicht noch höher werden müssen. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass jüdische Jugendliche ohne Angst in Jugendzentren gehen können, dass dort jüdische und nicht jüdische Jugendliche gemeinsam ihre Freizeit verbringen können. Denn die Erfahrung zeigt: Begegnung ist das der beste Ansatz gegen Rassismus und Minderheitenfeindlichkeit. Schule und politische Bildung spielen hier eine Schlüsselrolle. Demokratie und Beteiligung setzen informierte Menschen voraus. Dies hilft gegen dumpfen Hass und Vorurteile.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen)

Gerade für mich als eine Vertreterin der jüngeren Generation ist es wichtig, den jüdischen Gemeinden Solidarität und Unterstützung auszusprechen und ihnen deutlich zu sagen, dass wir uns darüber freuen, dass jüdische Gemeinden in Deutschland wieder wachsen und aktiv sind. Seien sie versichert, dass wir nicht hinnehmen wollen und werden, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bedroht werden.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen)

Wir wollen, dass Juden in Deutschland leben und hier bleiben wollen. Sie sind Teil der Gesellschaft.

Wir sollten daran arbeiten, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens - wie sie sich selbst definieren, nicht etwa als Juden in Deutschland oder als Mitbürger - zur Normalität gehören. Wir sollten daran arbeiten, dass junge Leute erleben, wie Menschen verschiedener Religionen, Herkunft oder Hautfarbe friedlich miteinander leben.

Als ich in den Tagen nach dem Anschlag mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf gesprochen habe, habe ich erfahren, dass die Erwartung groß ist, dass weitere Taten gegen Rechtsextremismus auf allen Ebenen folgen: auf der Ebene der Politik, der Justiz, des Engagements von Nachbarn, der Jugendarbeit, aber auch im Bereich der neuen Formen des Rechtsextremismus im Internet.

Lassen Sie mich dazu noch einen Aspekt nenen – wir werden das hier ja noch häufiger beraten –: Rechtsextremismus ist kein Problem, das sich allein auf Ostdeutschland oder auf Jugendliche abschieben ließe. Die Anführer sitzen oft im Westen und sind nicht mehr jugendlich. Gerade deshalb müssen wir deutlich machen, dass die Rechtsextremen und ihre Argumente nicht hoffähig gemacht werden dürfen.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es darf nicht noch einmal passieren, dass zum Beispiel im Rat der Stadt Düsseldorf eine Mehrheit mit der Stimme des Ratsherrn der so genannten Republikaner zustande kommt. Man kann auch nicht gleichzeitig Ausländerfeindlichkeit beklagen, aber die Abwehr von Ausländern zum Wahlkampfthema erheben.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen)

Rassistische Gewalttäter dürfen keine Stichworte bekommen, denn das sind die Anfänge. Wir dürfen nicht wegschauen. Wir müssen handeln.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den Bündnisgrünen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU der FDP und der PDS)

Präsident Wolfgang Thierse: Dies war die erste Rede der Kollegin Kerstin Griese. Dazu meine herzliche Gratulation.

(Beifall)

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