Berlin

Hospitantin aus China

Wang Beimin: Eine Woche im Bundestag

Eine gute Woche hat Wang Beimin, Projektmanagerin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schanghai, als Hospitantin im Bundestagsbüro von Kerstin Griese gearbeitet. Im Folgenden schildert sie ihre Eindrücke:

Im Rahmen eines einmonatigen Fortbildungsprogramms in Deutschland habe ich die Gelegenheit gehabt, bei Kerstin Griese im Deutschen Bundestag eine einwöchige Hospitanz abzuschließen. Die Erlebnisse, die ich dort innerhalb von sechs Tagen gesammelt habe, haben meine ursprünglichen Erwartungen, mich über den westlichen Parlamentarismus zu erkundigen, weit übertroffen. Die in meine Augen gefasste parlamentarische Demokratie ist viel lebendiger als das, was ich mir zuvor vorgestellt habe. Für mich persönlich ist diese spannende Woche ein wertvoller Reichtum geworden und die erworbenen Kenntnisse werden mich lebenslang begleiten.

Während meines nicht allzu langen Aufenthaltes im Bundestag habe ich dank des Arrangements von Kerstin Griese und ihres netten Teams viele Möglichkeiten gehabt, an verschiedenen Sitzungen und Veranstaltungen teilzunehmen. So konnte ich schon am ersten Tag im Plenarsaal unter den deutschen Abgeordneten sitzen und die Feierstunde für den 100. Geburtstag des ehemaligen Bundestagspräsidenten Dr. Hermann Ehlers miterleben. Im Laufe der Woche war ich mit Kerstin Griese in einigen Ausschusssitzungen, einmal in der SPD-Fraktionssitzung und auch beim Parlamentarinnentreffen sowie bei Gesprächen mit Jugendgruppen und Kirchenbeauftragten. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in so naher Entfernung die in Deutschland und zum Teil auch in China berühmten PolitikerInnen wie Wolfgang Thierse, Renate Schmidt, Franz Müntefering und Heide Simonis zuhören können. Beim gemeinsamen Abendessen konnte ich die Jugendlichen von „Aktion Zivilcourage“ und von „Jungparlamentarier“ näher kennenlernen.

Der Begriff „Demokratie“ war für mich als Chinesin gar kein fremdes Wort. Anfang des letzten Jahrhunderts waren viele chinesische junge Intellektuelle während ihres Auslandstudiums in Europa von der westlichen Demokratie so begeistert, dass sie diese auch zu einem der Leitprinzipien der damaligen bürgerlichen Revolution in China bestimmt haben. Dieser demokratische Gedanke hat deshalb einen beträchtlichen Einfluß auf die Entwicklung der neuen chinesischen Geschichte ausgeübt.

Wie kann die Demokratie in der heutigen veränderten Weltkonstellation aufbewahrt und weiter realisiert werden? Der stärkste Eindruck, den ich diesmal bei Kerstin Griese gewinnen konnte, lässt sich vom Stichwort „Partizipation“ ableiten. Demokratie lebt von Beteiligung. Besonders begeistert war ich von der Aktion „Jungparlamentarier“. VertreterInnen von Jugendorganisationen unterschiedlicher Parteien aus allen Bundesländern trafen sich an einem Tag im Deutschen Bundestag zusammen und probieren das parlamentarische Leben aus. Wolfgang Thierse nahm an der Probe-Plenarsitzung teil, Franz Müntefering kam mit den Jugendlichen ins Gespräch. Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat in der Ausschusssitzung vom „Projekt P“ berichtet, das auf einen intensiveren Dialog zwischen Jugend und Politik abzielt.

Eine funktionsfähige demokratische Politik braucht auch gute Politikerinnen und Politiker, die unermüdlich nach dem Zusammenwirken mit der Bevölkerung in der politischen Willensbildung streben. Bei unzähligen Gesprächen mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, an denen ich teilnahm, hat Kerstin Griese nicht nur als Ausschussvorsitzende ihre eigenen Meinungen eindeutig zum Ausdruck gebracht, sondern auch eine gute Rolle als interessierte Zuhörerin gespielt.

Es herrscht aber nicht immer die Harmonie in den politischen Auseinandersetzungen. Manchmal kommt es auch zu harten Kämpfen mit denjenigen, die sich politisch anders identifizieren. Die Woche meiner Hospitanz war auch für Kerstin Griese spannende Tage, da gerade ein wichtiges Gesetz von ihrem Ausschuss, das Gesetz zum Ausbau der Betreuungseinrichtungen für die Kinder unterhalb von drei Jahren, seinen kritischen Zeitpunkt erlebte. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wofür sich die SPD einsetzt, hat bei der Opposition keine tatsächliche Befürwortung gefunden. In der Aussschusssitzung ist es zu einer richtigen Kontroverse gekommen. Als der Gesetzentwurf letztendlich im Bundestag in der zweiten und dritten Lesung angenommen wurde, habe ich im Fernsehen ein schönes und erfreutes Lächeln im Gesicht von Kerstin Griese gesehen. Ich dachte, dieser Erfolg ist von ihrer starken Handlungsfähigkeit und ihrer hohen politischen Begabung nicht zu trennen.

Zum Schluß möchte ich mich nochmals bei Kerstin und ihren Mitarbeiterinnen Inga, Johanna und Hanna persönlich ganz herzlich bedanken für euren warmherzigen Empfang im Ausschuss, für eure tatkräftige Unterstützung bei meiner Hospitanz, für eure Geduld mit meinen bescheidenen Sprachkenntnisse und für eure fürsorgliche Betreuung mir gegenüber – einer gerade in Deutschland zu Gast befindlichen Frau aus dem fernen China.

Friedrich-Ebert-Stiftung Asien

3.12.04

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