Berlin | Kirche

„Ein Stück Tansania im Herzen“

Kerstin Griese im Interview mit In die Welt für die Welt – Magazin der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM)

Begegnung mit Hawa: in der Irente Rainbow School.

VEM: Griese besuchte mit VEM-Delegation Tansania

Frau Griese, Sie sind Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Wie kam es zu dieser Reise?

Kerstin Griese: Auf dem Kirchentag in Köln im vergangenen Jahr habe ich gemeinsam mit der Tansanierin Newstar Mwombeki und Angelika Veddeler „soft mandazi“, eine Art tansanische Krapfen, gebacken. Dabei haben wir uns über die Lebens- und Ernährungssituation in Tansania unterhalten. Und Angelika Veddeler hat mich gefragt, ob ich schon mal in Afrika war. Als ich das verneinte, hat sie mich spontan eingeladen. Zuerst fühlte ich mich ein bisschen überrumpelt. Doch ich fing an, darüber nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass es für eine deutsche Politikerin wichtig ist, sich mit diesem Kontinent zu beschäftigen. Es ist für mich, die in der evangelischen Kirche verankert ist, eine spannende Herausforderung, in einer Gruppe nach Tansania zu fahren, in der Kirche, Wissenschaft, Medien und Politik vertreten sind. So gewinnt man einen ganz anderen Eindruck von diesem Land.
Was mich besonders gereizt hat, war der Besuch von Projekten der Vereinten Evangelische Mission in den Diözesen der Lutherischen Kirche in Tansania. Damit habe ich durch die Partner der VEM einen wichtigen Einblick in das Land bekommen und habe die Probleme der Menschen mitbekommen.

Welches Projekt hat Sie am meisten beeindruckt?

Kerstin Griese: Das Highlight war die Arbeit der Nordost-Diözese in den Usambara-Bergen, weil ich dort unglaublich engagierte Menschen – interessanterweise übrigens meistens Frauen – kennengelernt habe. Sowohl die für behinderte und autistische Kinder als auch das im vergangenen Jahr gegründete Sebastian Kolowa University College der evangelischen Tumaini Universität in Magamba fand ich beeindruckend, weil ich das Gefühl hatte, dass dort absolute Kärnerarbeit geleistet wird. Deutsche und tansanische Menschen, aber auch Menschen aus anderen Teilen der Welt, bauen gemeinsam von Grund auf etwas Neues auf und gestalten es auch selber: die landesweit erste Universitäts-Fakultät für Sonderpädagogik.
Die Arbeit mit den Kindern fand ich absolut beeindruckend. Ich habe gemerkt, wie viel notwendig ist und wie viel überhaupt erst entwickelt werden muss – gerade im Bereich der Arbeit mit behinderten Kindern. Und dass diese Arbeit direkt gekoppelt wird mit einer Qualifizierung am College – das finde ich ganz wichtig.
Wenn man etwas Neues aufbaut, muss es mit einem guten Konzept und mit einem guten Wertehintergrund vermittelt werden. Anneth Munga, die Dekanin des Colleges, fand ich äußerst faszinierend. Was sie da mit ihrem Team in so kurzer Zeit entwickelt hat, hat mich tief beeindruckt. Das Konzept dieses Colleges ist von einer christlichen Grundhaltung geprägt. Das bedingt auch ein Menschenbild, das sagt, ›wir wollen diese Arbeit für alle Menschen in Tansania machen und zwar unabhängig davon, ob sie Christen sind oder nicht‹. Das finde ich sehr wichtig. Denn damit leistet das College gleichsam etwas für das Land und die Bevölkerung insgesamt.
Ziel aller Studiengänge ist, sich uns um die schwächsten, die verletzlichen Menschen kümmern zu können. Ich habe überall eine unglaubliche Tatkraft gespürt, ein Engagement und auch Bedingungen, die für uns Europäer natürlich ganz schwer vorstellbar sind.
Ganz besonders ergreifend war für mich auch das Gespräch mit der jungen Hawa in der Rainbow School, die erzählt hat, wie gerne sie zur Schule geht. Wir haben richtig ihre Augen leuchten gesehen. Am Ende hat sie für uns gesungen und von ihren Freunden erzählt, die sie in der Schule hat.

Wie haben Sie die Lebensbedingungen der Menschen dort erlebt?

Kerstin Griese: Es gibt in diesem Land unbeschreiblich viel Armut und unvorstellbare hygienische Verhältnisse. Auch gibt es dort noch viele Häuser ohne Strom- und Wasseranschluss. Wir können es vielleicht ein paar Tage ohne Elektrizität aushalten. Aber für uns ist es schwer nachzuvollziehen, ein ganzes Leben lang so zu leben.
Mich haben auch die Erlebnisberichte der HIV-infizierten Frauen bewegt. Frauen, die allesamt von ihren Männern im Stich gelassen worden sind. Obwohl es oft die Männer waren, die ihre Frauen mit dem Virus angesteckt haben. Doch langsam fassen sie wieder Mut, stehen auf und sagen „ich bin infiziert und möchte mein Leben in den Griff kriegen“. Deswegen haben sie gemeinsam eine Idee entwickelt: Sie batiken Stoffe, um sie später zu verkaufen. Doch damit nicht genug. Sie möchten das Projekt noch weiterentwickeln. Mit Nähmaschinen könnten sie Kleider nähen und verkaufen.

Werden Sie noch mal nach Tansania fliegen?

Kerstin Griese: Ich glaube schon. Wenn man einmal hier ist, bleibt ein Stück des Herzens hier oder man trägt danach ein Stück Tansania im Herzen. Wir haben so viel begeisternde Menschen getroffen. Und es gibt noch so unglaublich viel zu tun. Eigentlich habe ich erst jetzt die Idee der Vereinten Evangelischen Mission so richtig verstanden: die VEM ist wirklich eine Weltkirche. Diese Menschen in Afrika geben uns unglaublich viel. Da ist das, was wir ihnen geben können, vergleichsweise wenig. Vieles ist nicht mit Geld zu machen, oftmals ist auch Know-how gefragt.
Was ich vor allem auf dieser Reise gelernt habe, ist partnerschaftliches Lernen. Etwa die Austauschprogramme im Bereich der Süd-Süd-Arbeit der VEM. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass so eine Arbeit sinnvoller ist als reine Bereitstellung von Geldern.
Ich würde gerne in ein paar Jahren schauen, wie sich die Projekte in den beiden Diözesen der lutherischen Kirche in Tansania weiter entwickelt haben.

Interview und Fotos: Brunhild von Local (aus: In die Welt für die Welt 6/08)

In der Irente Rainbow School.

Treffen mit der Leitung der ev.-luth. Kirche in Tansania: Richard Mariki, Generalsekretär, Andreas Dittmann, Professor für Geografie, Ulrike Lüdtke, Professorin für Sonderpädagogik, Bischof Alex Malasusa, Angelika Vedderer (VEM), Kerstin Griese MdB, Sönke Wanzek, Ann Kathrin Soest (epd).

Familiengottesdienst auf Sansibar: Pfarrer Suko Tiyarno, Angelika Vedderer, Kerstin Griese und (im Hintergrund) George Fupe, stellvertretender Bischof.

Vereinigte Evangelischen Mission (VEM)

19.11.08

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