Berlin

„Das kam echt gut rüber“

Jürgen Leinemann schreibt im Spiegel über den Wahlkampf Gerhard Schröders (Auszüge):

„Danke, Kanzler!“ höhnte die „Bild“-Zeitung in knalligen Lettern, als Gerhard Schröder am 1. Juli vor den Bundestag trat, um sich das Misstrauen aussprechen zu lassen. Der Kanzler hielt die beste Parlamentsrede seiner Amtszeit. Gleichwohl schien das Drama seines Niedergangs weiter dem klassischen Gesetz zu folgen, nach dem der scheiternde Held die Katastrophe dadurch befördert, dass er sie zu vermeiden versucht. „Es ist, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen“, klagte die Düsseldorfer SPD-Abgeordnete Katrin Kortmann. Und ihre Kollegin Kerstin Griese, Tochter eines evangelischen Pastors, weigerte sich, die trickreiche Volte des Kanzlers mitzumachen. „Dreimal um die Ecke war mir zu dialektisch“, sagt sie. Im Bundestag stimmte sie mit „Ja“.

Auf nichts verlässt sich Gerhard Schröder so unerschütterlich wie auf die Erfahrung seines eigenen Lebens. „Ganz früher habe ich mal Baustoffe verkauft“, erzählte er unlängst bei einem Wahlkampfauftritt lässig ein paar hundert Kleingärtnern in der bergischen Stadt Velbert-Langenberg. Der Kanzler war durch einen Platzregen verhältnismäßig trocken auf die überdachte Tribüne einer Laubenpieperkolonie gelangt, seine Zuhörer standen platschnass im Regen. Es gefiel ihnen trotzdem, dass der Gast so ungeniert und mit deftigem westfälischem Zungenschlag über die Kleine-Leute-Zeit seiner Karriere berichtet, um zu dokumentieren, dass er deshalb natürlich wüsste, „wat Velbert is“, nämlich eine Hochburg der Schloss- und Beschlagindustrie. „Das kam echt gut rüber“, freute sich die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, die den Kanzler eingeladen hatte: „Gut, dass er mal in so ’nem Laden gearbeitet hat.“

Seine Lehre im Haushaltswarengeschäft August Brandt am Markt in Lemgo, die Erinnerungen an die reichen Bauern im Lipperland, die ihn „vom Hofe gejagt“ haben, die Erfolge beim Fußball als kampfstarker Mittelstürmer „Acker“ von TuS Talle, vor allem aber sein Bildungshunger als Voraussetzung für den Weg nach oben – das ist der Stoff, aus dem der Kanzler sozialdemokratische Legenden gestrickt hat.

7.9.05

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