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Kongress „Deutschland 2020“

Netzwerk Berlin setzt die Debatte über die sozialdemokratischen Grundsätze fort

Rheinischer Merkur: Unruhe vor Karlsruhe - Gerhard Schröder und Franz Müntefering wollen keine weiteren Reformen. Jetzt gibt es eine Debatte um das Parteiprogramm

Peer Steinbrück und Kerstin Griese.

Etwa 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen an dem Kongress „Deutschland 2020“ des Netzwerks Berlin und der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf teil. Die Netzwerk-Sprecherin Kerstin Griese erklärte in ihrer Begrüßungsrede, dass es darum gehe, die Grundsatzprogrammdebatte der SPD „aus den Hinterzimmern und Kommissionen der Partei rauszuholen“. Das sei das Ziel des Kongresses.

„Wir wollen als Netzwerker eine für Sozialdemokraten und Gewerkschaften lebensbedrohliche Lücke schließen: die zwischen dem Grundsatzprogramm und dem Regierungshandeln. Für uns ist klar: Soziale Gerechtigkeit ist und bleibt das Markenzeichen der Sozialen Demokratie.“ Griese forderte, Sozialpolitik auch als ein wirtschaftspolitisches Thema zu verstehen. Das Sozialsystem müsse als Trampolin wirken, dass die Menschen zurück in die Erwerbstätigkeit federt. „Und das heißt: wir brauchen keinen schwächeren Sozialstaat, sondern eher einen stärken – nur völlig anders muss er sein.“

Kritik übte die Abgeordnete an der Diskussion über die Unternehmensbesteuerung. „Die Steuerlast der Unternehmen lag 2002 bei 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Der EU-Durchschnitt liegt bei 2,4 Prozent, der der neuen EU-Mitgliedsstaaten sogar bei 2,5 Prozent.“ Dagegen sei die Belastung des Faktors Arbeit zu hoch und verhindere die Schaffung von Arbeitsplätzen, forderte Griese eine Senkung der Lohnnebenkosten.

„Wir brauchen einen neuen Aufbruch, eine zweite Bildungsexpansion“, so die Familienausschussvorsitzende. Nirgends hänge der Schulerfolg eines Kindes so stark vom Geldbeutel der Eltern ab, wie in Deutschland. „Deswegen brauchen wir eine wirklich grundlegende Bildungsexpansion von unten und nach vorne – nämlich im Elementarbereich, beim vorschulischen Lernen. Denn wer ohne ausreichende Sprachkenntnisse in die Schule kommt – und dazu gehören immer mehr Kinder auch dann, wenn sie nicht aus Einwandererfamilien stammen – der macht bald schon seine erste ,Sitzenbleiber‘-Erfahrung. Für diese Kinder stellt sich die Frage nach dem Abitur überhaupt nicht.“

Kerstin Griese betonte: „Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind die gleichen Startchancen erhält, dass kein Kind aufgegeben wird.“ Denn eine Demokratie könne es sich nicht leisten, dass Kinder und Jugendliche ganzer Stadteile aufwachsen in Aussichtslosigkeit, mit vererbten Sozialhilfebiografien, Schulversagen, Werteverfall und Rechtsextremismus. „Auch deswegen investieren wir im Bund und hier in NRW in die Bildungsinfrastruktur, weil wir die Kinder nicht schon um 13 Uhr nach Hause schicken wollen – oft genug zu Fast Food, Gameboy und TV.“

Ministerpräsident Peer Steinbrück, der als Hauptredner zu dem Kongress eingeladen war, stellte fest, dass die SPD für ihre Reformpolitik „jede Menge Prügel“ habe einstecken müssen, und ergänzte: „Dennoch gibt es – gerade bei den wichtigen gesellschaftlichen Multiplikatoren wie Kirchen und Gewerkschaften – wachsende Zustimmung, dass die Reformen notwendig sind.“

Als eine zentrale Kategorie für die Grundsatzprogrammdiskussion der SPD benannte Steinbrück die „Gleichverteilung der Lebenschancen“. Dafür sei der Sozialstaat zuständig, nicht jedoch für gleiche Ergebnisse. „Unterschiede in Einkommen und Vermögen sind gerecht, solange sie auf eigener Leistung beruhen und solange aus diesen Einkommen Solidarbeiträge für die gesamte Gesellschaft erbracht werden.“

Vier Punkte benannte Peer Steinbrück als Zukunftsvision für das Land:

• Jedes Kind wird individuell gefördert, unabhängig von seiner sozialen oder ethnischen Herkunft, und zwar vom Krabbelalter an.

• Das Leben mit Kindern ist attraktiv und selbstverständlich, deswegen ist die Geburtenrate deutlich gestiegen.

• Mutter und berufstätig sein – das ist kein Widerspruch, Betreuungseinrichtungen stehen in ausreichender Zahl zur Verfügung.

• Der Staat sieht es als wichtigste Aufgabe an, jeden Menschen in die Lage zu versetzen, seine Existenz aus eigener Kraft zu sichern.

„Wir müssen Abschied nehmen von der bequemen und liebgewordenen Vorstellung der uneingeschränkten Fürsorgepflicht des Staates für Alle und Alles“, fügte der Ministerpräsident hinzu.

Peer Steinbrücks Rede stieß in Düsseldorf auf eine sehr positive Resonanz. Seine Thesen wurden in den verschiedenen Diskussionsrunden über die Wirtschaftspolitik, den Sozialstaat und die Familienpolitik mehrfach aufgegriffen.

Ziel des Netzwerk-Kongresses war es, das Interesse der Sozialdemokratie an einem Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen zu unterstreichen, insbesondere mit den Gewerkschaften. Dies war der Grund für die Kooperation mit der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung, so Kerstin Griese.

„Die als Netzwerker firmierenden jüngeren, pragmatischen SPD-Politiker waren in der Vergangenheit nicht als gewerkschaftsfreundlich bekannt“, kommentiert die Süddeutsche Zeitung diese Zusammenarbeit. „Auf dem Kongress in Düsseldorf forderten sie nun aber eine ,Allianz für soziale Demokratie‘ aus Unternehmern, Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. In einer Erklärung nähern sie sich auch traditionellen SPD-Positionen: Zwar könnten Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen Beitrag leisten, doch ,der Staat kann und muss seine Aufgaben wahrnehmen, wenn es gilt, individuelle Lebenschancen zu eröffnen und große soziale Lebensrisiken abzusichern’. Das Versprechen des sozialen Aufstiegs müsse erneuert werden, da in Deutschland die Herkunft besonders stark über Lebenschancen entscheide", zitiert die Süddeutsche das Netzwerk.

25./26.2.2005 - Netzwerk-Kongress in D’dorf

Netzwerk Berlin

28.2.05

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