Berlin

„Wir müssen ein kinderfreundlicheres Land werden“

Kerstin Griese im Gespräch mit der Zeitschrift Hauswirtschaft und Wissenschaft (Heft 1/06)

Welche konkreten Gesetze darf man in der nächsten Zeit in der Familienpolitik erwarten?

Griese: Die Koalition hat vereinbart, Einkommensbegriffe und Einkommensgrenzen anzugleichen, Leistungen zu harmonisieren und die Bearbeitung organisatorisch zu bündeln. Zielperspektive ist, dass daraus eine „Familienkasse neuen Typs“ entsteht. Zunächst werden wir aber Mitte 2006 in die Gesetzesberatungen über das Elterngeld einsteigen. Zusätzlich zum Kindergeld, das die SPD in den letzten Jahren dreimal erhöht hat, werden wir mit dem Elterngeld eine völlig neue Basis der Familienpolitik schaffen. Eltern, die nach der Geburt eines Kindes aus dem Beruf aussteigen, werden 67 Prozent ihres alten Einkommens für zehn bis zwölf Monate bekommen. Parallel ist ein massiver Ausbau der Kinderbetreuungsangebote unbedingt notwendig. Wenn dies in den Kommunen auf der Grundlage des bestehenden Ausbaugesetzes nicht gelingt, werden wir ab 2008 einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem zweiten Lebensjahr einführen.

Kritiker der derzeit gültigen familienpolitischen Gesetzgebung bemängeln, dass ein systematisches Konzept fehlt, um förderungswürdige Tatbeständezielgenau zu fördern – zum Beispiel gleiche Bildungschancen für alle Kinder, Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut. Stattdessen gibt es nur verstreute Einzelbeihilfen für Ehe und Familie, wie das Ehegattensplitting. Was kann der Familienausschuss im Bundestag, dessen Vorsitzende Sie sind, tun, um das zu ändern?

Griese: Tatsächlich ist die Familienförderung inzwischen ein unübersichtliches Geflecht aus zirka 140 Einzelmaßnahmen geworden – hat mal ein kluger Kopf gezählt. Das ist sicherlich die anspruchsvollste Aufgabe des Familienausschusses, sich da durchzukämpfen und alles zu bewerten. Wir haben uns fest vorgenommen, die für Familien häufig unübersichtlichen, bürokratischen und unverständlichen Förderungsmöglichkeiten transparenter und gleichzeitig gerechter sowie zielgenauer zu gestalten. Aber die Kritik, dass ein Konzept fehle, weise ich zurück. Gerade der Schwerpunkt auf dem Ausbau der Betreuung zielt genau auf mehr Bildungschancen und Bekämpfung der Kinderarmut. Das Elterngeld wird an dem nicht zu unterschätzenden Problem ansetzen, dass der Wegfall eines Einkommens häufig ein Hinderungsgrund ist, sich Kinderwünsche zu erfüllen, und wird außerdem eine positive Wirkung auf die Beteiligung der Väter an der Erziehungsarbeit haben. Die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten ist ein wichtiger Schritt, um berufstätige Eltern zu unterstützen.

Sind die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen überhaupt ansatzweise planbar? Wird es eines Tages ein umfassendes Konzept aus einem Guss geben?

Griese: Wir versuchen, sehr viel von unseren west- und nordeuropäischen Nachbarn zu lernen. Trotzdem wissen wir, dass solche Konzepte niemals eins zu eins übertragbar sind. Denn gerade in der Familienpolitik geht es sehr viel um individuelle und kulturelle Einstellungen, die sich wiederum in einem steten Wandel befinden. Die Politik muss diesen Wandel begleiten und befördern, damit die Menschen das Gefühl haben, die Gesellschaft lässt sie mit ihren Kindern oder auch nur mit ihrem Kinderwunsch nicht allein. Mittel- bis langfristig müssen wir die Politik dahingehend umstellen, dass es weniger finanzielle Einzelzuwendungen für die Familien gibt, aber mehr Investitionen in eine kinderfreundliche Infrastruktur. Denn allein aus bildungspolitischen Gründen werden wir um einen erheblichen Ausbau von – künftig möglichst gebührenfreien – Vorschulangeboten nicht herum kommen.

Betreuungskosten sollen zukünftig bis zu einer Höhe von 4000 Euro steuerlich absetzbar sein. Welche Zielgruppe will man damit erreichen? Kritiker sagen: Ärmere Familien zahlen ohnehin so wenig Steuern, dass sich das kaum bemerkbar machen dürfte, und reiche Familien leisten sich die Betreuung schon heute, auch ohne Begünstigung.

Griese: Bislang konnten Betreuungskosten nur dann steuerlich geltend gemacht werden, wenn sie oberhalb von 1548 Euro lagen. Da wir als SPD durchgesetzt haben, dass jetzt ab dem ersten Euro die Betreuung von der Steuer abgesetzt werden kann, erreichen wir gerade geringer verdienende Familien, die bislang völlig leer ausgingen, und Alleinerziehende. Das Ziel ist klar: wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Kind verbessern. Deshalb müssen die erwerbsbedingten Betreuungskosten als Werbungskosten gelten – genauso wie Arbeitszimmer und Geschäftsessen. Dies ist im Übrigen auch eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, das dies bei einer Alleinerziehenden so entschieden hat. Zur Armutsbekämpfung bzw. -prävention hat die Koalition andere Maßnahmen vereinbart. Wir werden den Kinderzuschlag ausbauen und entbürokratisieren, damit Eltern nicht wegen ihrer Kinder zu ALG-II-Empfängern werden. Wir müssen uns stärker klar machen, dass nicht jede familienpolitische Maßnahme alle Zielgruppen gleichermaßen trifft, sondern es muss gezielte Maßnahmen für verschiedene Bereiche geben.

Mit welchen Argumenten kann man die Wirtschaft stärker für familienpolitische Maßnahmen interessieren, um Paaren eine Entscheidung für Kinder zu erleichtern?

Griese: Unternehmen profitieren von Familienfreundlichkeit. Jeder investierte Euro zahle sich dreifach aus, hat das DIW ausgerechnet: sei es durch kürzere Zeitspannen, in denen hoch qualifiziertes Personal aussetzt, durch eine höhere Arbeitszufriedenheit und Motivation, durch bessere Organisation und niedrigeren Krankenstand. Diese Argumente werden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zunehmend wichtiger, wenn die Zahl jüngerer Fachkräfte zwangsläufig zurückgehen wird. Es geht darum, dass wir insgesamt ein kinderfreundlicheres Land werden – das gilt für die Wirtschaft genauso wie für alle anderen Bereiche der Gesellschaft.

Die Fragen stellte Thomas Preuß. Die Zeitschrift Hauswirtschaft und Wissenschaft (HuW) ist das Organ der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft.

Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft

24.3.06

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