Berlin | Kirche

Die Träume der Alten und die Visonen der Jungen

Kanzelrede in der Dormagener Christuskirche

Kerstin Griese hat in der Dormagener Christuskirche für einen größeren Zusammenhalt der Generationen plädiert. „Mehr Miteinander im Umgang der Generationen ist dringend notwendig und heute nicht mehr selbstverständlich“, sagte sie in der Reihe „Kanzelreden“ der evangelischen Gemeinde. „Kinder, Eltern und Großeltern wollen ja zusammen sein, aber die Realität sieht häufig anders aus. Die Anforderung Mobilität, die die moderne Arbeitswelt stellt, führt dazu, dass zwischen Großeltern und Enkeln häufig mehrere hundert Kilometer liegen.“

Auf der anderen Seite werde auch die Großelterngeneration immer mobiler und flexibler. „Viele freuen sich nach einem arbeitsreichen Leben, nun die Welt zu entdecken.“ Der medizinische Fortschritt mache dies möglich. Griese wies darauf hin, dass es sei ein positive Entwicklung sei, dass die Lebenserwartung steigt.

Diakonie-Vorstandsmitglied Kerstin Griese befürchtet, dass für das Miteinander der Generationen manchmal zu wenig Zeit bleibe. „Woher soll die Siebenjährige wissen, wie eine 70-Jährige sich fühlt, was sie erlebt und gelernt hat, wenn sie die eigene Oma nur bei Familienfesten sieht?“ fragte Griese in ihrer Ansprache und wies auf die Notwendigkeit von Begegnungsmöglichkeiten hin.

„Da ist der evangelische Kindergarten, der sich mit dem benachbarten Seniorenheim zusammengetan hat. Einmal in der Woche besuchen die Kinder ,ihre‘ Seniorinnen und Senioren. Die Erfahrungen zeigen, dass hier oft enge Beziehungen entstehen und sich Wahl-Verwandtschaften über die Kindergartenzeit hinaus finden. Kein Wunder, denn da ist plötzlich jemand für die vierjährige Nicola da, der das Bilderbuch gerne noch ein fünfte Mal vorliest, ohne dabei auf die Uhr zu schielen.“ Die Vierjährige Lerne ganz nebenbei, dass alte Menschen viel zu erzählen haben. Und dass sie eine Hilfe sein könne, wenn das Buch heruntergefallen ist oder einmal schnell etwas aus dem Schrank geholt werden muss.

„Längst sind die vielen älteren Menschen, die sich in den Schulen als Lesepaten oder Lernpaten engagieren aus dem Schulbild nicht mehr wegzudenken“, sagte Kerstin Griese. „Gerade für Kinder und Jugendliche mit schlechteren Startchancen ist dies eine wichtige Unterstützung. Lern- und Lesepatenschaften für Kinder mit Migrationshintergrund sind auch ein Motor der Integration.“

Eine ebenso große Bedeutung habe der Zivildienst, „der jetzt so in Bedrängnis geraten ist“. Der Zivildienst sei eine intensive Lernzeit in Sachen „Dialog der Generationen“. Die Zeit in der ambulanten Pflege, beim fahrbaren Mittagstisch oder im Seniorenheim prägten Haltung und Verantwortungsbewusstsein für die nächste Generation. „Viele, die sich vorher niemals über das Alter Gedanken gemacht haben, haben hier einen entscheidenden Denkimpuls bekommen.“ Ähnliche positive Effekte hätten die Freiwilligendienste, betonte Griese.

„Die generationenübergreifenden Freiwilligendienste sind eine ganz besondere Art, sich im Dialog der Generationen miteinander freiwillig zu engagieren. Es ist wunderbar zu sehen, wie gut Jung und Alt gemeinsam in ihrem Freiwilligenengagement zusammen arbeiten und miteinander und voneinander lernen.“ Es sei bedauerlich, dass dieses von der Bundesregierung 2005 initiierte Modellprojekt nur bis 2008 lief. Immerhin stellten viele diakonische Einrichtungen auch heute noch Plätze für generationenübergreifendes Engagement zur Verfügung.

„Solidarität als gesellschaftlicher Zusammenhalt kann nur dann entstehen, wenn Menschen um die Situation des anderen wissen, wenn sie miteinander lachen, trauern, füreinander da sind, die Sorgen und Nöte des anderen kennen und Freude miteinander teilen“, betonte Kerstin Griese. „Beim Propheten Joel heißt es in Kapitel 3 Vers 1: ,Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben.‘ Für das Miteinander der Generationen heißt das für mich auch, die Rede zu hören, die Träume zu kennen und die Visionen miteinander zu teilen.“

Der demografische Wandel werde die Gesellschaft mir weitreichenden Folgen verändern. Griese wies darauf hin, dass sinkenden Geburtenzahlen und die steigende Lebenserwartung zu einer drastischen Veränderung der Altersstruktur führen. „Das heißt, die sozialen Sicherungssysteme müssen so gestaltet werden, dass Ältere auch bei einer veränderten Rentenpyramide eine angemessene Rente bekommen, die Jüngeren in Zukunft aber auch.“

Die wachsende Armut in Deutschland fordere schon heute ganz praktisch die Solidarität unter den Generationen ein. „Viele Alleinerziehende sind auf die Eltern- und Großeltern-Generation angewiesen: In der Kinderbetreuung, und oft auch finanziell, wenn es am Monatsende eng wird oder besondere Ausgaben für Klassenfahrten, Kindergeburtstage und so weiter anfallen.“ Befristete und prekäre Arbeitsverhältnisse, auch bei gut ausgebildeten Menschen, führten dazu, dass die finanzielle Solidarität der Eltern mit ihren Kindern lange strapaziert werde. Und traurigerweise bringe auch das Thema Altersarmut Generationen zueinander. „Hier müssen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik neue Konzepte entwickeln. Wir brauchen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt über alle Generationen hinweg.“ Ein Schritt in die falsche Richtung sei es, Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose zu streichen. Damit gehen wertvolle Versicherungszeiten verloren, die sich wiederum negativ auf die Altersarmut auswirken. Das verstärkt Altersarmut statt sie zu verhindern.

„Verantwortung der Generationen füreinander heißt auch ein verantwortlicher Umgang mit den Finanzen des Staates. Denn es soll einmal nicht - wie bei dem Propheten Ezechiel geschrieben steht – heißen: ,Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern werden davon die Zähne stumpf.‘ Dennoch hilft es nicht, im Dialog der Generationen mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Es ist keine Frage der Schuld, sondern eine Frage der Verantwortung und Gerechtigkeit.“

Bei den anstehenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen werde es nicht reichen, sich einerseits nur auf die Erfahrung der Älteren und andererseits die Arbeitskraft der Jüngeren zu verlassen, sagte Griese in der Dormagener Christuskirche. „Wir brauchen ein kreatives Miteinander, um Solidarität und soziale Gerechtigkeit zu gestalten. Wir brauchen Gottes Kraft, damit die ,Söhne und Töchter prophetisch reden werden, die Alten Träume träumen und die jungen Leute Visionen haben.‘ Und wir werden Mut brauchen, um die Träume der Alten und die Visionen der Jungen miteinander wahr werden zu lassen.“

Evangelische Kirchengemeinde Dormagen

8.9.10

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