Berlin | Kirche

Die Brücke zwischen Diakonie und Politik stärken

Kerstin Griese im Interview mit DEKVthema

Kerstin Griese: Neuer sozialpolitischer Vorstand.

Frau Griese, Sie sind seit dem 1. November im Vorstand des Diakonischen Werkes der EKD. Mit welchen Erwartungen haben Sie das Amt übernommen?

Als Familienpolitikerin habe ich die Diakonie als profilierte Akteurin in diesem Politikfeld kennengelernt, und als EKD-Synodale und Kirchenbeauftragte der SPD-Bundestagfraktion bin ich dem evangelischen Wohlfahrtsverband von jeher verbunden gewesen. Mein neues Amt habe ich vor allen Dingen mit neugierigen Erwartungen angetreten. Ich bin neugierig auf die Menschen, die im Diakonie Bundesverband arbeiten und sich engagieren, wie auf die Themenvielfalt im Spektrum der Sozial- und Gesundheitspolitik. Ich habe das Amt mit der Erwartung übernommen, im Dienst einer evangelisch profilierten Organisation Sozialpolitik an verantwortlicher Stelle mitgestalten zu können.

Sie sind u.a. zuständig für die Arbeitsfelder Gesundheit, Rehabilitation und Pflege. Wo liegen Ihre Arbeitsansätze und welche Schwerpunkte werden Sie in diesem Jahr setzen?

In diesem Jahr steht mal wieder eine Gesundheitsreform auf der politischen Tagesordnung. Wir werden sie mit dem Ziel begleiten, dass arme Menschen und Menschen mit niedrigem Einkommen finanziell nicht überfordert werden und chronisch kranke sowie behinderte Menschen medizinisch gut versorgt werden. Gleichzeitig werden wir darauf achten, dass die Rahmenbedingungen für die Arbeit im Gesundheitswesen sich nachhaltig positiv entwickeln.
Und um nur zwei Themen aus dem Bereich der Krankenhäuser zu nennen: Uns beschäftigt die Zukunft der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) sehr, weil wir die Defizite in der ambulanten Versorgung psychisch kranker Menschen auch aus sozialpsychiatrischer Perspektive genau kennen. Auch die von der Regierung geplanten Einschränkungen bei den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sind ein Diakonie-Thema, weil auch Einrichtungen der Behindertenhilfe dieses Instrument nutzen, um Lücken in der medizinischen Versorgung zu schließen.
Wir treten auch dafür ein, dass Menschen mit Behinderung möglichst gemeinsam mit dem Rest der Bevölkerung in jedem Krankenhaus versorgt werden können. Das erfordert Respekt, aber auch mehr Zeit und ein entsprechend geschultes Personal. Der Mehraufwand muss in den Finanzierungssystemen der Regelversorgung abgebildet werden.

Sie haben weitreichende Erfahrungen auf der politischen Bühne. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dem Anliegen der Diakonie in der Politik noch stärker Gehör zu verschaffen?

Wir haben sehr gute Chancen, die Anliegen benachteiligter Menschen und die berechtigten Interessen unserer Dienste und Einrichtungen in die politische Debatte einzubringen. Wir sind fachlich gut aufgestellt und bringen die ganze Fülle unserer Erfahrungen aus der praktischen Arbeit mit. Unsere Kommunikationspartner in der Politik haben natürlich ganz bestimmte Informationsbedarfe, sie arbeiten unter spezifischen Bedingungen des Parlaments- und Regierungsalltags. Das müssen wir in unserer politischen Kommunikation berücksichtigen, und da helfen uns meine Erfahrungen als Politikerin und natürlich auch die in neun Jahren Parlamentstätigkeit aufgebauten und bewährten Netzwerke weiter.

Sie führten kürzlich ein Gespräch mit dem Gesundheitsminister Dr. Phillip Rösler. Wie schätzen Sie die Aussichten ein, dass den Belangen der Krankenhäuser Rechnung getragen wird?

Die neue Bundesregierung und nicht zuletzt Herr Dr. Rösler hat Verständnis für die Belange der Leistungserbringer im Gesundheitswesen, darunter auch die Krankenhäuser, signalisiert. Die Arbeitsbedingungen von Ärztinnenund Ärzten, aber auch von Pflegekräften im Krankenhaus, sollten nach seiner Meinung verbessert werden. Der Bundesminister will auch gegen ein Übermaß an Bürokratie im Krankenhaus kämpfen, hält aber an den MDK-Prüfungen fest. Er hat sich noch nicht festgelegt, wie die Krankenhausinvestitionskosten künftig getragen werden sollen.

Provoziert die neue Regierung Gefahren für den sozialstaatlichen Konsens?

In der Gesetzlichen Krankenversicherung hat sich die Bundesregierung mit der Gesundheitsprämie auf einen Ansatz festgelegt, den die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und sogar die Mehrheit derjenigen ablehnen, die die Koalitionsparteien gewählt haben. Seitens der Diakonie stehen wir der gesamten "Kopfpauschalen"-Diskussion sehr kritisch gegenüber und plädieren stattdessen für eine Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung, einschließlich der gemeinsamen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Wie können die Interessen christlicher  Krankenhäuser deutlicher nach vorne gebracht werden?

Die christlichen Krankenhäuser haben Gewicht, weil sie sich in politischen Fragen wie auch in den ethischen Grundhaltungen über die Konfessionsgrenzen hinweg einig sind. Christliche Krankenhäuser können als frei-gemeinnützige Einrichtungen selbstbewusst für ihre Linie eintreten. Ich werde mich in der DKG, aber auch an anderer Stelle, für die Rahmenbedingungen einsetzen, die unsere Häuser brauchen: Sie müssen ja ohne die Defizithaftung einer Kommune und ohne die Finanzierungsmöglichkeiten eines gewinnorientierten Trägers auskommen - und dabei nicht nur ihre tägliche Arbeit tun, sondern auch Investitionen tätigen.

Mit welchen Programmen betreibt die Diakonie Nachwuchsförderung in den sozialen und pflegerischen Berufen, um dem zukünftigen Pflegenotstand zu begegnen?

Viele diakonische Dienste und Einrichtungen betreiben eine aktive Nachwuchsgewinnung vor Ort. Dies ist sehr wichtig, denn junge Menschen brauchen Ausbildungsmöglichkeiten in ihrer Nähe. Der Diakonie Bundesverband unterstützt die Einrichtungen, in dem wir uns politisch dafür einsetzen, dass Pflege ein attraktives Berufsfeld bleibt. Dazu gehören die Fragen nach den Arbeitsbedingungen und nach der Finanzierung. Gleichzeitig werben wir bundesweit bei jungen Menschen für die sozialen Berufe durch Informationsmaterialen und im Internet. In diesem Bereich wollen wir uns zukünftig noch mehr engagieren.

Sie gehören seit 2003 der Synode der EKD an. Diakonie versteht sich als gelebte Kirche. Worin sehen Sie hier Ihre Aufgabe, den Dialog und die Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie zu stärken?

Diakonie und Kirche können von ihren individuellen Stärken profitieren und noch enger miteinander kooperieren. Der Ansatz einer gemeinwesenorientierten Diakonie zeigt, dass Kirchengemeinden und diakonische Dienste und Einrichtungen gemeinsam die Menschen besser erreichen, sie unterstützen und ihnen bei Bedarf helfen können. Das trägt dazu bei, dass Einrichtungen vor Ort mit ihrem Fachwissen präsent sind und Kirchengemeinden die diakonische Dimension ihres Auftrags besser wahrnehmen können. Diese engere Verbindung von Kirche und Diakonie möchte ich auch in Zukunft mit meinem Engagement in Kirche und Diakonie befördern.

Diakonie und Brot für die Welt befinden sich in einem Fusionsprozess mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst . Welche Auswirkungen wird das im operativen Tagesgeschäft haben?

Das "Evangelische Zentrum für Entwicklung und Diakonie" wird von zwei Säulen getragen werden. Diese Säulen werden "Diakonie. Der evangelische Bundesverband" und "Brot für die Welt. Der evangelische Entwicklungsdienst" sein und heißen. Ich hoffe, dass der weltweite Horizont, in den wir unsere Arbeit nun sehr viel bewusster stellen, auch zu einer Bewusstseinsveränderung in den evangelischen Krankenhäusern führen wird. Manche diakonische Einrichtung pflegt bereits Kontakte in die Länder des Südens oder nach Osteuropa. Demnächst haben wir noch mehr Partner, die diese weltweiten Beziehungen auf einem sehr hohen fachlichen Niveau weiterentwickeln können.

Sie haben sich schon früh in der kirchlichen Jugendarbeit und später in der Hochschulpolitik engagiert. Welches Wort oder Bild leitet Sie als christliche Funktionärin bei Ihrem Engagement für die Menschen?

Prägend war und ist für mich ein Vers aus dem Matthäus-Evangelium „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ (Matth. 4,4). Dieser Vers ist nicht nur mein Konfirmationsspruch, sondern war auch Predigtext im Gottesdienst anlässlich meiner Einführung als sozialpolitischer Vorstand im Diakonie Bundesverband. Hier geht es um mein wichtigstes Thema: soziale Gerechtigkeit.

Interview: Stefanie Joeres

aus: DEKVthema – Zeitschrift des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes e.V. – Juni 2010

DEKV

1.6.10

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