Berlin |
„Jugendliche motivieren, sich gesellschaftlich zu engagieren“
Kerstin Griese beanwortet in einem umfangreichen Interview die Fragen des Bundesjugendring-Geschäftsführerin Gunda Voigts zur Jugendpolitik
Zunächst einmal danke, dass du für dieses Interview zur Verfügung stehst. Schwerpunkt unseres Gespräches soll die Große Anfrage „Jugend in Deutschland“ der CDU/CSU-Fraktion und die Antwort der Regierung darauf sein. Kannst du es nachvollziehen, dass diese Anfrage gestellt wurde?
Kerstin Griese: Ja, natürlich. Wir haben unsere Große Anfrage Jugend mit dem Titel „Zukunft gestalten – Kinder und Jugendliche stärken“ bereits vor vier Jahren gestellt. Darin hat eine Regierung erstmals Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe erkannt, da sie alle Lebensbereiche der Jugendlichen umfasst. Unter dem Leitspruch „Chancen für die Jugend“ haben wir die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen ins Blickfeld gerückt und unsere Politik nachhaltig daran orientiert. Die Union hat mit ihren 225 Fragen eine Bilanz gefordert. Ob es die Masse an Fragen macht, sei dahingestellt. In unserer damaligen Anfrage haben wir 81 Fragen gebraucht, um gezielt die Jugendpolitik der Regierung abzufragen. Schon damals hat eine gute Bilanz vorgelegen, die viele in der Jugendpolitik wie ein Nachschlagewerk nutzen können.
Die Antworten wurden ja in den verschiedenen Ministerien zusammengestellt. Bist du zufrieden mit dem, was an Antwortenwerk zustande gekommen ist? Und denkst du, dass es einen Nutzen für die Jugendpolitik hat?
Kerstin Griese: Das verschiedene Ministerien mitgearbeitet haben, zeigt ja schon unseren Erfolg, Jugendpolitik als ressortübergreifendes Thema etabliert zu haben. Das finde ich gut. Genauso wie die Antwort selbst, die einen sehr guten Überblick über die jugendpolitischen Aktivitäten der rot-grünen Regierung gibt. So eine Antwort wird natürlich nicht zum Spaß erarbeitet, sondern soll klar und deutlich zeigen, was passiert ist und was noch passieren muss. Wir wollen ein starker Partner für die Jugend sein und setzen unseren Schwerpunkt darauf, Chancen für Jugendliche auszubauen. Chancen auf Bildung, auf politische Teilhabe, auf ehrenamtliches Engagement, auf Ausbildung und Arbeit. Das hat unsere Jugendpolitik in den letzten Jahren auch erkennen lassen.
Du bist sehr jung mit 33 Jahren in den Deutschen Bundestag gewählt worden. Jugendverbände sind für dich etwas sehr Bekanntes, denn du warst viele Jahre in der Evangelischen Jugend aktiv. Ist es da selbstverständlich, sich für Fragen der Jugend einzusetzen?
Kerstin Griese: Oh, vielen Dank. Mit 33 noch als sehr jung durchzugehen, passiert ja sonst nicht so oft! Natürlich war meine aktive Zeit in der Evangelischen Jugend prägend für mich und meine politische Arbeit. Ich freue mich, dass ich als Jugendausschussvorsitzende Gelegenheit habe, mich weiterhin mit jugendpolitischen Themen auseinanderzusetzen und viel Kontakt zu den Jugendverbänden zu haben. Das ist mir wichtig. Meine Erfahrungen aus meiner aktiven Zeit sind da natürlich auch hilfreich, ganz klar.
Was fällt dir als erstes ein, wenn du an Jugendverbände und an den Deutschen Bundesjugendring denkst?
Kerstin Griese: Ein gut aufgestellter Dachverband, ein starker Partner in der politischen Auseinadersetzung und viele nette Leute, die sich mit Kindern und Jugendlichen und für sie engagieren.
Jetzt gezielt zur Großen Anfrage. Die CDU/CSU-Fraktion hat den Bereich Bildung als einen Schwerpunkt der Anfrage gewählt, das zeigt sich in der Zahl der Fragen. Wundert dich das?
Kerstin Griese: Bildung ist für mich ein Schwerpunktthema in der Jugendpolitik. Dass die Union dazu viele Fragen hat, ist mir klar. Bislang bleibt sie aber jede Antwort schuldig, welche Konzepte sie vorschlägt. Zum Beispiel verhindern die CDU-Ministerpräsi-denten weiterhin, dass mehr Mittel in herausragende Wissenschaft und Forschung fließen können. Zum Beispiel hat die CDU in NRW monatelang gegen Ganztagsschulen polemisiert und wird jetzt nicht umhin kommen, das Konzept der SPD, das zu 758 Offenen Ganztagsgrundschulen in NRW geführt hat, beizubehalten, denn sonst steigen ihnen die Eltern und Kinder aufs Dach.
Was sind für dich die zentralen Fragen im Bereich der Bildung?
Kerstin Griese: Das Ziel ist ein Bildungssystem, das allen Kindern und Jugendlichen
die Chance auf eine gute Erziehung, Bildung und Ausbildung eröffnet. Das
beginnt mit der frühen Förderung von Kindern. „Auf den Anfang
kommt es an“ haben wir als Überschrift über unsere Politik
gestellt. Zum Glück konnte am 1. Januar 2005 das Tagesbetreuungsausbaugesetz
(TAG) in Kraft treten. Mit dem Ausbau der Betreuungsangebote für unter
dreijährige Kinder schaffen wir die nötige Voraussetzung, damit Kinder
früh und intensiv gefördert werden. Wenn erst in der Grundschule
bemerkt wird, dass ein Kind ein Sprach- oder Lerndefizit hat, ist das meiner
Meinung nach viel zu spät.
In der Frage der Ganztagsbetreuung haben wir in den letzten drei Jahren in
Deutschland einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Mit dem Programm „Zukunft
Bildung und Betreuung“ hat die Bundesregierung das bisher größte
Schulprogramm gestartet. Vier Milliarden Euro stehen für den Ausbau der
Ganztagsschulen bereit. Ganztagsschulen sind ein Erfolgskonzept, da muss man
nur mal zu unseren europäischen Nachbarn schauen oder am besten die Eltern
fragen. In NRW gibt es dazu schon Elterninitiativen, die weitere Ganztagsschulen
fordern. Umso ärgerlicher, wenn die Angebote zur Ganztagsbetreuung unter
der neuen schwarzen Landesregierung wieder eingeschränkt würden.
Mit dem Ausbildungspakt (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs)
haben wir ebenfalls einen wichtigen Anstoß gegeben. Wir bringen Jugendliche
gezielt in Arbeit. Dafür hat die Bundesagentur für Arbeit im letzten
Jahr rund vier Milliarden Euro zur Förderung der beruflichen Eingliederung
junger Menschen eingesetzt. In NRW ist die Jugendarbeitslosigkeit 2005 schon
um zehn Prozent gesunken. Jungen Menschen sollen beim Einstieg in die Berufswelt
die Qualifikationen vermittelt werden, die sie befähigen, den Anforderungen
der Arbeitswelt gerecht zu werden und dabei auch den immer schnelleren Wandlungsprozessen
folgen zu können. Zur Förderung der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher
stehen insgesamt 270 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung.
Damit wird ein entscheidender Grundstein für ein selbst bestimmtes Leben
gelegt. Denn eine fehlende Erstausbildung führt für viele Betroffene
zu eingeschränkten beruflichen Perspektiven mit beträchtlichen persönlichen
und gesellschaftlichen Folgen.
In der Antwort auf die Große Anfrage sind alle diese Programme detailliert
und gut dargestellt worden.
Die Ganztagschule ist in aller Munde und kommt auch in der Großen Anfrage vor. Welche Perspektiven siehst du für die Zusammenarbeit speziell von Jugendverbänden und Schule?
Kerstin Griese: Jugendverbände nehmen ja eine sehr wichtige Rolle in der außerschulischen Bildung wahr. Ich bin sehr froh, dass der DBJR und auch die einzelnen Verbände sich positiv zur Idee der Ganztagsschule geäußert haben und vor Ort immer mehr in die Arbeit integriert werden. Ich weiß, dass es da einige Probleme zu überwinden gilt, da ja die Jugendverbände auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und der Selbstorganisation beruhen, in der Schule aber eine gewisse Verbindlichkeit da sein muss. Nichtsdestotrotz gibt es sehr gute Beispiele von Zusammenarbeit, die meines Erachtens diese neue Schulform sehr bereichern und damit den Jugendlichen neue Themen, Ideen und Erfahrungen ermöglichen. Ich will die Jugendverbände sehr ermuntern, in diese Arbeit stärker einzusteigen. Übrigens können dadurch auch Jugendliche für Jugendverbandsarbeit interessiert und neue Ehrenamtliche geworben werden.
Demokratie lebt von Beteiligung und bürgerschaftlichen Engagement. Fragen zu diesem Thema kommen daher natürlich vor. Wie beurteilst du die Antworten der Bundesregierung in diesem Fragekomplex?
Kerstin Griese: Was ich sehr positiv finde, ist, dass das freiwillige Engagement
der Jugendlichen in Deutschland sehr hoch ist. 37 Prozent aller Jugendlichen
zwischen 14 und 24 Jahren sind ehrenamtlich engagiert, das ist klasse. Die
Bereitschaft ist also da. Die meisten Jugendlichen engagieren sich im Sport.
Woran wir arbeiten müssen, ist dass sich dieses Engagement noch stärker
in den sozialen und politischen Bereich auswirkt.
Einige gute und wichtige politische Entscheidungen sind in diesem Bereich getroffen
worden: Wir haben die Freiwilligendienste ausgebaut und neue generationsübergreifende
Freiwilligendienste eingerichtet. Um für junge Menschen bürgerschaftliches
Engagement attraktiv zu machen, unterstützt die Bundesregierung gezielt
die Begleitung junger Freiwilliger. Mit der Erhöhung der Mittel für
die Freiwilligendienste folgen unseren Worten Taten. Durch die Aufstockung
um 1 Million auf 16,2 Millionen Euro können 2005 rund 1000 Plätze
zusätzlich finanziert werden. Wir stärken damit die Bürgergesellschaft
und motivieren junge Menschen, sich gesellschaftlich zu engagieren.
Was denkst du wie die Beteiligung von Jugendlichen und die Beachtung von Themen, die ihnen wichtig sind, in politischen Prozessen sichergestellt werden kann?
Kerstin Griese: Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass sich Jugendliche in politische Prozesse einmischen können. Eine sehr gute Plattform dafür ist zum Beispiel „Projekt P“, wo Jugendliche selbst Themen entwickeln, auf die sie Politikerinnen und Politiker ansprechen und festnageln. Dazu muss auch eine institutionalisierte Beteiligung Jugendlicher kommen, die besonders auf der kommunalen Ebene wichtig ist. Ich will aber auch aus meiner ganz persönlichen Erfahrung sagen, wie viel man lernt, wenn man sich früh in der Jugendarbeit engagiert. Mir hat das eine gute Grundlage für mein späteres politisches Engagement bedeutet. Insofern will ich auch sehr dafür werben, dass Jugendliche in Parteien und Organisationen aktiv werden. Man kann nicht nur meckern, sondern sollte die Dinge selbst in die Hand nehmen und verändern. Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche am besten selbst Jugendliche ansprechen können.
Bei mehreren Fragen antwortet die Bundesregierung mit einer Aufzählung von verschiedenen Kampagnen. Was ist deine Einstellung zu dieser Frage?
Kerstin Griese: Da wir im Föderalismus leben, ist das oft die einzige Möglichkeit, auf Bundesebene Themen anzustoßen und zu unterstützen, die sich in der konkreten Arbeit niederschlagen. Ich finde die Idee gut, weiß aber, dass eine Kampagne nur funktioniert, wenn sie vor Ort, in den Verbänden und Einrichtungen mit Leben gefüllt wird. In unserer Mediengesellschaft brauchen wir die öffentliche Aufmerksamkeit für Themen, deshalb finde ich diesen Ansatz sinnvoll.
Welchen Stellenwert hat für dich unter diesem Gesichtspunkt Projektförderung, institutionelle Förderung und die Förderung von verbandlicher Infrastruktur?
Kerstin Griese: Ich denke, eine Mischung aus Projektförderung und institutioneller Förderung sichert die verbandliche Infrastruktur am besten und ermöglicht inhaltliche und methodische Innovation. Renate Schmidt, die Bundesjugendministerin, hat in einer Sitzung unseres Ausschusses eindeutig zugesagt, dass sie die Arbeit der Jugendverbände mit ihrer Infrastruktur finanziell weiter sichern wird.
Wie setzt du dich dafür ein, dass die Förderung der Infrastruktur von Jugendverbänden und zukünftig gesichert ist?
Kerstin Griese: Wir haben mit vereinten Kräften erreicht, den Kinder- und Jugendplan für das Jahr 2005 trotz Streichungsvorschlägen wieder um zwei Millionen Euro zu erhöhen - und das in dieser schwierigen Haushaltssituation. Das ist eine wichtige Grundlage für die Sicherung der Arbeit der Jugendverbände: Die Erhöhung kam nämlich den Freiwilligendiensten und der Jugendverbandsarbeit mit der Aufstockung der Mittel um je eine Million Euro zu Gute. Das zeigt, wie wichtig Rot-Grün die Kinder- und Jugendarbeit ist.
Die Große Anfrage nimmt auch den Bereich der internationalen Jugendarbeit in den Blick. Wie bewertest du die Entwicklungen in diesem Bereich?
Kerstin Griese: Die finde ich sehr positiv. Die internationale
Jugendarbeit hat für
uns einen hohen Stellenwert. Das Deutsch-Französische und das Deutsch-Polnische
Jugendwerk leisten großartige Arbeit, die sich gesamtgesellschaftlich
auswirkt und die friedlichen Beziehungen sichert. Auch die anderen Formen der
internationalen Jugendbegegnungen, die inzwischen entstanden sind, will ich
ausdrücklich unterstützen. Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche
im Jugendaustausch viel über sich und andere, über Toleranz und Demokratie
lernen und das oft für´s ganze Leben prägt. Ich möchte
ein Beispiel nennen, das mir sehr wichtig ist: Der internationale Jugendaustausch
zwischen Israel
und Deutschland, der in diesem Jahr seit 50 Jahren besteht. Etwa 500.000 junge
Menschen beider Länder haben im Rahmen von Austauschprogrammen die Erfahrung
deutsch-israelischer Begegnung machen konnten. Der Jugendaustausch war die
Wurzel für die diplomatischen Beziehungen beider Länder, deren 40.
Jubiläum wir gerade gefeiert haben.
Gerade im Internationalen Bereich beklagen die Jugendorganisationen in den letzten Monaten, dass sie aus bewährten Mitwirkungsmöglichkeiten herausgedrängt werden, z.B. in dem bilaterale Fachausschüsse abgeschafft werden oder das Deutsch-Französische Jugendwerk neue Statuten erhält. Wie beurteilst du diese Entwicklungen? Und wie steht deine Fraktion dazu?
Kerstin Griese: Mir ist die Beteiligung der Jugendverbände in der internationalen
Jugendarbeit sehr wichtig. Eine Forderung im kürzlich beschlossenen Antrag
zum Deutsch-Russischen Jugendaustausch ist, dass dafür Sorge getragen
wird, dass die Jugendverbände, die den Großteil des außerschulischen
Jugendaustausches durchführen, angemessen in den Gremien und Entscheidungsstrukturen
vertreten sind.
Bei der Neufassung des Abkommens zum Deutsch-Französischen Jugendwerk
gab es viele Diskussionen und Probleme, die nicht von den Jugendverbänden
verursacht waren. Generell bin ich für die Reform des Abkommens, setze
mich aber ausdrücklich dafür ein, dass die Jugendverbände beteiligt
bleiben. Das ist auch die Meinung meiner Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion.
Ich habe deshalb Renate Schmidt den Vorschlag gemacht, dass der DBJR in Zukunft
die Jugendlichen im Verwaltung- und Fachbeirat vorschlagen soll. Es gibt positive
Signale, dass das klappen wird.
Aus den Reihen von CDU und CSU gibt es immer wieder Bestrebungen, dass Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) als Rahmen gebendes Bundesgesetz in Frage zu stellen. Franz Müntefering hat auf unserem Parlamentarischen Abend im Oktober 2004 klar gesagt „Das KJHG muss Bundesgesetz bleiben“. Bleibt es dabei und ist das auch deine Position?
Kerstin Griese: An den Abend erinnere ich mich gerne. Natürlich bleibt es bei dieser Position der SPD und das war immer meine Position. Es wäre schlicht unsinnig, die Kinder- und Jugendhilfe in 16 Bundesländern unterschiedlich zu regeln.
In der Großen Anfrage wird auch das wichtige Thema Armut von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Armut leben, nimmt zu. Diesem Trend konnte weder die „Kohl-Regierung“ noch die „Schröder-Regierung“ entgegenwirken. Sind die Maßnahmen, die die Bundesregierung in ihrer Antwort nennt, deiner Meinung nach ausreichend? Wo siehst du Änderungs- oder Ergänzungsbedarf und wie müsste der aussehen?
Kerstin Griese: Hier müssen wir sowohl bei finanziellen Leistungen des Staates
ansetzen, aber auch mehr in eine bessere Infrastruktur für Kinder und
Jugendliche investieren. Damit haben wir begonnen, weil die Bekämpfung
der Kinderarmut eines unserer ganz wichtigen Ziele ist. Übrigens haben
wir im Gegensatz zur damaligen Jugendministerin Nolte (CDU) die Zahlen nicht
unter Verschluss gehalten, sondern gehen das Problem offensiv an.
Zu den finanziellen Leistungen: Öffentliche Transfers wie Kindergeld,
Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, auch die Hilfe zum Lebensunterhalt
oder BAföG, sind eine wichtige finanzielle Unterstützung für
einkommensschwache Familien. Die relative Einkommensarmut von Familien konnte
dadurch deutlich reduziert werden. Bei allein Erziehenden konnte eine Reduzierung
um 15 Prozent erreicht werden. Das Armutsrisiko für Kinder ist durch Familienleistungen
um neun Prozent gesunken. Die Bundesregierung hat das Kindergeld mittlerweile
dreimal erhöht – das sind inzwischen insgesamt 500 Euro mehr jährlich.
Das war nach der familienunfreundlichen Kohl-Regierung schlichtweg überfällig.
Mehr noch: Seit 1998 haben wir die finanziellen Leistungen für Familien
von 40 Milliarden auf 60 Milliarden Euro erhöht – das gab es noch
nie unter einer Regierung seit Bestehen der Bundesrepublik. Und Steuersenkungen
und höhere Steuerfreibeträge haben beigetragen, dass ein durchschnittlich
Verdienender mit zwei Kindern rund 200 Euro mehr im Jahr zur Verfügung
hat als 1998.
Ich möchte damit nicht über das Problem hinwegtäuschen. Armut
ist ein Risiko für Kinder. Heute wachsen manche Kinder schon in der dritten
Generation als Sozialhilfeempfänger heran, andere kennen in ihrem Stadtviertel überhaupt
niemanden mehr, der einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Mütter
sind viel jünger, weil in den betroffenen sozialen Milieus oft ein traditionelles
Frauen- und Familienbild herrscht und nur geringe Aufstiegschancen für
Frauen im Beruf bestehen. In finanziell schwachen Familien stellen die sozialen
Transferleistungen, die aufgrund der Kinderzahl gezahlt werden, oftmals einen
erheblichen Anteil am Familieneinkommen dar.
Gerade deshalb sind Investitionen in bessere Kinderbetreuung und Ganztagsschulen
so wichtig: Sie geben den Kindern mehr Bildungschancen und sie ermöglichen
den Eltern eine Erwerbstätigkeit, die der beste du nachhaltigste Weg aus
der Armut ist.
Gibt es eine Frage die dir fehlt? Eine Frage, die nicht gestellt wurde, die du aber gerne beantwortet hättest?
Kerstin Griese: Eine Lieblingsfrage habe ich nicht. Eher eine zusätzliche, denn die nach Kinderbetreuungsangeboten fehlt völlig. Jungen Frauen und Männern ist es sehr wichtig, ein solches Angebot für ihre Kinder zu haben. Damit sie einerseits ihren Kinderwunsch verwirklichen können, andererseits um Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Das gilt für Mütter und für Väter gleichermaßen. Das Thema gehört auch zur Jugendpolitik, kommt in den 225 Fragen der Union aber gar nicht vor. Man findet allerdings in der Antwort dazu Einiges.
Jetzt noch einmal in die Zukunft geblickt: Wie nachhaltig ist die Große Anfrage? Also was passiert nun mit der Anfrage und den Antworten? Werden Sie vom schon losgebrochenen Wahlkampf geschluckt werden? Oder werden Sie einen weiteren Nutzen haben und Verwendung finden? Was meinst du?
Kerstin Griese: Ich hatte mich sehr auf die Debatte der Antwort im Plenum des Bundestages gefreut,
befürchte aber, dass wir dafür keine Zeit mehr haben werden. Insofern
ist das dicke Buch, das diese Antwort jetzt eigentlich ist, ein gutes Nachschlagewerk
für die Jugendpolitik geworden, eine erstklassige Informationsquelle
und hoffentlich auch für Einige eine Entscheidungshilfe über politische
Konzepte. Bei der Großen Anfrage von Rot-Grün in der letzten Wahlperiode
hatten wir noch Zeit, daraus ein „Chancenprogramm Jugend“ zu
entwickeln.
Ich danke denen, die viel für die Antwort gearbeitet haben und hoffe,
dass wir auf dieser Grundlage in der Jugendpolitik weiter arbeiten können.
Und – last but not least – wenn Rot-grün weiter regiert, was
ich hoffe, dann haben wir hier auch eine programmatische Grundlage.
Ich danke dir für die Antworten.
aus der Jugendpolitik 2/05.
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