Berlin | Reden

„Alle Eltern erziehen Kinder“

Kerstin Grieses Rede am 24. Mai 2007 in der Aktuellen Stunden zum Thema „Die so genannte Herdprämie als Hindernis für eine gute vorschulische Förderung für alle Kinder“

Kerstin Griese (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es in einer hitzigen Debatte notwendig, Selbstverständlichkeiten festzuhalten: Erstens. Alle Eltern erziehen Kinder; auch die Eltern, die ihre Kinder stundenweise in eine Kinderbetreuung geben, erziehen Kinder. Es gibt noch ein paar Stunden mehr am Tag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht darum, Eltern oder Frauen gegeneinander auszuspielen, sondern es geht darum, anzuerkennen, dass Kinderbetreuung ein sinnvoller Beitrag zur Erziehung sein kann.

Zweitens. Wir wollen eine Betreuung aller Kinder unter drei Jahren. Dies sollte wegen der Bildungschancen erfolgen. Wir wollen eine solche Betreuung natürlich auch für sozial Schwache und Bildungsferne. Es ist sinnvoll, wenn alle Kinder gemeinsam mit anderen Kindern lernen und aufwachsen können.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es ist mir sehr wichtig zu betonen, dass es in dieser Debatte um Bildungschancen für Kinder, um die Verbesserung ihrer Zukunftschancen geht.

(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Es geht um bessere Integration. Uns, der SPD, ist es sehr wichtig, dass Kinder mit anderen Kindern zusammenkommen, früh die deutsche Sprache lernen – und zwar bevor sie in die Schule kommen –, dass sie Lernchancen haben, Spiele kennenlernen und sprachlich, musisch und künstlerisch vorankommen. Diese Chance sollte für alle Kinder früh vorhanden sein.

Es geht uns genauso um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und um etwas, was noch gar nicht angesprochen wurde, nämlich darum, nachhaltig Armut zu vermeiden. Armut von Familien und Eltern kann man am besten vermeiden, indem man den Eltern eine Chance gibt, berufstätig zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind mit dem Ausbau der Kinderbetreuung ein großes Stück vorangekommen. Da das hier manchmal vergessen wird, will ich ausdrücklich feststellen: Noch vor ein paar Wochen hätte es keiner gedacht – wir kommen richtig voran. Wir werden einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen verankern. Viele von uns – auch ich – sagen, wir hätten diesen gerne schneller und früher gehabt. Aber spätestens ab 2013 wird es einen solchen Rechtsanspruch geben. Ferner wird es eine Beteiligung des Bundes nicht nur an den Investitionskosten, sondern auch an den Betriebskosten geben. Das ist uns ganz wichtig; denn es geht hierbei nicht nur um die Bereitstellung neuer Räume, sondern auch um Qualität und die Menschen, die sich um die kleinen Menschen kümmern.

(Beifall bei der SPD)

Da wir hier über Bildungs- und Integrationschancen sprechen, will ich aus der Bertelsmann-Studie zitieren, in der ausdrücklich gesagt wurde, dass beim Ausbau der Geldleistung eine große Zurückhaltung erforderlich ist. Das Schwergewicht sollte – so wird in der Studie formuliert – insbesondere auf Dienstleistungen in der Kinderbetreuung liegen. Dem stimme ich ausdrücklich zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem wurde in der Bertelsmann-Studie ausgeführt, dass es weitaus wichtiger ist, in die Kinderbetreuung zu investieren als Transferleistungen zu erhöhen und Steuern für Eltern zu senken. Es heißt dort weiter, dass Finanzierungsmöglichkeiten auch dadurch gefunden werden können, dass auf Transfers verzichtet und das Ehegattensplitting reformiert wird. Auch das ist eine gute Idee der Bertelsmann-Studie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einmal sagen, was unsere Ziele in dieser ganzen Debatte sind. Unsere Ziele sind bessere Bildungschancen für Kinder und ein Ausbau der Betreuung. Da unser Koalitionspartner heute schon sehr geschunden wurde, will ich ihn einmal positiv zitieren. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Ilse Falk hat zu diesem Thema Ende April gesagt, dass, wenn es zusätzliche finanzielle Hilfen gebe, nicht sichergestellt werden könne, dass das Geld den Kindern zugute komme. Statt weitere Milliarden für direkte Transfers auszugeben, müsse die Politik ihr Hauptaugenmerk auf Bildung und Betreuung richten. Dem stimme ich ausdrücklich zu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Recht hat die Frau! – Caren Marks [SPD]: Eine klare Position gegen das Betreuungsgeld!)

Das heißt für uns, dass wir zu den Erfolgen des Koalitionsausschusses stehen. Es wird einen Ausbau der Kinderbetreuung und einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen geben. Ich sage ausdrücklich: Uns ist es wichtig, dass dieser Rechtsanspruch dazu führt, dass Mütter und Väter arbeiten gehen können. Dabei geht es nicht um ein paar Stunden in der Woche, sondern um mindestens fünf Stunden am Tag. Wir stehen zur Beteiligung des Bundes an den Betriebs- und Investitionskosten und dazu, dass die ostdeutschen Länder dabei gesondert berücksichtigt werden.

Ich sage ausdrücklich: Man muss darüber nachdenken, ob man wirklich neue finanziellen Hilfen schafft. Wir halten das Betreuungsgeld aus bildungspolitischer und integrationspolitischer Sicht für falsch. Ich füge hinzu: Auch die arbeitsmarktpolitische Frage ist in diesem Zusammenhang sehr schwer zu klären. Sie sollten sich einmal anschauen, wie viel Geld man verdienen muss, um erst einmal die Höhe der Transferleistungen zu überschreiten, wie viel Geld man also verdienen muss, damit es sich lohnt, arbeiten zu gehen. Dieses Betreuungsgeld ist ein falscher Anreiz. Es geht in die falsche Richtung. Es erzielt eine falsche Wirkung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Wirkung, die wir erzielen sollten, ist die – ich hoffe, dass der Koalitionspartner jetzt wieder klatschen kann –,

(Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

Armut zu vermeiden und bessere Bildungschancen zu ermöglichen. Daran sollten wir zielgerichtet arbeiten. Der beste Weg dahin führt über eine bessere Qualität und eine höhere Quantität beim Ausbau der Kinderbetreuung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

24.5.07

zurück | Home