Berlin

Kompromisslos gegen Rechts

Der Bonner Generalanzeiger portraitiert die Abgeordnete und EKD-Synodale Kerstin Griese

„Abgeordneter ist der schönste Job der Welt", sagt die nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese. Dabei ist die 39-Jährige Mitglied in gleich zwei Parlamenten, die eigentlich nicht gegensätzlicher sein könnten. Dem Deutschen Bundestag gehört sie seit sechs und dem Parlament (der Synode) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seit drei Jahren an. Und über ihre Kirche sagt sie: „Ich bin gern evangelisch."

Die Pfarrerstochter und studierte Politikwissenschaftlerin hat ihre politischen Erfahrungen für beide Parlamente in der kirchlichen Jugendarbeit und bei den Jungsozialisten gemacht. Sie ist das, was man allgemein eine Powerfrau nennt. Schaut man sich an, welchen Vereinen sie alles angehört (von der Arbeiterwohlfahrt bis zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, vom Kinderschutzbund bis zu Ver.di) und welche Funktionen sie ausübt (von der Herausgeberschaft der „Berliner Republik" bis zum Bundesvorstand der SPD und der Kammer für Soziale Ordnung der EKD), dann wird schon deutlich, dass bei Kerstin Griese die Freizeit knapp bemessen ist.

Darüber darf nicht übersehen werden, dass sie in Berlin auch noch ein Amt innehat, das nach ihrer Meinung geradezu auf sie zugeschnitten ist: Sie ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Damit sind auch schon die politischen Themenfelder umrissen, die sie in beiden Parlamenten mit großem Engagement vertritt. Großen Wert legt sie auch auf das weitere Amt, nämlich das der Kirchenbeauftragten der SPD-Bundestagsfraktion. Hat sie es als Kirchenbeauftragte heute schwer? Mitnichten, beteuert sie. Gerade unter den jungen SPD-Abgeordneten etwa des „Netzwerkes" (dem sie selbstverständlich auch angehört) gebe es viele, die sich auch öffentlich zu ihrem Protestantismus bekennen würden. Nicht zuletzt nennt sie SPD-Generalsekretär Hubertus Heil.

Intensiv kümmert sich Kerstin Griese um das neue Grundsatzprogramm der Partei, das im kommenden Jahr verabschiedet werden soll. Ob es ein eigenes Kapitel über Glauben und Kirche geben wird, lasse sich noch nicht sagen. Auf jeden Fall komme der Glaube im Zusammenhang mit den Grundwerten der Gesellschaft aus sozialdemokratischer Sicht nicht zu kurz. Das Verhältnis zwischen der SPD und den Kirchen bezeichnet sie als gut und vertrauensvoll. Ob sie sich eine Kirchenkarriere vorstellen kann? Kerstin Griese lacht: „Ich habe genug zu tun."

Die Kirchen dringen auf eine Lösung des Problems der Spätabtreibungen und wollen erreichen, dass diese künftig nicht mehr möglich sind. Kerstin Griese lehnt eine Strafverschärfung ab, will aber ebenfalls zumindest die Zahl der Spätabtreibungen (wie aller Abtreibungen) erheblich verringern. Mehr Beratung und Hilfe für Frauen (und Ärzte) hält sie im Blick auf Spätabtreibungen für notwendig. Außerdem sei es notwendig, „behindertes Leben als positives Leben zu begreifen".

Kann man als EKD-Parlamentarierin etwas lernen, was man im Deutschen Bundestag gebrauchen kann? Kerstin Griese muss nicht lange nachdenken. Die intensive Beschäftigung mit einem Thema und der respektvolle Umgang innerhalb der 120-köpfigen EKD-Synode färbe schon auf sie als Bundestagsabgeordnete und ihr Verhalten im Parlament ab. Berührungsängste mit anderen Parteien hat sie ohnehin nicht. Nur wenn es um die NPD und Rechtsradikale geht, dann ist sie kompromisslos – als Christin, Sozialdemokratin und Mitglied im „Verein gegen das Vergessen".

von K. Rüdiger Durth

21.11.06

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