Wacker versucht Rot-Grün, einen möglichen
Koalitionsstreit in eine Sachdebatte umzuwandeln. Am Montag also
überließ man zunächst den Experten die Bewertung des umstrittenen
Anti-Diskriminierungs-Gesetzes.
Niemand soll, so sieht es das Gesetz vor,
wegen seines Alters, seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner
Religion, seiner sexuellen Orientierung oder einer Behinderung
benachteiligt werden. Weder bei der Job- oder Wohnungssuche, noch beim
Disko-Besuch oder beim Abschluss einer Versicherung.
Das Gesetz ist notwendig, weil es der Umsetzung einiger EU-Richtlinien
dient. Die Kritiker stoßen sich aber daran, dass der Koalitionsentwurf
zum Teil über EU-Recht hinausgeht. Sie sprechen von einem
"Bürokratiemonster", das eine "Prozessflut" auslösen und Arbeitsplätze
vernichten werde.
Bis vergangene Woche gehörten die Kritiker der FDP oder Union an,
rekrutierten sich ferner aus den Vertretern von Arbeitgebern,
Versicherern und Vermietern. Dann aber äußerten die drei SPD-Minister
Otto Schily (Innen), Hans Eichel (Finanzen) und Wolfgang Clement
(Wirtschaft) Bedenken, warnten vor mehr Bürokratie und Hürden bei der
Schaffung von Jobs. NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD)
kündigte an, sein Land werde dem Entwurf im Bundesrat nicht zustimmen.
Schon drohte ein unschöner Koalitionskrach, weil vor allem die Grünen
weitreichende Änderungen des Entwurfs ablehnen. Doch auch
SPD-Fraktionschef Franz Müntefering stellte sich hinter das Gesetz: "Im
einzelnen mag da noch etwas zu verbessern sein, aber insgesamt ist das
eine vernünftige Regelung." Ähnlich
urteilten auch die meisten Experten, die am Montag vom
Familienausschuss angehört wurden. Der Entwurf wurde als weitgehend
gelungene Umsetzung des EU-Rechts bewertet, mit der Deutschland an
internationale Standards anknüpfe.
Kritisch äußerte sich dagegen Kurt Wolfsdorf von der Deutschen
Aktuarvereinigung für die Versicherer. Ihnen sagte er "erhebliche
Verluste" voraus, da ihre Tarife stets nach Geschlecht und Alter
gestaffelt seien. Die Rechtsanwältin Andrea Nicolai monierte, das
Gesetz mache die Arbeitgeber "zu Erziehungsberechtigten", die für jede
Belästigung durch einen ihrer Angestellten einstehen müssten.
Während Wolfsdorf und Nicolai vor einer Prozessflut warnten, sagte
Matthias Mahlmann von der Freien Universität Berlin, dass vergleichbare
Gesetze in anderen Ländern nicht zu einem Anstieg von Verfahren geführt
hätten. "Meine Erfahrung ist da Ernüchterung", sagte Mahlmann. "Da muss
ich die Hoffnungen der Betroffenen dämpfen, kann aber auch die Sorge
vor einer Prozessflut nehmen." Das Gesetze werde nicht "massenwirksam",
sondern im krassen Einzelfall hilfreich sein.
"Da ist ein ziemlicher Popanz aufgebaut worden, aber die
Sachverständigen haben viel Aufgeregtheit aus der Debatte genommen",
resümierte die Grüne Irmingard Schewe-Gerigk am Ende der Anhörung. Auch
Kerstin Griese (SPD) sprach von einer "Versachlichung" der Diskussion.
Die Kritik der eigenen Minister habe sie "überrascht", da diese in das
Verfahren eingebunden waren. Nun könne man wieder sachlich über
mögliche Änderungen reden, Änderungen im Detail. Der
querschnittsgelähmte Neurochirurg Dr. Frank Röhrich aus Halle kann,
dank eines Spezial-Rollstuhls, weiter als Chirurg arbeiten. dpa-Bild 07.03.2005 Von WAZ-Korrespondentin Christina Wandt, Berlin
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