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Aus dem Erinnern Orientierung gewinnen

Vorschläge, um die 700 Millionen Mark des "Zukunftsfonds" der Stiftung zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern sinnvoll anzulegen

Ein gefüllter Geldtopf und noch kein detaillierter Verwendungszweck: 700 Millionen Mark enthält der Stiftungsfonds "Erinnerung und Zukunft", der auf ausdrücklichen Wunsch der NS-Opferverbände nicht überlebenden ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommt, sondern helfen soll, Erinnerung wach zu halten. Etliche junge Bundestagsabgeordnete haben nun konkrete Vorschläge erarbeitet, welche generationen- und länderübergreifenden Projekte gefördert werden sollten. Diskussionsstoff genug für das demnächst tagende Kuratorium der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Wir dokumentieren in einer leicht gekürzten Fassung das nach Diskussionen mit Verbänden und Wissenschaftlern entstandene Papier der Bundestagsabgeordneten Andrea Nahles, Dietmar Nietan, Christoph Moosbauer, Christian Simmert, Kerstin Griese, Michael Roth und Simone Violka.

Vorbemerkung

Die Auszahlung einer Entschädigung an die ehemaligen Zwangsarbeiter hat nun endlich begonnen. Diese Entschädigung für Zwangsarbeiter reicht weit über ihre materielle Bedeutung hinaus. Für die Geschädigten und Traumatisierten ist sie zugleich Symbol und Beleg für die erlittene Entwürdigung. Dass Verantwortung eingestanden und eingelöst wird, markiert die Bedeutung der Auszahlungen für die Betroffenen. Offen ist dagegen die Frage, was der Beginn der Auszahlungen für die Kinder und Enkel der Opfer und der Täter heißt. Die Opfer konnten und können ihrer Erinnerung an das Geschehene nicht entkommen. Sie haben um die Anerkennung ihrer Biografien gekämpft. Können und wollen die Nachfahren diese Erinnerungen teilen, die Vergangenheit in Zukunft gegenwärtig halten? Und wenn sie es wollen, wie ist diese Vergegenwärtigung als eine permanente Aufgabe vorstellbar? Der Beginn der Auszahlungen lässt die Frage nach zukünftiger Erinnerung in den Vordergrund treten.

Die Entschädigungsfrage selber hatte in den letzten Jahren immer wieder einen ambivalenten Charakter hervorgebracht. Für die eine Seite stand die Aufbereitung einer verdrängten Verantwortung an erster Stelle, für die andere Seite galt es - ganz konkret - ein "unerfreuliches" Kapitel deutscher bzw. eigener (Unternehmens-)Geschichte "abzuarbeiten". Geschichte "abarbeiten"? Kann man nicht! Mag sein, aber die Phrase legt Motive offen, die nicht gerne ausgesprochen wer-den.

Die Vorstellung, hier einen Teil unserer deutschen und europäischen Geschichte noch einmal aufzurufen, noch einmal die "Gespenster" schuldbeladener Vergangenheit zu sehen, um sie danach für alle Zeit wegzusperren oder einzufangen - in Geschichtsbüchern und Denkmälern, Archiven und Gedenktagen-, ist in der Debatte um die Zwangsarbeiterentschädigung präsent. Ein uneingestandener Movens, der vielleicht am greifbarsten in der Freude über die Abweisung der Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen zu finden war.

Man konnte Erleichterung hören, die sich nicht so sehr aus der Freude über die bescheidenen Verbesserungen der Lebenslage ehemaliger Zwangsarbeiter und aus dem Mitgefühl für sie gespeist hat, als vielmehr aus dem Gefühl: "Geschafft! Drohender Imageschaden abgewendet. Weiter." Und diese "Erleichterung" war laut - allen Beschwörungen des "Nicht-vergessen-Wollens" zum Trotz - häufig lauter als die Empathie für die Opfer.

Nur: So schnell fällt "Geschichte" nicht ab - mit oder ohne Arbeit. Das unterstreicht die Ambivalenz der Debatte der letzten beiden Jahre. Erleichterung und Vergessen-Wollen sind nur die eine Seite.

Es ist festzuhalten, dass die über weite Strecken zähe und beschämende Auseinandersetzung um die Zwangsarbeiterentschädigung eine Verbreiterung der Erinnerung an das Schicksal von Zwangsarbeitern in Deutschland während der Nazi-Dikatur bewirkt hat. Nicht mehr ausschließlich Einzelpersonen, kleinere Projekte und der "Bundesverband Information und Beratung für NS Verfolgte", sondern auch Lokalredaktionen haben nachgefragt und berichtet, Schulklassen sind auf Spurensuche gegangen, und Unternehmer haben entweder wütend abgewehrt oder erfreulich offen die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte aufgegriffen.

Das war nicht überall ein Novum. Aber es ist doch eine - ja, flächendeckende - Bewusstwerdung darin zu finden, die viel-leicht ein wichtiger Grundstein sein kann. Grundstein für neue Ideen und Impulse einer zukünftigen Erinnerung.

Dass überhaupt die "Zukunft der Erinnerung" ein explizites Ziel und Anliegen der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" geworden ist, war nicht unumstritten. Ein Zukunftsfonds "Erinnerung und Zukunft" wurde vereinbart. Er ist mit 700 Millionen Mark ausgestattet. Geld, das den Opfern als direkte Zahlungen gebührt hätte. Nicht zuletzt haben jedoch die Opferverbände selbst den Ausschlag für die Einrichtung dieses Zukunftsfonds gegeben. Gerade überlebende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge sehen eine dauernde Aufgabe darin, Erinnerung an und Verständigung über das, was ihnen geschehen ist, lebendig zu halten.

Mit diesem Positionspapier legen wir unsere konzeptionellen Vorschläge für die Ausgestaltung des Fonds "Erinnerung und Zukunft" innerhalb der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vor. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Art von Projekten nach welchen Kriterien aus dem Fonds "Erinnerung und Zukunft" gefördert werden.

Als eine Gruppe von jungen Bundestagsabgeordneten, die sich seit zwei Jahren mit dem Thema "Erinnerung" befasst haben, wollen wir damit einen Beitrag zur Diskussion um die Erarbeitung eines inhaltlichen Profils des Fonds "Erinnerung und Zukunft" leisten.

Die gesetzliche Grundlage

Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 unterstreicht, dass neben der finanziellen Entschädigung der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auch die Erinnerung an das ihnen und allen anderen Opfern des Nationalsozialismus zugefügte Unrecht für kommende Generationen Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist. In der Präambel "bekennt sich der Deutsche Bundestag zur politischen und moralischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus. Er will die Erinnerung an das ihnen zugefügte Unrecht auch für kommende Generationen wach halten."

Dies wird auch durch den Umstand deutlich, dass die Bildung des Fonds "Erinnerung und Zukunft" mit einer Aufzählung der ihm zugedachten Aufgaben im Paragraf 2, der den Stiftungszweck bestimmt, aufgeführt wird. Allein dieser vom Gesetzgeber formulierte Anspruch rechtfertigt es unserer Meinung nach, einen Teil der Mittel der Stiftung den noch lebenden Opfern nicht direkt zukommen, sondern in den Fonds "Erinnerung und Zukunft" fließen zu lassen.

Leitgedanken des Zukunftsfonds

Für uns ist der Fonds "Erinnerung und Zukunft" jener Teil der Stiftung, der den Opfern gewidmet werden soll, die mittlerweile schon verstorben sind. Ihnen kann man keine materielle Entschädigung mehr zukommen lassen. Indem aber wegweisende, neue Projekte mit Unterstützung des Fonds erarbeitet und gefördert werden können, die die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach halten und gleichzeitig eine Sensibilisierung für gegenwärtiges Unrecht unterstützen, die interkulturelle Begegnungen ermöglichen und damit alte und neue Vorurteile abbauen helfen, kann man diesen Menschen vielleicht ein wenig gerecht werden.

Das ist Leitgedanke und Auftrag des Fonds "Erinnerung und Zukunft". David A. Harris, Geschäftsführer des American Jewish Committee, hat in einer bemerkenswerten Rede (Universität der Bundeswehr, Hamburg 2001) eine gemeinsame Agenda für Deutsche und Juden vorgeschlagen, die auch Leitbild für die Erinnerungsarbeit mit anderen Betroffenen sein kann: "a. die Erinnerung bewahren, b. eine Welt zu schaffen, die Demokratie und Menschenrechte achtet, c. als Frühwarnsystem gegen Extremismus und Fremdenhass zu agieren, und d. fest zusammenzustehen gegen jene, die auch auf internationaler Ebene das Gesetz brechen und die Grundsätze der Koexistenz und friedlichen Konfliktlösung bedrohen." In diesem Kontext benennen auch wir vier Schwerpunkte, an denen sich unserer Meinung nach die Arbeit des Fonds orientieren sollte.

1. Erinnerung und Zukunft gehören zusammen

Der Name des Fonds "Erinnerung und Zukunft" ist Programm. Er wendet sich insbesondere an junge Menschen. An Nazi-Verbrechen zu erinnern und aus dieser Erinnerung Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen, gehört zu den grundlegenden Zielen des Fonds. Das ist ein höchst spannungsvoller Auftrag. Gerade öffentliche Trauer- bzw. Gedenkrituale werden von jungen Menschen oftmals nicht als authentisch wahrgenommen.

Der Verzicht auf Formen kollektiver und öffentlicher Trauer wäre jedoch keine Lösung. Er würde Erinnerung allein den Einzelnen aufbürden, sie damit nicht selten überfordern. Es erscheint uns daher notwendig, neue Zugänge zu einer kollektiven Erinnerungskultur zu suchen. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit bleibt der wichtigste Referenzpunkt im zukünftigen Profil des Fonds. Damit sind jedoch keine rückwärts gewandten Besinnungsrituale gemeint. Vielmehr soll eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft möglich werden. Diskussionen über Fragen der heutigen Zeit, zum Beispiel über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Migration, Nationalismus, Ethnizität oder die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. (. . .)

2.Die heute noch lebenden Opfer

Für uns steht es außer Frage, dass, solange noch Opfer leben, die Förderung opferbezogener Projekte im Vordergrund der Arbeit des Fonds "Erinnerung und Zukunft" stehen muss. Dies wird auch aus dem Stiftungsgesetz deutlich, in dem ausdrücklich die Förderung von Projekten, die "den Interessen von Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes" dienen sollen, als Aufgabe der Fonds "Erinnerung und Zukunft" festgeschrieben wurde. Wir begrüßen den Beschluss des Kuratoriums der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", schnellstmöglich aus dem Fonds "Erinnerung und Zukunft" humanitäre und medizinische Projekte für die noch lebenden Opfer zu fördern. Darüber hinaus sollen insbesondere Projekte gefördert werden, die den Opferbezug mit der Arbeit von jungen Menschen verbinden. So könnten zum Beispiel in die psychologische und medizinische Versorgung von überlebenden NS-Opfern insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten deutsche Zivildienstleistende und/oder junge Freiwillige einbezogen werden.

Als vorbildhaft werten wir die Initiativen "Patenschaften für ehemalige Zwangsarbeiter/innen" in Münster und in Düsseldorf. Diese Initiativen sehen monatliche und einmalige Unterstützungen, Gastaufenthalte und Briefkontakte vor. (. . .)

3. Die Zwangsarbeit in der NS-Zeit

Mit seiner Einbettung in die Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter kommt dem Fonds "Erinnerung und Zukunft" auch die Aufgabe zu, Projekte zur Aufarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus zu unterstützen. Zur Bewahrung der Geschichte von nationalsozialistischer Sklaven- und Zwangsarbeit sollen Studium, Sammlung und Koordination von Archivmaterial über Zwangsarbeit gefördert werden, um eine Wissensbasis für Diskussionen und Projektarbeit zu schaffen. Wir schlagen die Schaffung einer internetbasierten Kommunikationsplattform für alle NS-Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Archive vor.

Ziel ist es, eine europäische Geschichte der Zwangsarbeit erfahrbar zu machen, den wissenschaftlichen Dialog weiterzuentwickeln und Lernenden genauso wie Forschern den Zugang dazu zu ermöglichen. Interaktive Kommunikation sowie eine allgemein zugängliche Präsentation von Informationen und Veranstaltungsprogrammen sind auf diese Weise kostengünstig für alle realisierbar. Dazu gehören insbesondere auch Projekte, die das Internet nutzen, um eine europäische Geschichte der Zwangsarbeit zu verfassen und im wissenschaftlichen Dialog miteinander weiterzuentwickeln.

4. Die Erinnerungsarbeit mit jungen Menschen

Das Ansinnen des Gesetzgebers beinhaltet den klaren Auftrag, die Förderung der Erinnerungsarbeit mit jungen Menschen zu einem weiteren zentralen Bezugspunkt der Arbeit des Fonds "Erinnerung und Zukunft" zu machen.

Wenn man dem Anspruch gerecht werden will, Erinnerung und Zukunft miteinander zu verbinden, sind insbesondere Projekte zu fördern, welche die junge Generation zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte motivieren. Mahnen und Gedenken als abstrakte Appelle sprechen junge Menschen aber kaum an. Die Chancen zu lernen, den eigenen Horizont zu erweitern und einen Zugang zur Vergangenheit zu finden lassen sich verknüpfen und stellen einen viel versprechenden Anknüpfungspunkt für eine Auseinandersetzung mit Geschichte dar. Dazu gehören persönliche Begegnungen mit Zeitzeugen, konkrete "Spurensuche" in Gemeinden und Städten, die Verbesserung interkultureller Kompetenzen im Jugendaustausch, moderne Kommunikations- und Zugangsformen und Freiwilligenarbeit im In- und Ausland. (. . .)

Vorschläge zur Projektförderung

Entsprechend unseren vorhergehenden Ausführungen sollen bei der Projektförderung durch den Fonds "Erinnerung und Zukunft" Vorhaben zur Vertiefung und Verbreiterung der Erinnerungskultur und zum internationalen Austausch auf diesem Gebiet im Vordergrund stehen. Dabei sollen Projekte (a) der Forschung und Dokumentation, insbesondere zur Geschichte der Zwangsarbeit, (b) der Pädagogik, Gedenkstättenarbeit und medialer Vergegenwärtigung (Erinnerungsarbeit), und (c) des Jugendaustausches und der Generationenbegegnung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Wie diese Schwerpunktsetzung aussehen kann, wollen wir im Folgenden darstellen:

1.Begegnung mit Zeitzeugen

In der ersten Phase der Arbeit des Fonds "Erinnerung und Zukunft" muss ebenfalls die Förderung von Projekten für Austausch- und Besuchsprogramme für Überlebende der NS-Verfolgung im Mit-telpunkt stehen. Dazu gehört insbesondere die Begegnung dieser Zeitzeugen mit jungen Menschen. Es sollen Projekte gefördert werden, die überlebende NS-Opfer, die dies wünschen, in Kontakt mit interessierten Jugend- und Betriebsgruppen bringen, um Begegnungen, Erfahrungstransfer und Patenschaften zu fördern. Die Projekte müssen auch eine Dokumentation dieser Begegnungen und der historischen Erzählungen der Zeitzeugen beinhalten.

2.Jugendbegegnung und Generationendialog

Die Förderung des Jugendaustausches durch Projekte internationaler Verständigung, die die Geschichte des Nationalsozialismus bearbeiten und so junge Menschen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte befähigen, halten wir für besonders wichtig. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Fonds "Erinnerung und Zukunft" soll die Förderung von Projekten der Begegnung und des Dialogs zwischen jungen Menschen und der zweiten und dritten Generation sein. Hierbei ist sowohl verstärkt an den deutsch/nichtjüdischen-jüdischen und multilateralen zu denken. Denkbar sind dabei nicht nur Projekte, die sich auf Europa und Israel (zum Beispiel den deutsch-polnisch-israelischen Dialog) beziehen, sondern auch solche, die den transatlantischen Dialog mit amerikanischen Jugendlichen vertiefen. Dabei ist an bestehende Erfahrungen anzuknüpfen, wie zum Beispiel von Internationalen Freiwilligendiensten, Internationalen Jugendbegegnungen an Gedenkstätten, Projekten der Gewerkschaftsjugend oder Ausbildungsprojekten von Unternehmen.

3. Neue Vermittlungsformen fördern

Die Möglichkeiten des direkten Kontakts von jungen Menschen mit der Generation der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden immer seltener und in absehbarer Zeit gar nicht mehr möglich sein. Damit steht die jüngere Generation vor der Aufgabe, neue Formen des Erinnerns ohne den unmittelbaren Zugang zu den authentischen Erlebnisberichten der Täter- und Opfergeneration zu entwickeln.

Wenn sich der Fonds "Erinnerung und Zukunft" schwerpunktmäßig der Arbeit mit der jungen Generation widmen will, muss deshalb die Förderung neuer Ansätze und Formen der Vermittlung sowie der Nutzung neuer Medien zu den Aufgaben des Fonds gehören, um möglichst vielen Jugendlichen einen Zugang zur Geschichte zu eröffnen, der sie dazu motiviert, sich mit der Vergangenheit kritisch auseinander zu setzen und Bezugspunkte zu ihrem zukünftigen Handeln herzustellen. Dies beinhaltet auch die Förderung von Projekten, die eine Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern und anderen Multiplikatoren in neuen Ansätzen und Formen der Erinnerungsarbeit zum Ziel haben. (. . .)

4.Gemeinsames Erinnern im trinationalen Dialog

Lutz Niethammer hat darüber berichtet, dass der Nestor der israelischen Holocaust-Forschung, Israel Gutmann, ihm in einem Gespräch gesagt habe, er betrachte es als die entscheidende Erinnerungsaufgabe der Zukunft, dass Deutsche, Israelis und Polen (und andere Osteuropäer) Formen fänden, ihre Erinnerungen in eine gemeinsame Arbeit an der Geschichte des 20. Jahrhunderts einzubringen und anzuerkennen. Niethammer spricht in diesem Zusammenhang von einem Dreieck aus Deutschland, Israel und den mittel- und osteuropäischen Staaten. Wir sehen hier einen wichtigen Ansatz für die Förderung von Projekten der Jugendbegegnung und des Austausches von Lehrerinnen und Lehrern bzw. anderen Multiplikationen.

Wenn sich zum Beispiel Jugendliche aus Deutschland, Polen und Israel in der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz treffen, eröffnet dies große Chancen. Solche trinationalen Austausch- und Begegnungsprogramme können dazu beitragen, durch das Voneinander-Lernen die persönliche Identifizierung mit den Fragen der Geschichte und deren Auswirkung auf das eigene zukünftige Handeln zu fördern.

Projekte, die der internationalen Begegnung junger Menschen insbesondere im Dreieck Deutschland / Israel / Mittel- / Ost-Europa dienen, sollen gefördert werden. Dadurch sollen insbesondere junge Menschen aller gesellschaftlicher Schichten in ihrem Verständnis der geschichtlichen Prägung anderer Länder und in ihrem Vermögen zu inter- und transnationaler Zusammenarbeit gefördert werden. Dies umfasst alle Ansätze von der sprachlichen und kulturellen Verständigung in der Begegnung junger Menschen über die Vernetzung demokratischer, sozialer und menschenrechtlicher Initiativen bis zur wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit, zum Beispiel einer grenzüberschreitenden und geschichtsbewussten Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern und anderen Multiplikatoren.

Neben der Intensivierung des internationalen Jugendaustauschs schlagen wir eine Intensivierung der berufsbezogenen Freiwilligenarbeit vor. Beispielhaft ist hier die Initiative des Landesjugendamtes Rheinland. Hier wird jungen Leuten, die sich in Requalifizierungsmaßnahmen be-finden, ein gemeinsamer deutsch-tschechischer Arbeitseinsatz an der Gedenkstätte in Lidice angeboten. Die Jugendlichen kommen vorwiegend aus den Branchen Landschaftspflege und Gartenbau und werden dort gemeinsam mit den Initiatoren aus der Tschechischen Republik Pflegearbeiten im traditionellen Rosengarten vornehmen. (...).

5.Die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen durch die Förderung der Arbeit von NGOs und Basisinitiativen

Mit den Mitteln des Fonds wird die Chance eröffnet, Projekte von Gruppen und Initiativen auf dem "grassroots-level" zu fördern, die wenig Geld haben und sonst bei der Förderung durch andere Organisationen nicht berücksichtigt würden. Gerade durch die Unterstützung von Projekten von Nichtregierungsorganisationen sollen zivilgesellschaftliche Strukturen der Auseinandersetzung und Vergangenheitsbewältigung gestärkt werden.

Projekte, die bürgerschaftlichem Engagement entspringen oder dieses besonders fördern, sollen besonders berücksichtigt werden. Dazu gehören auch Projekte, die sich um einen Erfahrungs- und Wissenstransfer zwischen Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Wirtschaft bemühen.

6.Allgemeine Vergabekriterien

Für die Vergabe von Fördermitteln sind in dem Sinne der bisher aufgeführten Zielvorgaben inhaltliche Kriterien zu entwickeln. Allein die Qualität der Projekte soll für die Frage einer Förderung maßgeblich sein. Darüber hinaus schlagen wir zusätzlich noch einige allgemeine Vergabekriterien vor:

Prinzip der Zusätzlichkeit

Da der Fonds "Erinnerung und Zukunft" eine neu hinzukommende Fördereinrichtung ist, aus dessen Entwicklung sich gerade die Unterstützung bisher nicht geförderter bzw. innovativer Überle-gungen ergibt, sind Projekte zu bevorzugen, die bisher weder Fördermittel von Bund, Land oder Kommunen erhalten haben. Ausnahmen sollten bei geringfügigen Unterstützungen der kommunalen Ebene ermöglicht werden. Der Fonds "Erinnerung und Zukunft" darf keinesfalls zum Ersatz bisheriger Fördermöglichkeiten werden.

Prinzip der angemessenen Förderung

Bei der Projektförderung ist eine angemessene Eigenbeteiligung des Projektträgers vorzusehen. Dabei ist die Finanzausstattung des Trägers zu berücksichtigen. Das Prinzip der Eigenbeteiligung muss deshalb flexibel genug sein, damit gute Ideen von unten nicht verhindert werden.

Prinzip der Nachhaltigkeit

Das Stiftungsgesetz sieht eine Projektförderung vor. Ohne zu einer indirekten institutionellen Förderung von Projektträgern zu kommen, muss die Dauer der Projektförderung im Einzelfall variabel gehandhabt werden können, um Projekte so effektiv zu fördern, dass sich daraus nachhaltige Effekte ergeben können. Die bedeutet auch, dass zu allen geförderten Projektmaßnahmen eine geeignete Nachbereitung und Auswertung, die auch die Frage der Schaffung nachhaltiger Strukturen beinhaltet, gehört.

Prinzip der Innovation

Die Notwendigkeit der Förderung neuer Ansätze und Formen der Erinnerungsarbeit und des Einsatzes neuer Medien ist bereits an anderer Stelle betont worden. Dies sollte sich auch in den Förderungskriterien widerspiegeln.

Prinzip der Internationalität

Im Sinne unserer bisherigen Ausführungen sollen international angelegte Projekte bei der Förderung besonders berücksichtigt werden.

7.Projektformen

Eine Förderung möglichst vieler verschiedener Projektformen ist sicherlich wünschenswert. Als Beispiele seien genannt: Austausch- und Begegnungsprogramme, projektbezogene Konferenzen, Seminare, Vorträge und Dialogforen, Veröffentlichungen, Bildungsprogramme, Forschungsprojekte, Datensammlungen, und Datenaustausch,Kunst und Medien.

Weg zu einem unverwechselbaren Profil des Fonds

Entscheidend für das Ansehen des Fonds "Erinnerung und Zukunft" wird sein inhaltliches Profil sein. (. . .) Die Stiftung selbst muss deshalb Podiumsgespräche, Hearings u. a. veranstalten, um möglichst viele Erfahrungen und Sachverstand in den Prozess hin zu einem operationalisierbaren Profil des Fonds "Erinnerung und Zukunft" einfließen zu lassen. Der Fonds wird an Gewicht gewinnen, wenn viele an diesem Profil mitgearbeitet haben.

Veranstaltungen zur Erarbeitung eines Profils dürfen nicht nur in Deutschland stattfinden. Gerade der besondere Hintergrund der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" erfordert die Einbeziehung von Meinungen, Erfahrungen und Sachverstand durch entsprechende Veranstaltungen in den mittel- und osteuropäischen Staaten, Israel und den USA. Dabei sind die entsprechenden Partnerorganisationen in den jeweiligen Ländern einzubeziehen.

Der von uns vorgeschlagene Weg zu Erarbeitung eines Profils für den Fonds "Erinnerung und Zukunft" und die Bedeutung des Fonds erfordert unserer Meinung nach die Einsetzung eines international besetzten Beirates. Er unterstreicht den Charakter des Fonds durch Mitwirkung von Fachleuten aus verschiedenen Ländern und Bereichen. Dabei kann er in Abstimmung mit den Stiftungsgremien insbesondere inhaltliche Schwerpunkte anregen, das Kuratorium bei der Auswahl und Vergabe von Projekten unterstützen und eine Evaluation der geförderten Projekte vornehmen.

Wir fordern den Stiftungsvorstand und das Kuratorium der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" auf, einen internationalen sachkundigen Beirat zu berufen. (. . .)

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 30.09.2001 um 21:25:33 Uhr
Erscheinungsdatum 01.10.2001

 

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