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![]() Der Aufstieg der jungen Moderaten Regierungslust statt Flügelfrust: Vom Lebensgefühl der nachrückenden rot-grünen Generation Von Richard Meng (Berlin) "Wir sind erfolgreich zur Zeit." Kerstin Griese strahlt und entschwindet nach vorn, um die Sitzung zu leiten. Nach dem Parlamentspräsidenten und dem Verteidigungsminister haben sie diesmal die Familienministerin geladen. Griese und ein paar andere junge und noch weithin unbekannte SPD-Abgeordnete sind da, daneben viele Mitarbeiter von jungen SPD-Abgeordneten. Immer mittwochs in Plenarwochen kommen sie zu ihrem "Netzwerktreffen" zusammen. Und seit Netzwerker Kurt Bodewig Bundesverkehrsminister ist, wird der Nachwuchs von den Alten ernster genommen. "Wie geht's der Familie?", lautet das Thema des Abends mit Ministerin Christine Bergmann. Fest steht: Der Familie der jungen Moderaten in der SPD-Fraktion geht's zunehmend besser. Einen Monat ist es her, dass sie Bodewigs Aufstieg in der Kneipenrunde gefeiert haben, die sich an jedes Netzwerktreffen anschließt. Mag dieser neue Minister auch aus allerlei sonstigen Gründen ausgewählt worden sein, ein Aha-Effekt stellte sich ein. So muss man es also machen: Unabhängig von rechts oder links scheinen, pragmatisch und lernwillig, vor allem aber modern auftreten. Neu ist dieses Rezept nicht. Manchem aus der alternden Regierungsriege der Berliner Koalition hat es zu Amt und Würden verholfen. Der vergangenes Jahr berufene Kanzleramtsminister Martin Bury war Vorbote dieser neuen, bei Roten und Grünen nach vorn drängenden Generation, die im Unterschied zu der vorangegangenen selbst in Jugendzeiten nie rebellisch war und doch mehr ist als ein karrieresüchtiger Abklatsch der Alten. Was in der SPD jetzt im behüteten Rahmen des "Netzwerks Berlin" als eine Mischung aus Karriereanbahnungs- und Selbstfindungsgruppe zusammenwächst, ist bei den Grünen schon weiter gediehen. Dort haben die Nachfolger sich bis in die zweite Reihe vorgearbeitet, scheren sich immer weniger um das Stirnrunzeln von 68er-Patriarchen und sind nun mit Margareta Wolf, der neuen Parlamentarischen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, zum Verdruss der SPD-Linken ebenfalls in der Regierung vertreten. Zwar sind nicht alle, die auf solche Chancen warten, auch potenzielle Führungsfiguren. Aber gerade das zeigt die Veränderung: Die Neuen suchen ihre Seilschaften jenseits der alten Rechts-/Links- oder Fundi-/Realo-Stränge. Sie sind politische Flügel und die zähen internen Kämpfe leid. Sie reden anders, als es bisher gängig und angeraten war. Und es wächst mit jedem Ministerrücktritt ihre Gewissheit, dass wegen der dünnen Personaldecke an vielen von ihnen sowieso bald kein Weg mehr vorbei führt. Wie jetzt bei der 43-jährigen Wolf, die zwar für ein wachsendes Segment grüner Wähler in Ballungsräumen wie Rhein-Main steht, aber nicht für die Grünen insgesamt. Die nicht will, dass ihre Partei "so wie heute an der SPD und den Gewerkschaften dranhängt". Selbst bei den Super-Realos in Hessen keimt inzwischen den Verdacht, da betreibe jemand einen zu grundlegenden Kurswechsel. Demnächst will Wolf ein Papier vorlegen, das erklärt, was sie von der SPD unterscheidet - und was vor allem von der FDP. Denn letztlich steht gegen sie der Vorwurf des Neoliberalismus im Raum. Das trifft die Grüne. "Wenn ich etwas hasse, dann die", sagt Wolf über die FDP. "Die haben überhaupt keine Werte." Aber "wie die Wurzelseppen" müsse man bei den Grünen andererseits heute auch nicht mehr rumlaufen. Da kommt dann das Neue zum Vorschein: die bislang unausgetragene kulturelle Seite des rot-grünen Generationenbruchs. "Lust auf Leben", urteilt Wolf, sei etwas anderes als der herkömmliche Stil der Partei. Chic statt Verzicht, früher eine schier undenkbare Selbsteinordnung für eine Grüne. Die Veränderungen, die sie will, können nicht allein im Kopf stattfinden. Um ein anderes politisches Lebensgefühl geht es, verstanden als eine neue Offenheit zwischen der Politik und einer Gesellschaft, so wie die nun einmal ist. Dabei Gesellschaft ausdrücken statt Gesellschaft verändern. Carsten Schneider, Sprecher der jungen SPD-Abgeordneten, ist von dieser Haltung auf seine Weise nicht weit weg. Geboren 1974, Abitur vier Jahre nach der deutschen Einheit. Einmal ist der Erfurter zu einer Sitzung des linken Flügels gegangen, zweimal zu den Rechten. "Es war nicht spannend", findet er. Als "Kasperletheater" empfindet er Teile des politischen Tagesgeschäfts. Mit einem Ministerium umgehen, einen Beamtenapparat steuern: Darin sieht er die ernsthaften Maßstäbe des Politikerlebens. Regierungslust statt Flügelfrust, bei Schneider in sozialdemokratischer Variante. Den Grünen ("die sind eh verloren") gibt er inzwischen weniger Überlebenschancen als der FDP. Matthias Berninger, mit sechs Jahren Abgeordnetenerfahrung ein Oldie unter den Jungen, will das Eintreffen dieser Prognose verhindern: Für seine Grünen, argumentiert der 29-Jährige, komme es darauf an, Antreiber und "Zünglein an der Waage" zu sein - aber auf keinen Fall mehr Bestandteil eines festen politischen Lagers. Mit Lagerdenken sei schon die Wahl 2002 nicht mehr zu gewinnen. Als "rot-grüne Generation" betrachtet er nur noch die Alten, die Schröders und Fischers - und erschrickt dabei über sich selbst. "Natürlich", stellt er schnell klar, "will ich nicht demnächst eine Koalition mit der CDU machen." Nicht demnächst. Einem Linken ist Berninger unter den grünen Jung-Abgeordneten nicht begegnet, "nicht in der nächsten Combo". Die "nächste Combo", wie er die Nachwuchs-Crew nennt, ist auf SPD-Seite noch in der Übungsphase. Hubertus Heil organisiert das "Netzwerk", das sich als "organisiertes Drittes" zwischen Rechten und Linken versteht. Dem Anti-Flügel-Verein gehören 13 SPD-Abgeordnete an. Die Parteispitze hilft indirekt auch materiell. "Eine Zweckgemeinschaft" nennt Heil die Riege; "Heimat" in einer unwirtlichen Bundestagsfraktion. Eine Plattform je nach Bedarf: "Hin und wieder stellt sich einer drauf." Das allein, sagt der 28-jährige, sei für manche in der Fraktion schon "wie der Blick ins offene Grab". Weil mit Bodewig ein Junger auf diese Weise so problemlos Minister wurde. "Wir sind mal rot-grün gewesen", sagt Heil über die, die 1998 ziemlich unvorbereitet ins Parlament gespült wurden, und "sind ziemlich desillusioniert". Was wäre für ihn eine politische Vision? "Eine Gesellschaft, die nicht auseinanderfliegt." Die Koalition von SPD und Grünen versteht er nicht mehr als "historisches gesellschaftliches Bündnis". Auch das ist in dieser Klarheit neu. Die Jungen meiden die Identifikation mit der Gegenwart, ohne dass sie deshalb schon eine andere Koalition wollten. Inhaltlich souverän sind sie alle nicht. Lose verkoppelte Einzelkämpfer eher, die vor allem für sich selbst sprechen. Eine Generation bislang ohne prägende gemeinsame Erfahrung - außer der, ganz jung schon mitregiert zu haben. Politisch eher flatterhaft und keineswegs homogen einzuordnen. Mit verwaschenem rot-grünem Horizont und ungewisser Entwicklungsrichtung, wenn erst die großen Posten winken. Viel abhängiger vom jeweiligen Milieu, als sie es sich zugeben. In den großen Firmen, sogar bei den Gewerkschaften: "Auf allen Ebenen beginnt unterhalb der Führungsebene längst der Generationswechsel", hat Margareta Wolf, die Wirtschaftsgrüne, festgestellt. Was ihr dabei bitter auffällt: "Unsere 68er kennen diese neue Szene überhaupt nicht mehr."
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