Zeichen und Wunder
Im Streit um den neuen Generalsekretär finden Jüngere in der SPD zusammen - zur Überraschung Münteferings
VON RICHARD MENG
Große Koalition, sagt Kerstin Griese, sei atmosphärisch
gewöhnungsbedürftig. Die SPD-Frau, die auch mit der Union derzeit über
die Familienpolitik verhandelt, würde zur Erinnerung manchmal am
liebsten ein kleines Fähnchen auf den Tisch stellen, Aufschrift :"Wir
sind jetzt Freunde". Ungewohnte Bündnisse freilich erlebt die
38-Jährige jetzt auch in der eigenen Partei. In der SPD verbrüdern sich
neuerdings das "Netzwerk" pragmatischer Jungabgeordneter, in dem Griese
Sprecherin ist, und die Jüngeren aus dem linken Flügel.
Zuerst
haben die Linken stillgehalten, als Netzwerk-Freund Sigmar Gabriel
statt des Altlinken Michael Müller als neuer Umweltminister auserkoren
wurde. Dann hat Gabriel den Linken umweltpolitische Standfestigkeit
signalisiert, zum Beispiel in der Atompolitik - und vielleicht wird
Müller sogar sein Staatssekretär. Jetzt unterstützt das Netzwerk die
Linken-Sprecherin Andrea Nahles als neue SPD-Generalsekretärin - gegen
den erklärten Vorschlag des Parteichefs, Kajo Wasserhövel. In Erwartung
schwieriger Zeiten gibt es also Zeichen und Wunder in der nächsten
SPD-Generation. Von "gemeinsamer Plattform" und "gemeinsamem Erlebnis"
ist die Rede. Eine Art große Nachwuchs-Koalition mit dem Ziel, nicht im
Großkoalitionären aufzugehen. Offene Frage: Die Haltbarkeit der neuen
Freundschaft, wenn der Druck steigt.
Fest steht, dass Franz
Müntefering vom breiten Gegenwind für den Versuch, seinen Vertrauten
Wasserhövel zum Generalsekretär zu machen, überrascht ist. So
festgefahren, wie der Konflikt inzwischen ist, läuft alles auf eine
Alternativabstimmung zwischen Nahles und Wasserhövel kommenden Montag
im Parteivorstand hinaus - eine in der jüngeren SPD-Geschichte noch
nicht erlebte Zuspitzung. Ausgang offen, weil linker Flügel und jüngere
Pragmatiker erstmals gemeinsam Mut zum Konflikt zeigen. Stand der
Prognosen: ungefähr zwanzig zu zwanzig. Wenn alle wirklich so
abstimmen, wie sie denken.
Nun hat dieser Krach Facetten, die
für viele in der SPD überraschend kommen und in den Landesverbänden
auch noch kaum verstanden werden. Es geht vor allem um die Gewichte
zwischen großkoalitionärer Regierung und sozialdemokratischer Partei.
Es geht auch um den Führungsstil Münteferings, den bisherigen und den
künftigen. Es geht um das politische Spektrum in der SPD-Spitze. Und es
geht um Personen und ihr politisches Gewicht.
Beim Punkt
Personalia müsste dem Parteichef eigentlich schon vor zwei Wochen etwas
aufgefallen sein. Im Präsidium stimmten nur sechs von zehn Anwesenden
für die Aufteilung der Ressorts und die Ministerliste der SPD, die
stark Gerhard Schröders Handschrift trägt. Seitdem mehrten sich die
Signale an Müntefering, dass etwas aus dem Lot zu geraten droht. Das
aber führt zu völlig gegensätzlichen Konsequenzen. Bei Linken und
Jüngeren hat sich das Gefühl verfestigt, dass der Partei SPD erneut
eine Phase der Bedeutungslosigkeit und der Enttäuschung neben der
Regierung droht, falls zu Beginn der großkoalitionären Zeiten nicht
Verhältnisse geschaffen werden, die Frustrationen durch mehr Eigenleben
auf Parteiebene verhindern. Bei Müntefering, der anfangs die Rolle des
Vize-Kanzlers gerne vermieden hätte, dominiert mittlerweile die Abwehr
genau solcher Verhältnisse. Weshalb alle Warnsignale nun eher dazu
führen, dass sich seine Haltung verfestigt. Er war bislang immer als
der Herzenssozialdemokrat neben dem weniger geliebten Kanzler
erschienen, von dem viele glaubten, er wolle in seinem Innersten auch
eine etwas andere Politik als der Kanzler. Demnächst ist dieser
Regierungschef weg, vom Tandem bleibt Müntefering übrig, obendrein in
Regierungsrolle. Ein neuer Müntefering? Einer, der ihn verteidigen
will, spricht von einer bewusst "autoritären Antwort auf die
Mediengesellschaft". Das soll heißen: Der Parteichef will, auch wenn
die Regierung ihn weitgehend absorbieren wird, aus Angst vor dem
öffentlichen Bild kein unkontrolliertes politisches Kraftzentrum in der
SPD-Spitze zulassen.
Nahles, so die These dahinter, wäre als
Generalsekretärin ein solches Kraftzentrum. Die einstige Juso-Chefin,
Ende der 90er Jahre von Oskar Lafontaine besonders gefördert, war 2002
zunächst von der Bundestagsbühne verschwunden: schlechter Listenplatz
in Rheinland-Pfalz, kein Abgeordnetenmandat mehr. Dann aber gelang ihr
parteiintern der Aufstieg ins Präsidium. Müntefering selbst hat sie
gefördert, ihr die Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung anvertraut.
Inzwischen gilt die 35-Jährige neben Gabriel flügelübergreifend als
Schwergewicht unter den Jüngeren.
Ginge es nur um einen Posten
für Nahles, das Problem wäre geringer. Aber es geht den Kritikern des
Müntefering-Konzepts, Wasserhövel zu befördern, um eine Position
verknüpft mit einem Anspruch: um das Erkennbarmachen der SPD und derer,
die sich, wie eine Netzwerkerin formuliert, in ihr "als politische
Köpfe durchgekämpft haben". Wobei der Ausgang, kaum jemand wagt es
auszusprechen, auch davon abhängt, ob ein strukturkonservativer Mensch
wie Müntefering überhaupt kooperativer führen kann, als er es bisher
tat. Aus der Ferne zumal: Als Arbeitsminister und Vize-Kanzler sitzt er
nicht mehr im Willy-Brandt-Haus.
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 26.10.2005 um 17:20:04 Uhr
Erscheinungsdatum 27.10.2005
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