Wir alle sind Deutschland

„Wie kann ein gutes Miteinander von Menschen verschiedener Religionen und Kulturen gelingen?“ Begrüßungsrede der Tagung „Wir alle sind Deutschland“, zu der die SPD-Fraktion gemeinsam mit den Arbeitskreisen der christlichen, jüdischen sowie muslimischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in den Bundestag eingeladen hat.

» SPD-Fraktion: Tagungsbericht „Wir alle sind Deutschland“
» epd: Özoguz und Griese machen sich für religiöse Bildung stark
» KNA: Reaktionen auf Islam-Debatte haben mich erstaunt

Die Idee zu unserer heutigen Tagung ist schon Ende letzten Jahres entstanden, als sich die drei AKs zum ersten Mal getroffen haben. Wir wollen damit auch ein Zeichen setzen, dass sich Christen, Juden und Muslime gemeinsam ĂĽber politische Perspektiven austauschen und das ganz bewusst anhand der Frage, wie ein gutes Miteinander in Anerkennung von Vielfalt gelingen kann.

Der UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt, hat gerade in seinem Bericht vor dem UN-Menschenrechtsrat auf die besorgniserregende Zunahme von Gewalt im Namen der Religion aufmerksam gemacht. Er hat gleichzeitig betont, dass Religion nie der alleinige Grund sei und die Ursachen häufig vereinfacht dargestellt würden.

Eine schlimme Aktualität hat das Thema im Januar durch den Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris und den Überfall auf einen Supermarkt für koschere Waren erhalten. Der Anschlag auf Charlie Hebdo und die antisemitischen Morde in Paris waren ein Anschlag auf die Freiheit: auf die Meinungsfreiheit, auf die Pressefreiheit, auf die Kunstfreiheit, und letztlich auch auf die Glaubens- und Religionsfreiheit.

Angesichts der Debatte nach diesen Anschlägen ist mir wichtig festzuhalten: Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Religionen als Begründung für Gewalt instrumentalisiert werden. Aber wir befinden uns nicht in einem Kampf zwischen der Religion und der säkularen Gesellschaft und schon gar nicht in einer Auseinandersetzung zwischen dem Islam einerseits und dem Christen- sowie Judentum andererseits. Die allermeisten der vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime fühlen sich als Teil unseres Landes und orientieren sich an den Grundwerten der Bundesrepublik wie Demokratie und Pluralität, das hat der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung gerade festgestellt. Aber es ist bedrückend, dass gleichzeitig gut 60 Prozent der Bundesbürger der Meinung sind, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Die mehrheitliche Zustimmung der deutschen Muslime zur pluralistischen Gesellschaft widerspricht leider einer Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, die die Zugehörigkeit des Islam zu unserem vielfältigen Gemeinwesen ablehnt.

ReichstagsgebäudeAngesichts der immer noch andauernden sogenannten „Pegida“-Demonstrationen in Dresden muss man aber auch einen Zusammenhang sehen: Radikale Islamisten und die so genannte Pegida haben ein gemeinsames Ziel. Sie lehnen die pluralistische und tolerante Gesellschaft ab. Die Gesellschaft, die Politik, die christlichen Kirchen sowie die islamische und die jüdische Gemeinschaft müssen gemeinsam dagegen aufbegehren.

Unsere heutige Tagung soll unter dem Titel „Wir alle sind Deutschland“, dem Satz des Bundespräsidenten bei der eindrucksvollen Demonstration im Januar am Brandenburger Tor, diese öffentliche Debatte anregen. Wir wollen ein Zeichen setzen, dass für uns Religionsfreiheit, Vielfalt und Toleranz wichtige Pfeiler des Zusammenlebens sind.
Denn Deutschland ist pluraler geworden – weil Menschen aus anderen Ländern zugezogen sind, weil junge Menschen zunehmend auch familiäre Wurzeln außerhalb von Deutschland haben, weil die religiöse und kulturelle Landschaft sich verändert hat. Die neue Vielfalt bereichert das gesellschaftliche Leben. Doch auch Probleme der Einwanderungsgesellschaft müssen offen angesprochen werden. Pluralität ist keine Idylle, sie muss gestaltet werden. Vielfalt kann anstrengend und schwierig sein. Dafür braucht es Auseinandersetzungsprozesse in unserer Gesellschaft, damit wir wissen und erleben, was wir Gemeinsames gestalten wollen.

Auch in Deutschland gibt es eine zunehmende Debatte ĂĽber die Rolle der Religionen und Religionsgemeinschaften. Und zwar in einen ĂĽberaus unĂĽbersichtlichen und vielschichtigen Landschaft. Die weitaus geringste Zahl von Kirchenmitgliedern gibt es in Ostdeutschland, und ausgerechnet da gibt es diese fehlgeleitete Vorstellung, dass man die christlichen Werte eines Abendlandes gegen einen dort nur minimal vertretenen Islam verteidigen mĂĽsse. Klar ist: die Kirchen stehen dieser fremdenfeindlichen Bewegung, die die christlichen Werte missbraucht, klar ablehnend gegenĂĽber. Es sind gerade, und ich erlebe es immer wieder, aktive Gemeindemitglieder aus der Mitte der Gesellschaft, die sich fĂĽr die vielen FlĂĽchtlinge engagieren.

Wir sind eine säkulare und plurale Gesellschaft mit Menschen, die mehr oder weniger oder auch gar nicht an Kirchen und Religionsgemeinschaften gebunden fühlen. Die Bindung zur Religion ist gerade bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund durchschnittlich höher, als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Deswegen war es falsch, dass deren Religionsbezug viel zu lange kaum zur Kenntnis genommen wurde und er beispielsweise in den Schulen nicht stattfand. Glücklicherweise gibt es jetzt viele Bundesländer, die dies schrittweise ändern und islamischen Religionsunterrichts einführen. Was ich nicht verschweigen will: es gibt auch religiösen Fanatismus, junge Menschen, die in den gewalttätigen Salafismus abrutschen. Das ist eine Herausforderung sowohl für die Gesamtgesellschaft, als auch eine für die Vertreterinnen und Vertreter eines aufgeklärten Islam.

Zunehmender Antisemitismus und judenfeindliche Parolen auf Demonstrationen erschrecken uns ebenso wie Antiislamismus und Anschläge auf Gotteshäuser aller Religionen. Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland, so wie das Judentum und das Christentum schon lange.

Toleranz und Vielfalt kann aber dann besser gelebt werden, wenn man einen eigenen Standpunkt hat. Das ist meine feste Überzeugung. Denn das Verständnis für andere Religionen setzt auch Kenntnis der eigenen voraus. Der Berliner Bischof Markus Dröge hat neulich in einem Tagesspiegel-Gastbeitrag geschrieben: „Wenn aber immer weniger Menschen Religion verstehen und gleichzeitig immer mehr Menschen für Religionen empfänglich sind, dann ist Gefahr im Verzug. Wer die Religionen nur noch von ihren Zerrbildern her versteht, ist besonders gefährdet, sich gegen die jeweils Anderen aufwiegeln zu lassen. Je weniger religiöse Bildung, umso mehr Gefahrenpotenzial für Terrorismus.“ Er fordert eine „neue Bildungsoffensive in Sachen Religion und interreligiöser Dialogkompetenz“ und dem stimme ich zu.

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für ein friedliches Miteinander ein und will das gestalten. Ohne die vielen Engagierten in den Gemeinden, Verbänden, Initiativen und wäre das nicht möglich. Mein herzliches Dankeschön geht an alle, die den interreligiösen und interkulturellen Dialog mit Leben füllen, die Kundgebungen organisieren, die menschenverachtende Haltungen bekämpfen und die für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge sorgen, allen, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.