INTERVIEW. SPD will an das Ehegattensplitting ran - Griese unterstützt
CDU-Familienministerin.
BERLIN. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) bedrängt die
Kommunen, die Betreuung für Kleinkinder auszubauen. Auf drei Milliarden
Euro werden die Kosten geschätzt. Die SPD will im März ein Finanzkonzept
vorlegen. Darüber und über die Unicef-Kinderstudie sprach die NRZ
mit
der Vorsitzenden des Familienausschusses im Bundestag, der
SPD-Politikerin Kerstin Griese aus Ratingen.
NRZ: Frau Griese, im Ranking der kinderfreundlichsten Staaten belegen
wir Rang elf. Was sagt Ihnen das?
Griese: Dass wir mehr tun müssen: Mehr direkte Hilfen, familiengerechte
Arbeitszeiten, bessere Infrastruktur für Kinder.
NRZ: An wem sollen wir uns orientieren?
Griese: Ich schaue auf die skandinavischen Länder. Sie haben eine
bessere Betreuung der Kinder, auch eine höhere Erwerbsquote der Frauen
und eine höhere Geburtenrate.
NRZ: Nach der Pisa-Studie wurde für Bildung mehr Geld ausgegeben.
Erhoffen Sie sich einen ähnlichen Effekt für die Familienministerin,
die
klotzen statt kleckern will?
Griese: Es ist ihre eigene Partei, die ihr das Leben schwer macht.
Unsere Unterstützung hat Frau von der Leyen. Die SPD setzt auf einen
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr.
NRZ: Hat das Vorrang vor der Gebührenfreiheit?
Griese: Die Gebühren sind in fast allen Bundesländern einkommensabhängig
gestaffelt. Würden wir jetzt die Gebühren erlassen, wäre es
in erster
Linie eine Entlastung der Besserverdienenden. Alle meine Freundinnen mit
Kindern diskutieren nicht über die Gebühren.
NRZ: Sondern?
Griese: Darüber, ob sie überhaupt einen Platz in der Kita bekommen.
In
vielen westdeutschen Städten nützt Ihnen die Gebührenfreiheit
nichts.
Ratingen hat vor kurzem die erste Kinderkrippengruppe für unter
Dreijährige eröffnet. Zehn Plätze! Das hat viel zu lange gedauert.
NRZ: Im Osten dagegen ist die Versorgung besser. Frau von der Leyen
wird von der Union vorgeworfen, sie nehme die DDR als Modell.
Griese: Das ist eine ideologische Ecke, in die sich eine vernünftige
Familienpolitikerin nicht hinein drängen lässt. Die Kinderbetreuung
war
in der DDR flächendeckend, sie war die Norm. Bei uns herrscht
Wahlfreiheit. Und den wichtigen Unterschied muss man sehen.
NRZ: Der Bund schreibt etwas vor, die Kommunen müssen es stemmen.
Setzen Sie sich über die Föderalismusreform hinweg?
Griese: Die SPD sucht nach einer Möglichkeit, Kommunen zweckgebunden
mehr Geld zukommen zu lassen.
NRZ: Die Kommunen haben keine Finanzbeziehungen zum Bund, sondern
einzig zu den Ländern. Wie soll das gehen?
Griese: Sie sind aber an der Umsatzsteuer beteiligt. Man kann die
Anteile zu ihren Gunsten verändern. Das ist ein Beispiel. Wir müssen
darauf achten, dass das Geld zielgenau verteilt wird.
NRZ: Wo kommt es her?
Griese: Aus ganz verschiedenen Quellen. Die Zahl der Kinder geht zurück.
Statt Kindergärten zu schließen, kann man sie für unter Dreijährige
ö
ffnen. Statt Kindergeld und Steuerfreibeträge zu erhöhen, wollen
wir
lieber in die Betreuung investieren. Es gibt 145 Familienleistungen in
einer Höhe von 184 Milliarden Euro. Da muss es möglich sein, Mittel
umzuschichten.
NRZ: Sind Sie beim Ehegattensplitting fündig geworden?
Griese: Wir werden Anfang März ein durchgerechnetes Finanzkonzept
vorlegen. Beim Ehegattensplitting beträgt die Verteilungsmasse 21
Milliarden Euro. Zu 60 Prozent kommt das Geld den Familien mit Kindern
bis 25 Jahren zugute, zu 20 Prozent Familien mit Kindern, die älter
sind. Und zu 20 Prozent profitieren davon Ehen ohne Kinder. Gleichzeitig
wissen wir, dass jedes vierte Kind außerhalb einer Ehe geboren wird.
NRZ: Im Klartext: Kinderlose sollen leer ausgehen?
Griese: Ich will nicht das Ehegattensplitting streichen, sondern
zugunsten der aufwachsenden Kinder umschichten.