Kerstin Griese trifft … Wolfgang Thierse

Wolfgang Thierse war Gast bei „Kerstin Griese trifft …“ im katholischen Pfarrzentrum St. Peter und Paul in Ratingen. Viele Menschen glauben, er sei Pfarrer, erzählte der Bundestagsvizepräsident zu Beginn. Aber er sei noch nicht einmal evangelisch. „Aus der DDR, Sozialdemokrat und katholisch – das gibt’s doch gar nicht“. Auch nach 24 Jahren öffentlichen Lebens würde er das heute noch häufig hören, sagte Thierse.

Einen Tag nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Thierses Vater 18 Jahre alt, zehn Tage vor der ersten freien Volkskammerwahl ist er gestorben. Sein Vater habe nie in seinem Leben frei wählen dürfen. „Wenn ich an meinen Vater denke, dann bin ich wütend und traurig“, sagte Thierse, weil zu viele das Recht auf freie Wahlen gering schätzen. „Welche Art von Strafe ist es, nicht wählen zu gehen, um die Parteien zu bestrafen? Das ist Selbstbestrafung.“ Wer unzufrieden ist, müsse gerade deswegen wählen gehen. Eine Demokratie müsse langsam sein, betont der 69-Jährige. „Ein Alleinherrscher kann schnell entscheiden.“

Wolfgang Thierse verlangte, „den Neonazis nicht unsere Straßen und Plätze zu überlassen. Deswegen habe ich mal auf einer Straßenkreuzung gesessen, damit die NPD da nicht weiter marschiert.“ Thierse plädierte mit Blick auf Ostdeutschland dafür, „die müheselige demokratische Alltagsarbeit der Bürger kontinuierlich zu unterstützen“. Er ärgert sich über die schwarz-gelbe Bundesregierung, die die Programme gegen Rechtsextremismus immer wieder zur Disposition stelle. „Wichtig ist, dass wir uns für Toleranz engagieren“, sagte Kerstin Griese. Es gehe darum, „ohne Angst verschieden zu sein“, zitierte sie Johannes Rau. Griese forderte, Lehren aus der NSU-Terrorserie ziehen.

„Ich erwarte von unseren Kirchen, dass sie sich auf geradezu störrische Weise für die Rechtlosen einsetzen. Weil alle die Kinder Gottes sind“, sagte der bekennende Katholik Wolfgang Thierse. „Es gibt viele Gründe, warum ich Sozialdemokrat geworden bin. Mir war es wichtig, in eine Partei einzutreten, die so weltanschaulich plural ist, wie die Gesellschaft insgesamt.“ Thierse ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), Griese gehört der Synode der Evangelischen Kirche an. „Es gibt unterschiedliche Wege und Formen der Beteiligung“, so Thierse. „Das ZdK ist ein positives Beispiel, da wird viel diskutiert. Da werden Antworten zu Fragen des politischen und sozialen Lebens gegeben.“

Kerstin Griese sagte: „Deutschland nimmt nur 5000 syrische Flüchtlinge auf, was ich peinlich wenig finde. Das war trotzdem ein langes Ringen.“ Es sei das Engagement der Kirchen in der Flüchtlingsfrage gewesen, das für Bewegung gesorgt habe. Dafür sei sie dankbar, denn sonst hätten Flüchtlinge keine Lobby.

Vor Beginn der „Kerstin Griese trifft …“-Veranstaltung haben Thierse und Griese den Nevigeser Mariendom besucht und haben sich von Pater Othmar die weltberühmte Wallfahrtskirche zeigen lassen.

Vor Beginn der „Kerstin Griese trifft …“-Veranstaltung haben Thierse und Griese den Nevigeser Mariendom besucht und haben sich von Pater Othmar die weltberühmte Wallfahrtskirche zeigen lassen.

Griese und Thierse waren sich einig, dass es wichtig ist, wählen zu gehen. „Demokratie braucht Demokraten“, zitierte Griese das Motto des Abends, und Thierses Biografie zeige eindrucksvolles demokratisches Engagement. Die zahlreichen Besucher der Veranstaltung dankten dem Bundestagsvizepräsidenten mit langem Beifall.